Die evangelischen Kommunitäten
11. Anhang
Evangelische Kommunitäten in Bayern:
Zum Selbstverständnis der Evangelischen Kommunitäten
Mit großer Dankbarkeit blicken die Vertreter/innen der evangelischen Kommunitäten in Bayern auf eine Begegnung mit unserem Landesbischof im Dezember 1990 in München zurück.
Dabei hatte unser Bischof die Anregung gegeben, in einem interkommunitären Arbeitskreis über unser gemeinsames Selbstverständnis und die ekklesiologische Standortbestimmung kommunitären Lebens nachzudenken und als 'Statement' der kirchlichen Öffentlichkeit zu übergeben.
Dies ist im November 1991 geschehen. Im folgenden veröffentlichen wir dieses gemeinsam erarbeitete Statement, weil wir glauben, daß das theologische Nachdenken über den Grundauftrag und die Konsequenzen unseres Lebensentwurfes nicht nur für die bayerischen Gemeinschaften von Bedeutung ist.
Johannes Halkenhäuser
1. Wiederentdeckung kommunitären Lebens
Alle Christen sind seit ihrer Taufe zu einem apostolischen Leben berufen. Das Ordensleben ist eine Form, wie solches apostolische Engagement aus dem Mysterium der Taufe gelebt wird. Kommunitäten sind in der Praxis ihres Lebens sehr verschieden, haben aber dieses Anliegen gemeinsam: sie möchten einzelnen Männern und Frauen die Freiheit geben, sich einem immerwährenden, liebenden Dienst vor Gott in der Gestalt eines geordneten, gemeinsamen Lebens zu weihen. Die Wiederentdeckung und Erneuerung kommunitären Lebens gehört mehr und mehr zum Erscheinungsbild der evangelischen Christenheit des 20. Jahrhunderts in Deutschland, in Europa und darüber hinaus in manchen Kirchen der Weltchristenheit. Insofern ist dies ein Vorgang von ökumenischem Ausmaß. Damit wird auch die mehr als 400jährige protestantische Klostervergessenheit überwunden.
2. Nachfolge Christi
Diesen Aufbruch kommunitären Lebens verstehen wir als einen Erweis und Auswirkung der schöpferischen Kraft des Heiligen Geistes. Er ermutigt auch heute in den Kirchen Menschen, den Nachfolgeruf des Evangeliums in einer verbindlichen Lebensform aufzunehmen (Apg 2,42). Kommunitär lebende Christen wollen dafür einstehen, daß Glaube und Leben, Rechtfertigung und Heiligung (Confessio Augustana Art. 4 und 6), das gemeinsame Leben und der Dienst in Kirche und Gesellschaft eine konkrete Gestalt gewinnen. So verstehen sie das "Christsein in Kommunitäten" als eine Antwort des Glaubens (Matth 6,33; Lk 10,42). Urbild dieser Gestalt der Nachfolge ist für sie die Jüngergemeinde Jesu und die Koinonia der Urgemeinde.
3. Evangelische Räte
Der besondere Ausdruck dieser Lebensform sind die sog. "Evangelischen Räte": Ehelosigkeit um des Himmelreichs willen (1.Kor.7; Matth 19); Armut bzw. Gütergemeinschaft (Mk 10,21; Apg 4,32); mündiger Gehorsam, bzw. Anerkennung einer geistlichen Autorität (Phil 2,5ff.; Matth 23,8). Die freiwillige Verpflichtung auf ein durch die Evangelischen Räte gestaltetes Leben meint - in Würdigung und Aufnahme der reformatorischen Klosterkritik - nicht ein höherwertiges Christsein. Es geht vielmehr um einen Lebensstil, der für Gott und die Menschen freier macht. Die Ganzhingabe an Christus geschieht in der sog. Profeß (endgültige Bindung). Sie wird nicht als lastendes Gesetz, sondern als geistlich-dynamische Grundhaltung evangelischer Freiheit gewertet (Gal 5,1.13).
4. Erinnerung an eine Hoffnung
Die Kommunitäten verstehen sich als ein Zeichen des Zukünftigen. Sie möchten in der Kirche das Bewußtsein wachhalten, daß wir alle Exodus-Gemeinde sind. Daraus entsteht eine bestimmte Fremdlingschaft in der Welt. Das gilt nicht nur am Rande, sondern prägt das Leben im Heute und macht es zielgerichtet auf Gott hin (Hebr 13,14). So erinnern die Kommunitäten an die christliche Hoffnung und bezeugen das Kommen des Herrn und seines Reiches (Offb 22,17).
5. Ora et Labora
Kommunitär lebende Christen weisen durch ihre Zuwendung zu Gott, zu den Menschen und zur Welt darauf hin, daß im Leben der Kirche eine gegenseitige Bezogenheit und Durchdringung von gottesdienstlichem Handeln (Leiturgia), Lehre und Verkündigung (Martyria), dienender Liebestätigkeit (Diakonia) und geschwisterlich gegliederter Gemeinschaft (Koinonia) besteht. Wir erfahren, daß geistliches Leben nur dann gesund bleibt, wenn es sich aus den Quellen des Gottesdienstes, des Wortes Gottes und der Sakramente nährt, um das rechte Gleichgewicht von Aktion und Kontemplation ringt, und dem Dienst des regelmäßigen Gebets, der Fürbitte und dem zweckfreien Gotteslob Raum schafft.
6. Gegliederte Gemeinschaft
Kommunitäten sind Orte, wo in einer Zeit des Individualismus und der Anonymität brüderlich-schwesterliche Gemeinschaft eingeübt wird (Gal 6,2). Sie haben Strukturen, die durch Regel und Leitungsamt geprägt sind. Dabei sind Kommunitäten keine heile Welt, keine konflikt- und spannungsfreien Sonderbereiche. Wo kommunitäres Leben gelingt und durchgehalten wird, ist es ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. Das Herz jeder Gemeinschaft ist die gegenseitige Offenheit und Vergebung. So wird zeichenhaft der Leib Christi dargestellt (1.Kor 12; Röm 12). Wir erkennen darin seine charismatische Wirklichkeit als Vielfalt in der Einheit.
7. Beziehung zur Kirche
Wir verstehen uns in unseren Gemeinschaften als Glieder am Leib Christi und haben unseren Ort in der verfaßten Kirche. In ihr suchen wir einen anerkannten Freiraum - in der Kirche, mit der Kirche, und im fruchtbaren Gegenüber zu ihr. Wir sind dankbar, daß die Kirche unsere Lebensform mehr und mehr bejaht hat - so unter anderem im Wort der Bischofskonferenz der VELKD von 1976, und neuerdings im Beschluß der Synode der EKD vom November 1990. Darin heißt es: "Die Synode richtet ihren Dank ... an die kommunitären Gemeinschaften für den Dienst, den sie zeichenhaft für die ganze Kirche tun. Sie verbindet damit die Bitte, die Kommunitäten mögen sich weiterhin als Teil der größeren kirchlichen Gemeinschaft betrachten, den Austausch mit Gemeinden und Gruppen pflegen, interessierten, suchenden und beladenen Menschen einen Ort zum Aufatmen gewähren, den Dienst der Fürbitte für Kirche und Welt in Treue wahrnehmen und die Erinnerung an die ökumenische Weite der christlichen Berufung wachhalten. Die Synode bittet die Gliedkirchen, auch künftig den kommunitären Gemeinschaften ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden."
8. Erneuerung
Alle Kommunitäten sind aus Erneuerungsbewegungen der Kirche entstanden. Es ist ihnen wichtig, die Erneuerung der eigenen Gemeinschaft und der ganzen Kirche als Gabe des Geistes zu erbitten und so in reformatorischer Bewegung zu bleiben (Ecclesia semper reformanda). So stehen sie im Gespräch mit anderen Gruppen, Orden und Gemeinschaften, die für Gottes erneuerndes Handeln offen sind. Es gehört zu ihrer Berufung, dem prophetischen Geist Jesu Christi Raum zu geben, den Anruf Gottes für die Gegenwart zu erkennen und den Herausforderungen der Zeit mit Mut zum Wagnis zu entsprechen.
9. Ökumene
Kommunitäten sind Stätten ökumenischer Begegnung, Orte des theologischen und spirituellen Austausches, Gemeinschaften, die sich auf verschiedenen Ebenen in der Ökumene, einschließlich der Freikirchen, einsetzen. Ihre Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi gründet in dem Opfer und Gebet Jesu (Joh 17). Sie wird genährt durch Wort und Sakrament und bewährt sich im Bemühen um die Einheit in Vielfalt in der eigenen Gemeinschaft. Sie machen die Erfahrung, daß das betende Eintreten füreinander und miteinander die Hoffnung auf die endgültige Einheit lebendig erhält und schon vorweggenommene Einheit ist.
Konkrete Anliegen
Die Verschiedenartigkeit von Berufungen und Lebensformen ist im evangelischen Bewußtsein noch wenig ausgeprägt. Haben evangelische Kommunitäten einen bestimmbaren Ort neben den Ortsgemeinden und den kirchlichen Werken? Es wäre hilfreich, wenn der Kreis der Kommunitäten im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Bayern darüber zu einem Gespräch mit der Kirchenleitung eingeladen werden kann. Denkbar wäre auch ein Gespräch im Landeskirchenrat, bei einer Dekans-Konferenz oder vor einer Synode, wenn es um Fragen des gelebten Glaubens geht: Welche Erfahrungen können sie in die Kirche einbringen? Ist für sie ein Platz in der Kirchlichen Lebensordnung? Dazu gehören auch praktische Einzelfragen, wie etwa der Dienst und die Stellung von Theologen/innen in Kommunitäten, sowie der eines Pfarrers bzw. Spirituals für Kommunitäten zu regeln ist. Nachzudenken wäre über eine Form von Visitation als brüderlich/schwesterlicher Austausch zwischen Kirche und Kommunität. Dafür könnte ein von der Kirche in Bayern Beauftragter benannt werden, wie es etwa Bischof Claß - und neuerdings Bischof Wilckens - auf der EKD-Ebene für uns ist. Dieser könnte mit den Kommuniäten darüber nachdenken, wie eine rechtlich verbindliche "Rahmenvereinbarung" aussehen und auf den Weg gebracht werden kann.
Abgedruckt in: Schwanberger Reihe 19. Kommunitäten und Kirche. Engagement und Zeugnis II. Selbstverlag der Communität Casteller Ring 1993