Die evangelischen Kommunitäten

5. Kommunitäten und ihre Landeskirchen

5.1 

Das Verhältnis der Landeskirchen zu den Kommunitäten ihres Bereichs ist inzwischen durchweg frei von den Berührungsreserven der Anfangszeit. Umgekehrt ist es für die Kommunitäten nach wie vor von sehr großer Bedeutung zu wissen, daß sie von ihren Landeskirchen in ihrer Eigenart anerkannt und geschätzt werden. Dafür sind die Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD vom Mai 1976 und der Beschluß der 7. Synode der EKD auf ihrer 7. Tagung im November 1990 wichtige Marksteine.

Zum ersten Mal seit der Reformation hat eine evangelische Bischofskonferenz ordensmäßige Gemeinschaften innerhalb der Reformationskirchen als legitime Form christlichen Lebens anerkannt: "Dankbar stellen wir fest, daß diese Kommunitäten als Glieder der lutherischen Kirche auf der Basis der Heiligen Schrift stehen und die Rechtfertigung allein durch den Glauben leben wollen ... Kommunitäres Leben, das von solchem Geist erfüllt ist, sehen wir als eine Kraft zu kirchlicher Erneuerung an, die zusammen mit bewährten Formen herkömmlichen Gemeinde- und Gemeinschaftslebens die Kirche verlebendigen kann."9 Und zum ersten Mal hat die Synode der EKD für alle evangelischen Landeskirchen in Deutschland die Bedeutung der Kommunitäten für das Leben und die Erneuerung der Kirche hervorgehoben: "Sie (die Synode) richtet ihren Dank auch an die kommunitären Gemeinschaften für den Dienst, den sie zeichenhaft für die ganze Kirche tun. Sie verbindet damit die Bitte, die Kommunitäten mögen sich weiterhin als Teil der größeren kirchlichen Gemeinschaft betrachten, den Austausch mit Gemeinden und Gruppen pflegen, interessierten, suchenden und beladenen Menschen einen Ort zum Aufatmen gewähren, den Dienst der Fürbitte für Kirche und Welt in Treue wahrnehmen und die Erinnerung an die ökumenische Weite der christlichen Berufung wachhalten. Die Synode bittet die Gliedkirchen, auch künftig den kommunitären Gemeinschaften ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie bittet den Rat, alsbald wieder einen Beauftragten für die evangelischen Kommunitäten zu bestellen".10

5.2

Inzwischen darf die Frage als theologisch geklärt gelten, ob Ordensgemeinschaften und Klöster im Lebensbereich der evangelischen Kirche überhaupt möglich seien, wo doch in den Bekenntnisschriften die Unvereinbarkeit evangelischer Rechtfertigungslehre mit "Klostergelübden" ausdrücklich erklärt worden ist (Augsburgisches Bekenntnis Artikel 27; Apologie 27; Schmalkaldische Artikel 3 und 14). Damals freilich richtete sich Kritik und Protest der Reformatoren vor allem gegen eine verbreitete Lehre, nach der ein Leben nach den "evangelischen Räten" (Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam - s.o. 2.1) einem höheren geistlichen Stand zu verdienen vermöge, über den durch die Taufe allen Christen geschenkten hinaus: einem "Stand der Vollkommenheit". Darin sahen die Reformatoren einen tiefen Widerspruch gegen das biblische Evangelium der Rechtfertigung aller Glaubenden allein durch Gottes Gnade, allein durch die Heilstat Jesu Christi am Kreuz und also allein durch den Glauben an ihn. Hinzu kamen allerlei schwere Mißbräuche innerhalb des damaligen Klosterlebens, durch die sie sich in diesem Urteil bestärkt sahen. Die evangelischen Kommunitäten heute haben die Tradition monastischen Lebens nach den "evangelischen Räten" neu aufgenommen in dem Wissen, daß man als evangelischer Christ auf dem Boden der biblischen Rechtfertigungslehre sehr wohl mit Profeß und Ordensregel leben kann, ohne zu meinen, damit "bessere Christen" zu sein. Im Alltag ihres engen Zusammenlebens in verbindlicher Geschwisterschaft verdichten sich sogar Erfahrungen von Anfechtung und Schuldigwerden in besonderer Weise, - ebenso aber auch immer neue Erfahrungen, wie durch Gottes Vergebung und durch die Hilfe seines Geistes ein Miteinanderleben in Armut, Keuschheit und Gehorsam in Freiheit und Freude gelingen kann. Eben darin werden sie bestärkt durch die Gemeinsamkeit mit katholischen Ordensgemeinschaften, die heute mit dem Zerrbild monastischen Lebens, das damals den Reformatoren vor Augen stand, nichts mehr zu tun haben. Was die Rechtfertigung allein durch Christi barmherzige Liebe anlangt, gibt es heute kaum anderswo so tiefe Gemeinsamkeiten zwischen evangelischen und katholischen Christen wie zwischen Kommunitäten und Ordensgemeinschaften. So konnte bereits 1980 anläßlich des 450. Jubiläums des Augsburgischen Bekenntnisses zum Thema "Mönchtum und Ordensleben" nach Artikel 27 von beiden Seiten gemeinsam erklärt werden: "Monastische Formen gemeinschaftlichen Lebens als eine Weise entschiedener Verwirklichung des Evangeliums sind für Katholiken und Lutheraner theologisch wie praktisch eine legitime Möglichkeit, auch wenn die Interpretation im einzelnen beim gegenwärtigen Stand des Gesprächs - auch innerhalb des Luthertums - noch offen bleibt".11

5.3

Nach den VELKD- und EKD-Beschlüssen hat die Ev.-Luth. Kirche in Bayern durch ihren Landesbischof im Dezember 1990 die zehn evangelischen Kommunitäten in ihrem Bereich gebeten, ein "Statement" zur ekklesiologischen Standortbestimmung kommunitären Lebens vorzulegen, das als Grundlage für ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis dienen kann. Dies ist im Mai 1991 geschehen. Das Statement mit 9 Punkten ist im Einvernehmen mit der Kirchenleitung veröffentlicht worden. Dies ist ein beispielhafter Vorgang, der in der gesamten EKD von Bedeutung sein dürfte. 12 Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, daß alle anderen Landeskirchen, in deren Bereich Kommunitäten leben, sich dieser Grundsatz-Erklärung anschließen.

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