Drei Fragen an Maher Habesch
Kurzinterview
Maher Habesch ist als Kind einer jesidischen Familie aus Syrien vor 29 Jahren nach Deutschland gekommen; 25 Jahre später hat er endlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Er ist verheiratet und Vater eines kleinen Sohnes, ist ehrenamtlicher Fußballtrainer und war 1. Vorsitzender eines SPD-Ortsvereins bei Hannover. Hauptberuflich arbeitet er als leitender Sachbearbeiter im Haushaltsreferat der EKD und im Amtsbereich der Union Evangelischer Kirchen (UEK).
Die Religion und die Glaubenspraxis der jesidischen Gemeinschaft sind in Deutschland eher unbekannt. Was gehört für Sie und Ihre Familie unbedingt dazu und wie leben Sie das?
Unser Glaube ist das Zentrum unseres Lebens. Die Jesiden haben eine sehr alte Religion, die auf mündlicher Überlieferung basiert. Wichtige Aspekte unseres Glaubens sind die Achtung vor der Natur, der Glaube an einen Gott und der Respekt gegenüber unserer Gemeinschaft. Traditionen wie Gebete und Feste, zum Beispiel das Neujahrsfest Çarşema Serê Salê, sind zentrale Elemente unserer Glaubenspraxis. In Deutschland leben wir unseren Glauben weiter, auch wenn es herausfordernd ist, da viele Menschen ihn nicht kennen oder verstehen. Es ist uns wichtig, unseren Kindern die Bedeutung unserer Religion zu vermitteln, damit sie die Kultur weitertragen.
Vor zehn Jahren hat die Terrororganisation IS die jesidische Gemeinschaft im Nordirak vertrieben, ermordet, versklavt und ihre Region verwüstet und vermint. Die Gräueltaten sind inzwischen auch in Deutschland als Völkermord anerkannt. Wie erleben Sie Menschen, die mit solchen Traumata leben müssen? Was bedeutet das für die gesamte jesidische Gemeinschaft?
Die Gräueltaten des IS haben tiefe Narben hinterlassen, sowohl physisch als auch emotional. Viele Menschen haben Familienmitglieder verloren, sind traumatisiert und haben alles verloren, was ihnen lieb war. Diese Wunden heilen nur langsam. Menschen, die solche Schrecken erlebt haben, kämpfen oft mit Depressionen, Angstzuständen und dem Gefühl der Verzweiflung. Auch in Deutschland und für uns „Unbeteiligte“ ist es schwer, mit diesem Trauma zu leben. Die Erinnerung an das, was passiert ist, und das Fehlen von Gerechtigkeit, weil noch immer viele IS-Kämpfer nicht bestraft wurden, belastet die gesamte Gemeinschaft. Es ist schwierig, ein normales Leben zu führen, wenn man sich ständig fragt, ob es jemals wirklich Frieden und Sicherheit geben wird. Die Dokumentation „Das Volk eines Engels. Der Völkermord an den Jesiden“ schildert das Verbrechen meines Erachtens unglaublich eindringlich und verständlich.
„Die Jungs, die ich trainiere, haben zum Teil schwere Schicksale hinter sich.“
Sie trainieren in Ihrem Verein auch jesidische Jungs aus dem Irak. Wie geht es Ihnen angesichts drohender Abschiebungen, nachdem der irakische Staat die Flüchtlingslager schließt und es heißt, dass die Menschen zurückkehren können?
Die Jungs, die ich trainiere, haben zum Teil schwere Schicksale hinter sich. Viele von ihnen haben Familienmitglieder durch den IS verloren oder waren selbst in Flüchtlingslagern. Sie haben Angst, dass sie in den Irak zurückgeschickt werden, in eine Region, die immer noch unsicher ist. Der Gedanke an eine Abschiebung verursacht viel Stress und Unsicherheit. Viele von ihnen haben sich hier in Deutschland ein neues Leben aufgebaut und die Vorstellung, alles wieder zu verlieren und in eine unsichere Situation zurückkehren zu müssen, ist für sie kaum ertragbar. Das macht es ihnen auch schwer, sich auf ihre Zukunft zu konzentrieren oder Hoffnung zu haben, weil sie nicht wissen, wie lange sie hierbleiben dürfen.
Die Fragen stellte Sabine Dreßler