Nichtinvasive Pränataldiagnostik
Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018
5. Auswirkungen der NIPD auf das Handeln werdender Eltern
Die Inanspruchnahme pränataler genetischer Diagnostik kann werdende Mütter und Väter in die Lage bringen, sich angesichts eines auffälligen Ergebnisses dieser Diagnostik für oder gegen das Leben mit einem behinderten Kind entscheiden zu müssen.
Das grundsätzliche Ziel der Schwangerenvorsorge besteht in der frühzeitigen Erkennung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten. Damit einher geht die Entwicklung von präventiven und teilweise kurativen Strategien, mit denen ein für Mutter und Kind bestmöglicher Verlauf von Schwangerschaft und Geburt ermöglicht werden soll. Werdende Eltern nehmen die pränatale genetische Diagnostik primär deshalb in Anspruch, weil sie sich die Gewissheit wünschen, dass ihr Kind ohne Fehlbildungen oder Erkrankungen, insbesondere ohne autosomale Trisomien, geboren wird. Lassen sich diese aufgrund der Untersuchungsbefunde nicht ausschließen, stellt sich für die schwangeren Frauen die Frage, ob sie auch unter diesen Umständen bereit sind, das in ihrem Körper heranwachsende Kind auszutragen. Das bedeutet zugleich, dass die Frage nach einem möglichen Schwangerschaftsabbruch eng mit der Inanspruchnahme pränataler genetischer Diagnostik verbunden ist.
Dieser Zusammenhang weist zugleich darauf hin, dass das subjektiv empfundene und das objektiv feststellbare Risiko bei einer Schwangerschaft nicht deckungsgleich sein müssen, möglicherweise auch nicht deckungsgleich sein können. Die Perspektive der schwangeren Frau kann nur von ihr selbst eingenommen werden, ebenso wie die entsprechenden Entscheidungen zur Inanspruchnahme pränataler Diagnostik nur von ihr getroffen werden können. Das bedeutet auch, dass die Klassifikation einer Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft nie nur aufgrund medizinischer Faktoren getroffen werden kann, sondern immer auch subjektive Faktoren mit einbeziehen muss.
Dieser Sachverhalt entspricht dem Respekt vor der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau, gleichzeitig aber weist jede Schwangerschaft und damit eben auch jeder pränataldiagnostische Befund über deren Perspektive hinaus: Hier ist das ungeborene Kind mitbetroffen, sodass die schwangere Frau nicht nur eine Entscheidung über ihre eigenen Vorstellungen, sondern möglicherweise auch über das Leben des sich entwickelnden Kindes treffen muss.
Wird die genetische Diagnostik durch die NIPTs zum Regelbestandteil der Schwangerenvorsorge bei Risikoschwangerschaften, so ist angesichts des derzeitigen Umgangs mit der pränatalen Diagnostik zu erwarten, dass auch der Schwangerschaftsabbruch beim Vorliegen eines auffälligen genetischen Untersuchungsbefunds zur Regel wird.
Die im Internet angebotenen Tests lassen die mögliche Konsequenz eines Schwangerschaftskonflikts grundsätzlich unerwähnt, ja, sie verschleiern diese Konsequenz mit Beschreibungen der Test als „ungefährlich“, „risikolos“, „schonend“ und „sicher“. Zudem wird verdeckt, dass die Ratio einer möglichst frühen Testung im Rahmen der NIPD darauf zielt, eventuelle Abbrüche unter den für die ersten zwölf Wochen geltenden Regeln durchzuführen und dadurch einer möglichen rechtlichen Regulierung für Schwangerschaftsabbrüche nach einem auffälligen pränataldiagnostischen Befund zu entgehen.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach dem derzeit geltenden Recht gemäß § 218a Abs. 2 StGB nicht rechtswidrig, wenn
„der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“
Allerdings ist unbestreitbar, dass auch ein solcher nicht rechtswidriger Schwangerschaftsabbruch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes negiert. Die schweren inneren Konflikte, vor die sich betroffene Paare und vor allem schwangere Frauen immer wieder gestellt sehen, resultieren aus diesem Sachverhalt.