Nichtinvasive Pränataldiagnostik
Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018
10. Elternschaft im Beziehungsgefüge von Gesellschaft, Glauben und ungeborenem Leben
Verantwortliche Elternschaft steht in evangelischer Perspektive in einem Beziehungsgefüge zwischen den Eltern, dem Ungeborenen, der Gesellschaft und dem Glauben an Gott. Eine Beratung in kirchlicher Verantwortung wird dazu ermutigen, alle Bezugspunkte in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Elternschaft hat immer eine soziale Dimension. Mit dem Entschluss für eigene Nachkommen entscheidet sich ein Paar, die Grenzen der eigenen Identität und des eigenen Lebens zu überschreiten und einem neuen Menschen das Leben zu schenken. Dieser Entschluss begründet eine Beziehung, die sich von allen anderen Beziehungen grundsätzlich unterscheidet: Sie ist unauflöslich. Die Verantwortung für das ungeborene Kind liegt daher zuvörderst bei den Eltern.
Der Entschluss zur Elternschaft betrifft jedoch nicht nur die eigene Zukunft, er hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganze. Es ist daher auch im Sinne des Gemeinwohls, Regelungen zu schaffen, die Eltern und Familien besondere Unterstützung anbieten und das ungeborene Leben schützen.
Die soziale Dimension von Elternschaft birgt darüber hinaus noch eine weitere Konsequenz: Es sind immer auch die Auswirkungen der eigenen Entscheidung für andere, gerade auch für die möglicherweise mit Behinderungen geborenen Menschen und die Gesellschaft als Ganze zu bedenken – bei allem Respekt davor, dass gerade auch aus evangelischer Perspektive festzuhalten ist: Die Entscheidung für ein Kind, für die Pränataldiagnostik und auch für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch nach einem auffälligen pränataldiagnostischen Befund kann letztlich nur von den Betroffenen selbst, besonders von den betroffenen Frauen, gefällt werden. Insbesondere ist hier darauf hinzuweisen, dass aus der Summe individueller Entscheidungen, die jeweils aus nachvollziehbaren und zumindest subjektiv empfundenen guten Gründen getroffen wurden, eine Tendenz entstehen kann, die insgesamt grundlegende gesellschaftliche Überzeugungen infrage stellt.
Diese – auch in unserer Rechtsordnung verankerte – Überzeugung von der unbedingten Schutzwürdigkeit gerade des auf besondere Fürsorge angewiesenen und besonders verwundbaren ungeborenen Menschen ist tief im christlichen Glauben verankert. Das gesellschaftliche Allgemeine und der universale Horizont des Glaubens kommen in diesem Respekt vor der Würde des Lebens überein. Für evangelische Christinnen und Christen bewegt sich zudem die Lebensform der Familie immer auch im Rahmen der Beziehung, die durch den Gottesglauben begründet ist. Aus diesem Glauben empfangen Christinnen und Christen die Kraft, die unveräußerliche Treue, mit der sie sich von Gott beschenkt wissen, auch im Verhältnis zu den eigenen Kindern zur Geltung zu bringen.
Das Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, lehrt eine besondere Achtsamkeit für die Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit des menschlichen Lebens, dessen Würde auch durch Krankheit und Behinderung nicht beeinträchtigt wird.
Die Lebensplanungen, Wünsche und Träume gerade werdender Eltern haben ihr tiefes Recht. Und doch werden auch die am weitesten fortgeschrittenen diagnostischen und kurativen Möglichkeiten die Verwundbarkeit des Lebens nicht aus der Welt schaffen. Die Zerbrechlichkeit des Lebens wird erst durch das rettende und vollendende Handeln Gottes überwunden werden.