Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018

8. Einbettung in einen gesellschaftlich verantworteten Beratungskontext

Die effektive und verlässliche Einbettung der pränatalen genetischen Diagnostik in einen öffentlich garantierten und gesellschaftlich verantworteten Beratungskontext wird am besten durch das Angebot von NIPD für Frauen mit einer Risikoschwangerschaft im Rahmen der Schwangerenvorsorge sichergestellt.

Angesichts der Möglichkeit, im Direct-to-Consumer-Verfahren auf die NIPTs zuzugreifen und damit – wie bereits beschrieben – den Zusammenhang zwischen Beratung und Diagnostik aufzukündigen, erscheint es notwendig, nach Möglichkeiten zu suchen, den Zusammenhang von pränataler genetischer Diagnostik und einer unterstützenden Beratung sicherzustellen, welche die Konsequenzen einer Entscheidung für die Inanspruchnahme der Diagnostik berücksichtigt. Dabei sollte vorrangig auf Anreize auf der Angebotsseite, nicht aber auf Verbote gesetzt werden – auch deswegen, weil es nicht möglich und auch nicht vertretbar erscheint, Schwangeren das diagnostische Potenzial der NIPD vorzuenthalten.

Dementsprechend wird hier vorgeschlagen, dass eine umfassende, auch die ethischen Problemlagen aufnehmende Beratung über die Möglichkeiten und Konsequenzen der Pränataldiagnostik, insbesondere der pränatalen genetischen Diagnostik, in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden soll.

In dieser Beratung sollen auch die möglichen Folgen und Konflikte, die mit der Pränataldiagnostik und einem möglichen auffälligen Ergebnis verbunden sein können, angesprochen und reflektiert werden. Die Leistungen der GKV sollten auch den Rahmen für eine kontinuierliche Evaluierung und Qualitätssicherung dieser Beratung sicherstellen, für deren Finanzierung ebenfalls zu sorgen wäre. Eine solche Regelfinanzierung einer ethischen Beratung böte dann auch den Rahmen, um die NIPD, wie auch die anderen bereits praktizierten Methoden der Pränatalen Diagnostik, im Rahmen der nach § 24b II SGB V bzw. § 24c vorgesehenen Leistungen für alle gesetzlich Versicherten beim Vorliegen einer Risikoschwangerschaft zugänglich zu machen. Wann eine solche Risikoschwangerschaft vorliegt, ist dabei im Sinne des oben ausgeführten Zusammenspiels zwischen subjektiven und objektiven Faktoren zu definieren, wobei der betroffenen Frau das letzte Entscheidungsrecht zukommen sollte.

Besonders zu betonen ist aber, dass die Forderung, die angesprochene ethische Beratung in die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft nach § 24 c SGB V aufzunehmen, unabhängig von der Entscheidung über die Aufnahme der NIPD in die Regelfinanzierung zu sehen ist.

Eine umfassende Beratung bildet allerdings die Voraussetzung dafür, dass eine solche Aufnahme ethisch vertreten werden kann.

Die Möglichkeit von NIPD sollte jedoch auf den Ausschluss autosomaler Trisomien bei Risikoschwangerschaften begrenzt bleiben, also auf den Anwendungsbereich, der durch das Prüfungsverfahren des G-BA untersucht wurde. Wo die NIPD eine Möglichkeit bietet, die Fehlgeburtsrisiken invasiver Methoden der Pränataldiagnostik zu vermeiden, ist es nicht vertretbar, diese Diagnostik schwangeren Frauen im Rahmen der gesetzlichen Krankversicherung grundsätzlich vorzuenthalten.

Zudem erscheint es wünschenswert, die NIPTs der Logik des Marktes zu entziehen, die sich nicht zuletzt in der bereits angesprochenen Werbung für die entsprechenden Tests zeigt.

Hier werden nur die Vorzüge, nicht aber die Probleme und ethischen Dilemmata, die aus ihrer Anwendung resultieren können, thematisiert. Auch wenn durch diese Regelung der Direct-to-consumer-Vertrieb und die offensive Vermarktung von NIPD tendenziell bereits weniger attraktiv sein dürfte, ist dennoch parallel nach angemessenen und effektiven Wegen zu suchen, diesen Vertriebskanal zu regulieren, durch den der notwendige Zusammenhang von Beratung und Durchführung pränataler genetischer Diagnostik zerstört werden kann.

Angesichts der Tragweite von Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pränatal­diagnostik sowie der Notwendigkeit, die Nicht-Inanspruchnahme als gleichberechtigte Option darzustellen, wird es dabei von entscheidender Bedeutung sein, dass in der Folge der oben angesprochenen Leistungsergänzungen in der Mutterschaftsvorsorge ausreichende Ressourcen für die Weiterentwicklung von Beratungsangeboten aufgewendet werden.

Denn im Hinblick auf die derzeitige Beratungspraxis, deren normativer Rahmen durch das Gendiagnostikgesetz, das Schwangerschaftskonfliktgesetz sowie die ärztliche Berufsordnung gegeben ist, ist sehr zu bezweifeln, dass die derzeit geforderte Qualifikation der ärztlichen Beraterinnen und Berater für den hier gebotenen Schutzauftrag tatsächlich ausreichend ist. Daher ist die derzeitige Praxis der Beratung im Zusammenhang insbesondere mit der pränatalen genetischen Diagnostik weiterzuentwickeln. Es sollte, wie eingangs bereits erwähnt, eine flächendeckende, leicht zugängliche Beratung zu ethischen und psychosozialen Aspekten der Pränataldiagnostik vorgehalten werden, deren Finanzierung im Rahmen der Leistungen bei Schwangerschaft durch die gesetzlichen Krankenversicherungen erfolgt. Bei einer solchen Beratung sollen die Möglichkeiten und Konsequenzen der Pränataldiagnostik grundsätzlich offen thematisiert werden, ohne die werdenden Eltern moralisch zu bevormunden. Dieser Aufgabe kann nur entsprochen werden, wenn diese Beratung durch eigene, entsprechend zertifizierte Beratungsstellen geleistet wird, wie sie im Rahmen der Beratungspflicht gemäß § 218a Abs. 1[10] sowie § 219 StGB[11] etabliert worden sind.

Gerade die Krankenhäuser in konfessioneller Trägerschaft und die evangelischen Beratungsstellen sind hier gefordert, innovative und kooperative Beratungsmodelle zu entwickeln.

Aus christlicher Sicht – und entsprechend der Vorgaben der §§ 5ff SchKG[12] – sollte diese den Lebensschutz thematisieren, aber auch die existenzielle Situation der Schwangeren und ihrer Partner im Blick haben. Eine solche, auf den Schutz des Lebens zielende Beratung könnte zugleich als ein der deutschen Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch entsprechender Weg zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention fungieren. Diese Art von Beratung würde auch zum Ausdruck zu bringen, dass die Rechtsgemeinschaft nicht nur für den Schutz des Lebens einsteht, sondern sich gemäß Art. 8 UN-BRK dazu verpflichtet hat, den vorurteilsfreien, nichtdiskriminierenden Umgang mit Behinderten zu fördern,[13] gleichermaßen aber auch das Recht und die Nöte der betroffenen schwangeren Frauen und Paare achtet.[14] Eine solche Beratung ist anspruchsvoll und bedarf hoher professioneller Standards. In ihr ist das Leben mit einem behinderten Kind in all seinen Facetten zu thematisieren – vorurteilsfrei, aber auch ohne Beschönigungen. Sowohl die Unterstützungsmöglichkeiten als auch die Nöte und Lasten einer entsprechenden Elternschaft sollten zur Sprache kommen. Die Entscheidung kann dann auch darin bestehen, eine Schwangerschaft abzubrechen – im Wissen darum, dem ungeborenen Kind gegenüber schuldig zu werden. Christliche Beratung wird bei Schwangerschaftsabbrüchen immer auch die gebotene seelsorgliche Dimension berücksichtigen.


Anmerkungen

10„Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.“

11        „(1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz.

            (2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Abschluß der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten Beratungsgesprächs und dem Namen der Schwangeren versehene Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auszustellen. Der Arzt, der den Abbruch der Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen.“

12        „§ 5 Inhalt der Schwangerschaftskonfliktberatung

            (1) Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.

            § 8 Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen

            Für die Beratung nach den §§ 5 und 6 haben die Länder ein ausreichendes plurales Angebot wohnortnaher Beratungsstellen sicherzustellen. Diese Beratungsstellen bedürfen besonderer staatlicher Anerkennung nach § 9. Als Beratungsstellen können auch Einrichtungen freier Träger sowie Ärztinnen und Ärzte anerkannt werden.

            § 9 Anerkennung von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen

            Eine Beratungsstelle darf nur anerkannt werden, wenn sie die Gewähr für eine fachgerechte Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 5 bietet und zur Durchführung der Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 6 in der Lage ist, insbesondere

1.         über hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendes Personal verfügt,

2.         sicherstellt, daß zur Durchführung der Beratung erforderlichenfalls kurzfristig eine ärztlich, fachärztlich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch oder juristisch ausgebildete Fachkraft hinzugezogen werden kann,

3.         mit allen Stellen zusammenarbeitet, die öffentliche und private Hilfen für Mutter und Kind gewähren, und

4.         mit keiner Einrichtung, in der Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden ist, daß hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht auszuschließen ist.“

13        Dass sich die EKD dieses Ziel explizit zu eigen gemacht hat, ist in der Orientierungshilfe des Rates der EKD „Es ist normal, verschieden zu sein“ von 2014 dokumentiert (www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/orientierungshilfe_inklusion2105.pdf).

14        siehe Fußnote 6

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