Themen und Thesen des Kirchentages
Die wichtigsten Impulse aus den Debatten des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags im Überblick
Dortmund (epd). 121.000 Teilnehmer, 200 Orte und 2.400 Veranstaltungen: In Dortmund ist am 23. Juni der evangelische Kirchentag zu Ende gegangen. Fünf Tage wurde bei dem Protestantentreffen gefeiert, gebetet und diskutiert. Unzählige Podien mit Vertretern aus Politik, Kirche und Gesellschaft verwandelten die Revierstadt in eine Debattenarena. Die wichtigsten Themen und Thesen des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags im Überblick:
Klimaschutz
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte beim Kirchentag, dass Deutschland seine CO2-Netto-Emissionen bis 2050 auf null zurückfahren will – auch wenn auf EU-Ebene eine solche Zielsetzung für alle Mitgliedsstaaten kürzlich gescheitert war. Juso-Chef Kevin Kühnert und die Präsidentin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, forderten Merkel und ihr Kabinett auf, rasch das geplante nationale Klimagesetz zu verabschieden, für das auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) beim Protestantentreffen warb. Die Politiker mussten sich auf den Podien auch immer wieder kritischen Fragen von Vertretern der „Fridays For Future“-Bewegung stellen.
Umgang mit der AFD
Die Entscheidung des Kirchentagspräsidiums, keine AfD-Politiker einzuladen, hatte schon im Vorfeld für Diskussionen gesorgt. Kirchentagspräsident Hans Leyendecker betonte, dass man AfD-Politikern „kein Podium für ihre populistische Propaganda“ bieten wollte. Für diese Haltung bekam der Kirchentag unter anderem Rückendeckung vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU): „Kirchentage sind nicht neutral.“ Bei einem Barcamp mit dem Titel „Das soll doch noch gesagt werden dürfen“ waren aber explizit auch AfD-Anhänger aufgerufen, ihre Meinung zu äußern. Die AfD baute als Protest dagegen, dass kein Vertreter der Partei auf einem Podium sprechen durfte, einen Info-Pavillon in der Nähe des Kirchentagsgeländes an den Westfallenhallen auf.
Rechtsextremismus
Ob in Bibelarbeiten oder Diskussionsrunden: Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Menschen auf dem Kirchentag besonders bewegt. Kanzlerin Merkel drang auf eine umfassende Aufklärung möglicher Verbindungen zur rechtsterroristischen Gruppe NSU. „Wir haben den Betroffenen damals Versprechungen gegeben“, sagte sie mit Blick auf die Todesopfer des NSU. Wenn man jetzt nicht genau nach Verbindungen schaue, „haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit“. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte: „Wenn massiv und systematisch Misstrauen gegen Menschen in politischer Verantwortung gesät wird, Menschen auf dieser Basis attackiert und beschuldigt werden, dann kann das Gift sogar tödlich wirken.“
Seenotrettung
Alle im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge müssten aufgenommen und auf die Länder der Europäischen Union verteilt werden, forderte der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. Er mahnte, dass Europa seine Seele verliere, wenn bei jedem Schiff neu darüber verhandelt werden müsse, wo und ob überhaupt die Menschen an Land gehen dürften. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, bezeichnete das Ertrinken von Flüchtlingen als „eine Schande für Europa“. Er forderte alle Bürgermeister des Kontinents auf, sich als „sichere Häfen“ für gerettete Flüchtlinge zu melden und Flüchtlinge aufzunehmen. Kirchentagsteilnehmer verabschiedeten eine Resolution, in der sie die EKD und die Landeskirchen aufforderten, selbst ein Rettungsschiff in die „tödlichsten Gewässer der Welt“ zu schicken.
Digitalisierung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte auf dem Kirchentag neue „Spielregeln“, also internationale Vereinbarungen, für die digitale Welt. Was einmal gestaltet worden sei, könne neu gestaltet werden, einmal Programmiertes umprogrammiert werden, sagte er. Aktuell werde die Digitalisierung allerdings durch Großkonzerne fremdbestimmt. „Die digitale Welt von heute dient jedenfalls jetzt noch den Interessen derer, die unsere Geräte voreinstellen, unsere Anwendungen programmieren und unser Verhalten lenken wollen.“ EKD-Ratsmitglied Volker Jung rief die Kirchen dazu auf, die Chancen der Digitalisierung für eine gerechtere Gesellschaft zu nutzen. Die analoge Begegnung von Mensch zu Mensch sei zwar unersetzbar. Sie könne aber digital ergänzt werden, etwa durch die Einbindung von Menschen, denen ansonsten kaum gesellschaftliche Teilhabe möglich wäre.
Missbrauch
Prominente Theologen bezeichneten die Missbrauchsfälle als Zäsur für ihre Kirchen. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider forderte eine neue „Kultur des Vertrauens im Zusammenhang mit Sexualität“. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sagte, dass die Kirche noch immer „raus aus dem Tabu“ müsse beim dem Thema. Sie fordert nicht nur, Vergangenes vollständig aufzuarbeiten, sondern auch aktuelle Schutzkonzepte und Schutzräume aufzubauen. Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann sagte: „Unsere Kirchen sind verpflichtet, nicht die Täter zu schützen, sondern die Opfer.“
Angst
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck appellierte an die Menschen in Deutschland, sich nicht von Ängsten leiten zu lassen. „Wir müssen unserer Angst den Abschied geben. Niemals soll sie herrschen über uns“, sagte Gauck. Auch der Journalist Heribert Prantl plädierte auf dem Kirchentag für mehr Zuversicht – und hielt einen flammenden Appell für mehr Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik, für Widerstand gegen Populismus und Mut für Lösungen in der Klimapolitik. „Die Kraft der Hoffnung ist die Kraft gegen die Angst“, sagte Prantl.