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Eintritt und Wiedereintritt in die evangelische Kirche, EKD-Texte 107, 2009
2. Theologische Fragen des Kircheneintritts
Der (Wieder-)Eintritt in die evangelische Kirche ist theologisch und kirchenrechtlich, aber auch im Blick auf die Biographie der (Wieder-)Eintretenden zu betrachten. Dabei kommt es auf den Zusammenhang der unterschiedlichen Perspektiven an. Die Kirche und die für sie verantwortlich Handelnden, die Wiedereintretenden und die aufnehmenden Gemeinden sind in diesem Prozess in einer Weise beteiligt, die viel über ihr jeweiliges Selbstverständnis aussagt. Subjektive Motive zum Wiedereintritt und die kirchliche Bereitschaft zur Wiederaufnahme begegnen sich. Es treffen aber auch persönliche Lebensentscheidungen und institutionelle Regeln aufeinander. Darum bedarf der (Wieder-)Eintritt als Rechtsakt zugleich der Bemühung um ein gemeinsames theologisches Verständnis.
Die evangelische Kirche hat eigene Ordnungen. Ihre Aufgabe ist es, diese ernst zu nehmen und verständlich zu machen. Gelingt ihr das nicht, dann erscheinen ihre Regeln und Organisationsformen als Fremdbestimmung und wirken dementsprechend. Einsichten in die Grundlagen kirchlichen Handelns und juristische Aufklärung über das Mitgliedschaftsrecht können eine wichtige Hilfe sein, das Selbstverständnis der evangelischen Kirche zu verdeutlichen. Die empirischen Beobachtungen zu den multikausalen biographischen Dimensionen des Wiedereintritts erfordern bei Beteiligten eine große Flexibilität im Umgang mit dem Phänomen Wiedereintritt. Weder kann die Ordnung alles regeln, noch ist die Selbstbeschreibung der Kirche in der Lage, alle wesentlichen Aspekte zu erfassen, unter denen sich Menschen ihr (wieder) annähern.
Zur theologischen Verantwortung gehört die Darlegung des evangelischen Verständnisses der Kirche ebenso wie die Wahrnehmung der sozialen und individuellen Phänomene rund um den Kircheneintritt. Die Gestaltung kirchlicher Praxis muss beides gleichermaßen ernst nehmen. In einer individualisierten und institutionell ausdifferenzierten Gesellschaft kann sich die Kirche mit dem einfachen Schema von Abkehr und Rückkehr, von Austritt und Neuanfang nicht hinreichend orientieren. Zwischen den Perspektiven der beteiligten Subjekte, den organisatorischen Vollzügen (Wiedereintrittsregeln) und der theologischen Begründung von Mitgliedschaft zu unterscheiden, bereichert das Selbstverständnis der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden.
2.1. Biographische Dimensionen
Das Verhältnis zur Kirche wird in einer Spannung von Nähe und Ferne erlebt. Die Zugehörigkeit zu Institutionen ist zudem immer auch durch Imaginationen „aufgeladen“: Institutionen und ihr organisatorisches Handeln werden im Horizont von Bildern begriffen, die sich Menschen von ihnen machen. Solche Imaginationen sind auch dann wirksam, wenn sie mit der Realität nur wenig oder mit dem Selbstverständnis der Institution so gut wie nichts zu tun haben. Empirische Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass Erfahrungen mit Pfarrerinnen und Pfarrern die Erwartungen (und Befürchtungen) von Kirchenmitgliedern weit mehr bestimmen, als es einer verbreiteten evangelischen Grundüberzeugung entspricht, die – ausgehend vom „allgemeinen Priestertum“ – die Bedeutung des Pfarrberufs als „Schlüsselberuf“ für die Wahrnehmung der Kirche relativieren möchte. Für Außenstehende gilt die zentrale Bedeutung der Erfahrungen mit Pfarrerinnen und Pfarrern erst recht. Für die Zustimmung zur Institution ist deren Erscheinungsbild in der Mediengesellschaft oft wichtiger als Beteiligungsmöglichkeiten im inneren Aufbau gemeindlicher und synodaler Strukturen. Darum ist es keine Überraschung, dass die Wiederannäherung an die Kirche mitunter auf anderen Wegen erfolgt, als es die kirchlich vorgesehene Normalbiographie für Rückkehrwillige vorsieht. Die hohe Mobilität der Gesellschaft schlägt sich nicht nur in Zuzug und Wegzug von Mitgliedern nieder. Sie bringt auch Horizontverschiebungen mit sich, die bereits gemachte Erfahrungen verändern und neue Perspektiven eröffnen können. Insofern reicht es nicht aus, den Austritt aus der Kirche als einen Abschied aus einem gemeinsamen Leben zu beschreiben, zu dem man später wieder Zutritt sucht. Der Wunsch, wieder dazuzugehören, findet zu seinem Ziel, auch ohne dass der Wiedereintritt als Bekehrungsgeschichte oder als Heimkehr verstanden werden muss. Behandelt die Kirche den Wiedereintritt nach dem Muster von Abkehr und Rückkehr, unterschätzt sie unter Umständen die Dynamik, mit der sie es zu tun bekommt. Sie imaginiert dann ihrerseits ein Verhalten, das sich – so zeigen es die empirischen Befunde – anders darstellt.
Doch auch auf der Seite der (Wieder-)Eintretenden finden sich typische Vorstellungen und Imaginationen, die ihr Verständnis der Kirche bestimmen. Begreift man beispielsweise die Kirche als Dienstleistungsunternehmen, weil man sie in ihrem Kasualhandeln positiv erlebt, so verbindet man mit dem Wiedereintritt andere Vorstellungen, als wenn man sie nach dem Muster der Zusammengehörigkeit von Brüdern und Schwestern denkt. Erlebt man die Gemeinde als Angebot von Kirchenchor und Seniorenkreis, Krabbelgruppe und Kindergottesdienst, als politisch engagierte Friedensgruppe oder als einen Ort nachbarschaftlicher Zusammengehörigkeit, so denkt und erlebt man sie unter dem Bild eines Vereins. Ob man sich zugehörig fühlt, entscheidet sich dann daran, dass man den Zweck, der eine Gruppe zusammenführt, anerkennt, am dem Maß, wie dieser Zweck realisiert wird, aber auch an lebensgeschichtlichen Konstellationen, die wechselnde Nähe und Ferne mit sich bringen. Zugehörigkeit zum Seniorenkreis schließt ein Interesse an der Krabbelgruppe nicht notwendig ein und Engagement hier, kann mit Desinteresse dort, einhergehen. Die Zugehörigkeit zur Kirche wird in solchen Fällen im Horizont bestimmter Interessen und Präferenzen erlebt. Kein Wunder also, dass es der Kirche dann wie einem Verein ergeht, der die Interessen seiner Mitglieder nicht mehr befriedigt: Sie verliert zunächst den Anteil aktiver Beteiligung, später den „Mitgliedsbeitrag“, also die nur passiv ausgeübte Mitgliedschaft. Dass sich der Kirchenaustritt auch formal in der Aufkündigung der Kirchensteuer vollzieht, verstärkt den vereinsrechtlichen Eindruck.
Andere Bilder und Vorstellungen erzeugt dagegen die Orientierung am Selbstverständnis einer Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern. Auch im familiären Zusammenhalt kann es zu Entfremdungen, zu schleichendem Verlust oder zu demonstrativer Verweigerung von Kontakten kommen. Wer sich den „Familienbanden“ entzieht, provoziert andere Reaktionen als jemand, der aus einem Verein austritt. Wer zur Familie gehört, bleibt in einem signifikanten Sinn Kind der Eltern, Bruder oder Schwester, so hart die Verwerfungen sich auch ausnehmen mögen. Austritt und Wiederannäherung an die Kirche in Analogie zu solchen Phänomenen zu betrachten, heißt, den Wiedereintritt in einem anderen Horizont zu erleben.
Noch einmal anders stellt es sich dar, wenn man an das „Christentum außerhalb der Kirche“ denkt. Besonders in einer medial bestimmten Öffentlichkeit kann „Kirchlichkeit“ auch als „Bereitschaft zum Hervortreten eines christlichen Bewusstseins“ (Schleiermacher) auftreten. Den verschiedenen Bildern (Verein, Familie, Zugehörigkeit) entsprechen unterschiedliche Formen sozialer Inklusion und Exklusion.
Ihrem Selbstverständnis nach ist die Kirche eine Gemeinschaft der Glaubenden, der es um Gott und nicht ums Geld geht. Aber es kann ihr nicht gleichgültig sein, dass sie der Verlust von Mitgliedern auch finanziell empfindlich trifft. Dass sich die Kirche allein durch die Verkündigung des Evangeliums konstituiert, schließt darum keineswegs aus, dass sie sich auch um Formen der Mitgliedschaftspflege und -werbung bemüht. Das gilt auch dann, wenn sie den Austritt als Bruch eines Konsenses in Glaubensfragen versteht, von dem sie anlässlich des Wiedereintritts erwartet, er sei – oft nach einem langen Prozess – nun wiederhergestellt. Sie kann an dieser Erwartung glaubwürdig festhalten, ohne diese im individuellen Leben überprüfen zu können oder zu wollen. Denn sie nimmt die Verborgenheit des Glaubens gerade auch im Verhältnis zu ihren Mitgliedern ernst. Weil sie damit rechnet, dass der Glaube zu den Menschen kommt, muss sie nicht ängstlich darüber wachen, ob Menschen zum Glauben kommen.
Die Erwartungen an den Wiedereintritt sind auch durch die Erinnerung an den Austritt bestimmt. Das gilt für die Geschichte der Austrittsentscheidung mit ihren Erfahrungshintergründen und Motiven. Aber es gilt wohl auch für das Austrittsverfahren selbst.
Vollzog sich der Austritt aus der Kirche als Entscheidung gegen den christlichen Glauben, ist der Wiedereintritt nicht nur die Revision einer Mitgliedschaftsentscheidung. Als Umkehrung des Lebensweges ist er eine Konversionsgeschichte. Motivierte den Austritt dagegen eine Abkehr von der Organisation und Institution unter dem Anspruch bleibender eigener Zugehörigkeit zum Christentum, so revidiert der Wiedereintritt zwar die Mitgliedschaftskündigung, er wird aber dann viel stärker in der Kontinuität des eigenen Lebensweges gesehen. In solchen Fällen erfolgt dann ein weiterer konsequenter Schritt gleichsam unter veränderten Bedingungen. Der Wiedereintritt wird dann durchaus in partieller Übereinstimmung mit den Motiven des Austritts vollzogen. Man muss die eigene Austrittsentscheidung nicht bereuen, sondern man kann geltend machen, dass sich die Kirche geändert hat und neues Vertrauen verdient. Vielleicht war der Austritt aber auch nur ein Ausdruck einer bedeutungslos gewordenen oder von Anfang an nur sekundär zugeschriebenen Mitgliedschaft. Dann kann der Wiedereintritt von einem neuen Selbstverständnis, aber auch von neuen Zielen bestimmt sein.
Gemeinsam ist in diesen unterschiedlichen Fällen gleichwohl, dass die Form des Austritts den Horizont für den Prozess des Wiedereintritts bildet. Der Austritt wurde gegenüber einem Dritten (Amtsgericht, Einwohnermeldebehörde, Standesamt) erklärt. Er erfolgte also als behördliche Erklärung, bei der – aufgrund der weltanschaulichen Neutralität des Staates – nicht nach Gründen oder persönlichen Motiven gefragt wird, sondern die lediglich entgegengenommen und weitergeleitet wird. Darin gründet die Erwartung, dass auch der Wiedereintritt schnörkellos einfach, gleichsam durch das Ausfüllen eines Formulars vor sich geht. Doch dem ist nicht so. War das Subjekt beim Austritt „Souverän“ seiner Entscheidung, erfährt es sich nun in einer anderen Rolle. Der Wiedereintritt ist keineswegs aufwandsarm. Dies liegt auch daran, dass sich die Kirche von diesem Vorgang selbst ein anderes Bild macht. In ihrem Selbstverständnis und im Aufbau ihrer organisatorischen Strukturen wird Mitgliedschaft anspruchsvoll bestimmt. Das gilt theologisch wie kirchenrechtlich.
2.2. Theologische und kirchenrechtliche Dimensionen
Die Kirche als Gemeinschaft der Sünder, die von der Gnade Gottes leben, weiß darum, dass sie selbst und jeder einzelne Christenmensch in ihr der täglichen Umkehr bedarf. Sie wundert sich nicht über die verschlungenen Wege, die die Wiedereintretenden gegangen sind. Als Gemeinschaft der Glaubenden geht sie davon aus, dass jedes ihrer Glieder in solchem Glauben lebt. Aber sie begreift den Glauben nicht als Leistung, die zu erbringen wäre, oder als Werk des Menschen. Darum weiß gerade die evangelische Kirche um die Verborgenheit und Individualität des Glaubens ihrer Glieder. Sie zielt auf Glauben, aber kann ihn weder abfordern noch abfragen. Darum verlangt sie auch von den Eintrittswilligen keine anderen Erklärungen als die Artikulation des Willens, dazu zu gehören. Aber als Kirche des Wortes, die das verkündigt, was sie sich selbst gesagt sein lässt, hat sie auch die Verantwortung, die Wiedereintretenden über die Eigenart der evangelischen Kirche und die Bedeutung der Mitgliedschaft aufzuklären. Dafür müssen im Gespräch und in der gottesdienstlichen Feier Freiräume vorhanden sein. Die evangelische Kirche ist bekennende Kirche, die die Eindeutigkeit ihres Bekenntnisses in Freiheit vertritt. Diese darf ihr weder zu einer Glaubensforderung noch zu einem Formalismus festgelegter Formeln missraten, sonst verfälscht sie die Eigenart reformatorischen Glaubens. Zur evangelischen Kirche gehört eine starke Mitgliedschaft – nicht durch Zwang, sondern durch die Bindekraft des Glaubens.
Für die evangelische Kirche hat dabei die Taufe einen unwiderruflichen Charakter: Sie bestätigt die Wirklichkeit des Heils im individuellen Leben ein für alle Mal. Das Verhalten der Getauften kann ihrer Taufe widersprechen, aber Gottes Tat für den Menschen nicht ungeschehen machen. Obwohl die Taufe (etwa in der Konfirmation) durch den Willen, zur Kirche gehören zu wollen, auch subjektiv besiegelt wird, bleibt die Vorstellung ausgeschlossen, der Wiedereintritt bedürfe einer Wiedertaufe. Im Gegenteil: In der Taufe wird die Wirklichkeit des Glaubens bzw. der definitive Übergang vom Unheil ins Heil als ein Geschehen gefeiert, bei dem die eigene Entscheidung immer nur bestätigen kann, nicht der konstitutive Grund des Heils zu sein.
Aus der Tauftheologie, die ihrerseits Ausdruck der Rechtfertigung des Gottlosen durch Gott ist, begründet sich die Einstellung der evangelischen Kirche (und ihrer Glieder) zu den Ausgetretenen und in besonderer Weise zu den Wiedereintrittswilligen. Deshalb wird in der Studie der Kammer für Theologie der EKD Taufe und Kirchenaustritt [18] der Verlust der Mitgliedsrechte nicht als Kirchenzucht gegenüber Abtrünnigen verstanden. Er ist vielmehr eine Konsequenz, an der man erkennen kann, dass sich kirchliches Handeln immer auch im Raum des Kirchenrechtes vollzieht. Weil die Kirche an ihrem Glauben an die Rechtfertigung der Gottlosen auch dort festhält, wo sich Menschen von ihr und ihrer Botschaft abwenden, quittiert sie den Austritt nicht mit Sanktionen, sondern begreift ihn als Verlust von Rechten aufgrund der Aufkündigung von Pflichten. Sie folgt ihrem Mitgliedschaftsrecht, das die Freiheit aller Beteiligten sichert.
Im Wiedereintritt trifft daher der subjektive Wille zur Rückkehr auf den Willen zur Wiederaufnahme. Aber es besteht keine Asymmetrie zwischen Wiedereintretenden und aufnehmender Gemeinde. Das begleitende Gespräch ist vielmehr eine Verständigung zwischen Getauften über die Frage, was es heißt, zur Kirche zu gehören.
Wenn es stimmt, dass viele Menschen ihren Austritt aus der Kirche als eine Bestätigung längst eingetretener Entfremdung begreifen, so gilt doch zugleich, dass die Kirche den Vorgang als einen Bruch erlebt. An ihm nimmt sie ihr eigenes Versagen genauso zur Kenntnis, wie sie über das Verhalten langjähriger Mitglieder enttäuscht ist. Aber sie begreift sehr wohl, dass Gottes Wege mit den Menschen nicht an den Grenzen der Kirchentüren enden. Niemand gehört darum zu Christus, weil er zur Kirche gehört. Vielmehr ist es die Eigenart evangelischen Glaubens, sich darum in der Kirche zu finden, weil er Glaube an Christus ist. Hält sich die Kirche an diese Einsicht, dann wird sie ihre Enttäuschung über den Austritt mit dem Auftrag verbinden können, allen einladend und in seelsorglicher Verantwortung zu begegnen. Das bestimmt auch ihr Verhalten im Prozess des Wiedereintritts.
Die Kirche nimmt den Wiedereintritt also unter anderen Perspektiven wahr, als es die durch die Erfahrung des Austritts geprägte Biographie nahe legt. Die Unterschiedlichkeit der Bilder und Erfahrungen zeigt sich darum vor allem an dem Umstand, dass der Austritt ein bloß subjektiver Akt war, den die Kirche sekundär zur Kenntnis nehmen musste. Der Wiedereintritt dagegen ist von zwei Willen bestimmt: Er kann nur als Wiederaufnahme vollzogen und dargestellt werden [19]. Beim Wiedereintritt entspricht dem spiegelbildlich, dass nun der Rechtsstaat die Mitteilung des erfolgten Wiedereintritts hinnimmt und als ein Bekenntnis notiert, während die Kirche als Subjekt der Wiederaufnahme auftritt. Schon die Tatsache, dass sie überprüfen muss, ob es sich überhaupt um einen Wiedereintritt handelt (und nicht um ein Taufbegehren oder eine Konversion), erfordert ihr Handeln als Organisation. Sie führt sich dabei aber weder als obrigkeitliche Anstalt auf, die Untertanen Erlass erteilt, noch sollte sie den Eindruck erwecken, die Mitgliedschaft sei in die freie Disposition der Subjekte gestellt.
Wichtiger als die Prüfung der Akten ist der Kirche aber der Austausch über Motive und Erwartungen, eine umfassende Beratung über die Rechte und Pflichten, vor allem das Gespräch über die Eigenart evangelischen Christseins in Fortsetzung und Wiederaufnahme ihrer seelsorglichen Aufgaben.
Konkret besagt dies im Blick auf die liturgischen Konsequenzen: Die Kirche tut gut daran, die Wiederaufnahme nicht als Vergebung einer Verfehlung gegen die Gemeinschaft zu inszenieren, sondern als einen neuen Schritt auf einem Weg zu feiern, auf dem alle Glaubenden unterwegs sind. Zugleich hat sie die Wiederaufnahme als einen Rechtsvorgang verständlich zu machen, in dem Zugehörigkeit Gestalt gewinnt.
2.3. Ekklesiologische Dimensionen
Die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche spielt für das Selbstverständnis der evangelischen Kirche und darum auch im Zusammenhang von Wiedereintritt und Kirchenmitgliedschaft eine wichtige Rolle. Man versteht sie freilich falsch, wenn man die „Unsichtbarkeit“ der Kirche nach dem Muster eines Ideals denkt, das in der empirisch sichtbaren Realität nur unvollkommen verwirklicht ist. Dieses Missverständnis befördert man, wenn man zwischen einer inneren, subjektiven Zugehörigkeit und einer bloß äußeren Mitgliedschaft unterscheidet. Unsichtbar ist die Kirche vielmehr im Sinne der Verborgenheit aller geistlichen Angelegenheiten: Keiner schaut dem anderen ins Herz, keinem steht der je eigene Glaube des Anderen zur Beurteilung offen.
Trotz der Verborgenheit der wahren Kirche ist ihr Dasein in der Realität genau identifizierbar: Man erkennt sie an der rechten Verkündigung des Evangeliums und an dessen Feier in Taufe und Abendmahl. In diesen Zeichen wird die verborgene Kirche konkret identifizierbar.
Martin Luther sprach lieber von der Christenheit als von der Kirche und beschrieb sie als Versammlung der Glaubenden, die sich nicht durch ihre eigene Entscheidung, sondern durch Gottes Wort konstituiert. Solche Christenheit ist nach protestantischer Überzeugung nicht an bestimmte Orte (weder an Rom noch an Wittenberg) gebunden und unterliegt auch nicht institutioneller Macht oder organisatorischer Machbarkeit. Die Organisation der Kirche bleibt daher eine nachgeordnete Angelegenheit gegenüber der Rede vom Glauben.
Allerdings hat der Protestantismus auch keinen Anlass, den Kirchenbegriff zu spiritualisieren. Der christliche Glaube ist nach evangelischem Verständnis konstitutiv auf die reale Gemeinschaft von Glaubenden bezogen. Das Loblied auf die Geisterfülltheit des Glaubenden, der der unsichtbaren Kirche angehört, ohne Mitglied der sichtbaren Kirche zu sein, stimmt die evangelische Kirche nicht an. Ebenso wenig sucht sie die Zukunft des Protestantismus in ihrer Selbstauflösung im Feld christlicher Kultur. Sie weist einen Dualismus von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Geist und Institution zurück. Die Verborgenheit des Glaubens läuft nicht auf eine solche Innerlichkeit hinaus, die alle weltlichen Formen menschlichen Handelns als bloß sekundär beiseite rückt. Gerade der Vorrang der verborgenen Kirche kann und muss in der Kirche und ihren Ordnungen sichtbar werden (Barmen III) [20]. Auch wenn die Ordnung der Kirche wie das Recht eine weltliche und keine heilige Angelegenheit ist, so heißt das nicht, dass sie eine Sache der Beliebigkeit oder der jeweils wechselnden Opportunitäten wäre.
Die evangelische Kirche zeichnet sich durch einen starken und anspruchsvollen, weil zur Selbstdifferenzierung fähigen Kirchenbegriff aus. Gerade darum bedarf der evangelische Glaube der Aufmerksamkeit für die empirische Gestalt der Kirche und für die Formen ihres organisatorischen Handelns bis hin zu ihrem Mitgliedschaftsrecht.
Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnis von Ortsgemeinde, Landeskirche und EKD. Die Frage, in welche dieser Größen man eigentlich eintritt, eröffnet erneut den Spielraum unterschiedlicher Kirchenbilder und -vorstellungen. Es ist gut, dass Wiedereintrittsstellen Aufgaben und Kompetenzen erhalten, die vor Ort in der Parochialgemeinde nicht erfüllt werden können. Aber die Orientierung des Kirchenbildes an der gottesdienstlichen Versammlung darf dabei so wenig undeutlich werden, wie sie nicht mit der sozialen Form der „Kerngemeinde“ verwechselt werden darf.
Zugleich ist auch nicht zu bestreiten, dass sich in unserer Gegenwart durch hohe Mobilität, aber auch durch neue Formen medialer Beteiligung die ältere Sozialform der „Versammlung“ verändert. Beteiligungsformen differenzieren sich aus und ordnen sich nicht mehr entlang der Differenz des Mitgliedschaftsrechts. Entwicklungen, die zur Auflösung oder Kompensation der klassischen Parochie, zu Personalgemeinden, Kulturkirchen und zu Funktionspfarrämtern geführt haben, sind vor allem in den Großstädten unverkennbar. Die Kirche kann produktiv mit dieser neuen Situation umgehen, ohne die traditionelle Ortsgemeinde schlechtzureden oder zu vernachlässigen. Indem sie unterschiedliche Formen nebeneinander bestehen lässt, muss sie die sich ergebenden Mitgliedschaftsfragen auch regeln. Sie wird zum Beispiel Kompetenzen von Menschen, die in bestimmten Bereichen zur Mitarbeit bereit sind, aufnehmen und muss diesen dann auch bereichsbezogene Partizipationsrechte einräumen. Zu denken ist an Beauftragungen – etwa im Vorstand eines Kirchbauvereins – auch von Menschen, die keine Mitglieder der Kirche (mehr) sind. Überlegungen zu einem gestuften Mitgliedschaftsrecht in Analogie zur staatlichen Integration (Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene) sind aber darum keine sinnvolle Weiterentwicklung, weil sie zur Aufspaltung zweier unterschiedlicher Formen der Mitgliedschaft führen, also zu einer „Kirchenmitgliedschaft light“ [21], die es nach evangelischem Verständnis nicht geben kann. Jedoch kann sich die Kirche der Ausbildung vereinsrechtlicher Verhältnisse auch produktiv bedienen. Eine Mitgliedschaft im Förderverein, das Engagement in Kirchenmusik oder Altenarbeit, die Mitgliedschaft im Verein „Kirche und Kultur“ können als Partizipationsformen an kirchlichem Leben begriffen und gewürdigt werden. Auch Kirchenvorstände oder Synoden können mit beratender Stimme Menschen hinzuziehen, deren Sachverstand und Erfahrungshintergrund in ihrer ureigensten Aufgabe eine Hilfe ist.
Die Kirche muss nicht davor zurückschrecken, dass Menschen in unterschiedlicher Intensität und Nähe Gemeinschaft mit ihr suchen. Neben das Mitgliedschaftsrecht in seiner klar erkennbaren Eindeutigkeit können Formen der Beteiligung treten, die es nahelegen, überlappende Verantwortlichkeiten zwischen der Kirche und den entsprechenden Vereinen auch rechtlich zu regeln.