Schön, dass Sie (wieder) da sind!
Eintritt und Wiedereintritt in die evangelische Kirche, EKD-Texte 107, 2009
4. Wege des (Wieder-)Eintritts
4.1. Wiedereintritt – einst und jetzt
Rechtliche Regelungen sind nötig, aber sie können eine sensible Begleitung auf dem je persönlichen Weg hin zur Kirchenmitgliedschaft nicht ersetzen.
Ausgetretene galten lange Zeit als Kandidaten für Kirchenzucht. Demgegenüber wird heute stärker die „bleibende Zugehörigkeit der Getauften zu Jesus Christus im Sinne eines unverbrüchlich geltenden Indikativs des Heilszuspruchs“ betont [27]. Der kirchliche Dienst an den Ausgetretenen könne deshalb „nur mit einem Positivum, einem ‚geistlichen Plus’“ beginnen.
Für die pastorale und kirchliche Arbeit bedeutet das, dass evangelische Kirchen und Gemeinden Ausgetretenen nicht mit Desinteresse oder Nichtbeachtung begegnen können, sondern dass durch die Taufe eine bleibende Bezogenheit und damit eine dauerhafte Verpflichtung diesen Menschen gegenüber gegeben ist.
Eine solche Position ist keineswegs selbstverständlich. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sah eine Wiederaufnahme anders aus. Vor allem die Erfahrungen des Kirchenkampfes trugen dazu bei, dass die Evangelische Kirche damals darum bemüht war, die Ernsthaftigkeit des Aufnahmewunsches sicherzustellen. Die Wiederaufnahme wurde daher mit einer aufwändigen Prozedur (Beichte, Bußhandlung, Wartezeit, öffentliche Bekanntgabe, Teilnahme am Abendmahl) verbunden.
Die Situation ist mittlerweile eine andere. So ist etwa die Kirchenmitgliedschaft weit weniger selbstverständlich als in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, die Zahl der Austritte ist nach wie vor hoch gegenüber der Zahl der Eintritte. Das trägt dazu bei, bei der Hinwendung von Menschen zur Kirche, insbesondere beim (Wieder-)Eintritt, von einer insgesamt größeren Ernsthaftigkeit auszugehen. Die Absicht, vorhandene Hindernisse zu beseitigen und Schwellen zu senken, hat daher gute Gründe.
Stand nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskontinuität durch den Kirchenaustritt im Vordergrund, so wird mittlerweile vor allem die durch die Taufe gegebene Kontinuität hervorgehoben. Für kirchliches Handeln ist es wichtig, dass beide Aspekte in angemessener Weise bedacht werden.
In der heutigen Situation besteht das gemeinsame Ziel der unterschiedlichen Bemühungen in der Evangelischen Kirche im Hinblick auf (Wieder-)Eintritte darin, Menschen zu diesem Schritt zu ermutigen, ihn zu erleichtern und so dem missionarischen und seelsorglichen Auftrag ihnen gegenüber zu entsprechen.
Wenn Menschen den Wunsch haben, (wieder) zur Evangelischen Kirche zu gehören, dann sollten Sie nicht den Eindruck bekommen, einem bürokratischen Apparat mit vielen Anforderungen zu begegnen, sondern einer Atmosphäre der Offenheit und Gastfreundschaft. Wichtig ist insbesondere, dass sie Menschen begegnen, die sie auf ihren sehr unterschiedlichen Wegen in die Kirche und zum Glauben ernst nehmen und auf hilfreiche Weise begleiten.
4.2. Wegbegleitung
Der formale Akt des Kircheneintritts ist nicht identisch mit einem bewussten Glaubensschritt und es gibt Menschen mit unterschiedlichen Motivationslagen im Hinblick auf den Eintritt. Insgesamt – das zeigen auch empirische Untersuchungen – kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich Eintretende und Eingetretene eng mit „ihrer“ Kirche verbunden fühlen. Der Respekt davor, dass Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen auch ihre Zugehörigkeit zur Kirche unterschiedlich gestalten, darf nicht mit einem Desinteresse verwechselt werden. Wichtig ist es daher, dass das Interesse der Kirche nicht nur ihrer Mitgliedschaft als solcher gilt, sondern vor allem ihrer Person und ihrem Lebens- und Glaubensweg.
Manche Menschen wünschen, dass ihre Wiederaufnahme in die Evangelische Kirche möglichst wenig Beachtung findet. Daher kann es vereinzelt Beschwerden über ein „Zuviel“ geben. Die gebotene Zurückhaltung gegenüber einer Vereinnahmung darf jedoch nicht dazu führen, dass Menschen zwar gerne als Mitglieder aufgenommen werden, danach aber sich selbst überlassen bleiben. Betrachtet man die Art und Weise, wie Vereine und non-profit-Organisationen sich um Mitgliederpflege bemühen und auf unterschiedliche Weise versuchen, ihren Mitgliedern gegenüber Beachtung und Wertschätzung zum Ausdruck kommen zu lassen, dann relativiert das die Sorge vor zu großer Aufdringlichkeit.
Eine Begleitung muss Raum geben für Fragen und Ängste, bereit sein, Bedürfnisse nach Distanz zu akzeptieren – und zugleich aufmerksam für Erwartungen und Hoffnungen zu sein, die nicht artikuliert werden, aber dennoch vorhanden sein können: die Hoffnung auf Begleitung und Unterstützung auf dem Lebens- und Glaubensweg oder die Sehnsucht danach, dass die Gemeinschaft der Kirche, der sie (wieder) angehören werden, für sie in hilfreicher Weise erfahrbar wird.
Deshalb gehört zur (Wieder-)Aufnahme verbindlich ein Gespräch. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Eintrittswilligen diesen Schritt selbst gründlich überlegt und für sich „geprüft“ haben. Das Gespräch dient der Klärung und dreht sich um die Frage, was für den persönlichen Glaubensweg dieser Menschen hilfreich ist.
Selbst dort, wo ein Eintritt ohne spezifische Motivation und ohne Interesse an Begleitung erfolgt, machen Mitarbeitende in Eintrittsstellen die Erfahrung, dass Eintretende wünschen und erwarten, dass dieser Schritt entsprechend begangen und gewürdigt wird. Formen ritueller und liturgischer Begleitung von Andachten und Segnungen bis hin zu Gottesdiensten werden in nicht wenigen Fällen dankbar in Anspruch genommen. Tauf- und Glaubenskurse bieten eine Möglichkeit, den Schritt inhaltlich zu füllen und zu vertiefen [28].
Der Rekurs auf die Taufe oder die Vorbereitung auf die Taufe kann hier den Weg weisen: Eine Wegbegleitung steht vor der Aufgabe, das, was die Taufe bedeutet, in einer seelsorglichen Weise in das Gespräch einzubringen und Hilfen zu geben, dass es erfahrbar wird. Menschen können dabei entdecken, dass Taufe und Glaube mehr für ihr Leben bedeuten, als sie bisher annahmen.
Die Taufe ist einerseits ein persönlicher Zuspruch für den Einzelnen, der auf die Antwort des Glaubens zielt. Für „Wegbegleiter“ ist das verbunden mit der Aufgabe, Menschen zu helfen, die Zusage des Evangeliums in ihrer persönlichen Situation zu vernehmen und zu entdecken, dass ihre Lebensgeschichte ein Teil der Gottesgeschichte ist.
Anderseits ist die Taufe Einverleibung in den Leib Christi der Kirche, da zum christlichen Glauben wesentlich die Gemeinschaft gehört. Daher kann gemeinsam mit den (Wieder-)Eingetretenen nach Wegen zu einer „geistlichen Beheimatung“ [29] gesucht werden.
Diese Suche kann nicht auf vorhandene Aktivitäten in den Gemeinden beschränkt bleiben, viele finden leichter Zugang zu neuen Formen wie Online-Gemeinschaften oder Angeboten im Umfeld von Eintrittsstellen.
Dass es „Unverträglichkeiten“ unterschiedlicher Art zwischen neu Eintretenden und den Gemeinden ihres Wohnortes geben kann, hat nicht erst die neuere Milieudiskussion gezeigt. Das Ziel einer geistlichen Beheimatung hat hier Vorrang vor einer zu engen Handhabung des Parochialsystems. Im Interesse der geistlichen Beheimatung sollte auch über neue Gemeindeformen nachgedacht werden [30]. Die Beheimatung erfordert weiter, darauf zu achten, dass neue Gemeindeformen über „situative Begegnungsorte“ hinaus Dauerhaftigkeit ermöglichen.
Bereits bei der Darstellung der Empirie des Kircheneintritts wurde auf die Bedeutung des sozialen Umfelds für diesen Schritt verwiesen. Auch nach dem Eintritt verliert es nicht an Bedeutung. Insbesondere dort, wo im sozialen Umfeld Kirchenmitgliedschaft eher die Ausnahme als die Regel bildet, ist die Frage nach sozialer Stützung der Kirchenmitgliedschaft wichtig. Das betrifft den größten Teil der ostdeutschen Regionen, aber etwa auch urbane und jugendkulturelle Milieus im Westen.
Bei aller erwünschten und nötigen Flexibilität gibt es daher neben theologischen Gründen – unter anderem dem Gemeinschaftsbezug des christlichen Glaubens – auch seelsorgliche und soziologische Gründe, grundsätzlich am konkreten Gemeindebezug der Mitgliedschaft festzuhalten. Es geht dabei vor allem darum, dass Gemeinde – in welcher Form auch immer – der Ort ist, an dem gelebt wird und erfahrbar werden kann, was christlichen Glauben kennzeichnet.
4.3. Kircheneintritt und Internet
Seit über fünf Jahren gibt es die Internetseite evangelisch.info als ein Kooperationsprojekt von vier Landeskirchen und der Internetarbeit der EKD. Verfolgte dieses Online-Projekt zu seinem Start das hauptsächliche Ziel, die Angebote der Kirche und die Vorteile der Kirchenmitgliedschaft in den verschiedenen Lebensphasen von der Geburt bis zur Sterbebegleitung positiv darzustellen, so wandelte sich der Charakter der Website auf Grund von Nutzeranfragen. Nicht die Mitgliedschaft als solche, sondern der Erwerb der Mitgliedschaft rückte in den Vordergrund des Interesses, die Internetseite wurde zur zentralen Anlaufstelle im Internet zur Anbahnung von Kirchenmitgliedschaft.
Über eine bundesweite Übersicht lassen sich Wiedereintrittsstellen in der eigenen Region finden, über eine bundesweite Suche nach Straße und Ort lassen sich in vielen Landeskirchen außerdem die Kontaktdaten des zuständigen Pfarramtes ermitteln. Zurzeit besuchen zwischen 90 und 150 Menschen täglich dieses Portal, dies ist rund ein Drittel mehr als vor ca. drei Jahren, die Tendenz ist weiter steigend. Über eine Kontaktfunktion können Fragen gestellt werden, die in der Regel innerhalb eines Werktages beantwortet werden. Eine interne Auswertung dieser Fragen zeigt, dass für viele Menschen das Internet der einzige niederschwellige Zugang zur evangelischen Kirche ist. Bereits die Wortwahl der Anfragenden macht deutlich, dass eine kirchliche Prägung oftmals nicht stattgefunden hat, so wollen Nutzerinnen und Nutzer des Portals sich wieder bei der Kirche „anmelden“ oder „einschreiben“. Ein überproportional hoher Anteil von Anfragen kommt von Bürgerinnen und Bürgern aus den östlichen Bundesländern, zum einen sind es Anfragen von Menschen, die zwar als Kind getauft wurden, aber dann ihre Kirchenmitgliedschaft verloren haben, zum anderen handelt es sich um Ungetaufte. In diesem Kontext wird von den Anfragenden die Taufe in der Regel als Eintritt verstanden.
Hinweise auf die hinter diesen E-Mails stehenden Lebensgeschichten verraten die Anfragen nur ansatzweise. Oft scheint auch hier die gewünschte Übernahme eines Patenamtes oder ein Umzug der äußere Anlass zur Beschäftigung mit den Fragen der Kirchenmitgliedschaft zu sein. Bei einzelnen Anfragen ergibt sich ein E-Mail-Dialog, in dem seelsorgliche Fragen angesprochen werden, bevor der Kontakt dann zu einer Wiedereintrittsstelle oder einem Pfarrer oder einer Pfarrerin vor Ort weitervermittelt wird.
Korrespondierend zur Niederschwelligkeit des Mediums Internet wird manchmal nach einem Eintritt „ohne Zeremonien“ gefragt, in Bezug auf die Erwachsenentaufe wird unter anderem auch gefragt, welche Voraussetzungen – wie etwa Unterricht – zu erfüllen seien.
Die Erfahrungen mit dem Betrieb der Internetseite zeigen deutlich, dass vielen Menschen kirchliche Strukturen fremd sind und sie oft sprachlich ihre Erwartungen an die Kirche nicht in kirchlicher Terminologie ausdrücken. Das Internetportal evangelisch.info ist der erste Kontaktpunkt zur Kirche, an dem sie „abgeholt“ werden müssen.
Wenn bei der Kontaktsuche zu einem Pfarramt vor Ort geholfen wurde, kommt von dort gelegentlich die Rückmeldung an die Redaktion, dass ein Wiedereintritt vollzogen wurde. Eine bundesweite Möglichkeit der zahlenmäßigen Erfassung, wie viele Kircheneintritte online tatsächlich angebahnt wurden, fehlt allerdings.
Die Anbahnung von Kirchenmitgliedschaft über das Internet wird in der Zukunft noch wichtiger werden. Da hier der Kontakt zu Wiedereintrittsstellen und Pfarrämtern bundesweit vermittelt wird, ist dies eine gesamtkirchliche Aufgabe, die bisher arbeitsteilig von der EKD und vier Landeskirchen wahrgenommen wird. Diese Kooperationspartner nehmen stellvertretend für die Gesamtheit der Gliedkirchen eine Aufgabe wahr, die allen zugutekommt.
Von der Internetseite evangelisch.info aus besteht die Möglichkeit der Kontaktaufnahme – direkt über eine Datenbankabfrage oder über die Redaktion vermittelt – zu einer Wiedereintrittsstelle vor Ort oder zum örtlichen Gemeindepfarramt. Grundsätzlich bleibt jedoch die Frage, wie und ob diejenigen, die über das Internet den Weg zur Kirche gefunden haben, nach einem Eintritt in den Kirchengemeinden vorkommen. Eine Fremdheit gegenüber dem kirchlichen Leben dürfte durch den Akt des Eintritts nicht aufgehoben werden, sondern nur in einem längeren Prozess der Annäherung. Wenn der Eintritt in die Kirche immer auch die Aufnahme in eine konkrete Gemeinde bedeutet, so sind für diese Eingetretenen spezielle Angebote zu entwickeln. Wenn das Internet als ein niederschwelliges Kontaktmedium positiv erlebt wurde, bietet es sich an, dieses Medium zunächst als einen Ort zu nutzen, wo Gemeinde und Gemeinschaft erlebbar wird, bevor dann der Brückenschlag zur bzw. auch die aktive Beteiligung am Leben der Ortsgemeinde entstehen kann. Pilotprojekte zu Online-Gemeinschaften sollten daher auch vor dem Hintergrund Kircheneintritt gezielt weiter verfolgt werden [31]. Die Frage der Möglichkeit eines Online-Eintritts stellt sich zurzeit nicht, wirft aber perspektivisch Fragen für die Zukunft auf. Die Bestrebungen der Bundesregierung, die Durchführung von Verwaltungsakten über das Internet zu ermöglichen, werden zu Online-Identifikationsverfahren führen, die den verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen eines Kircheneintritts genügen werden. Vor der technischen und juristischen Reflexion der Voraussetzungen für einen Online-Eintritt steht jedoch die Klärung, ob dies unter theologischen und seelsorglichen Aspekten sinnvoll und erwünscht ist.
Für die Möglichkeit eines Kircheneintritts über das Internet sprechen Erfahrungen aus der Online-Seelsorge, dass Online-Kontakte durchaus eine große seelsorgliche Tiefe aufweisen können. Partner aus der Ökumene berichten ferner, dass Online-Gemeinschaften wichtig werden, wenn Menschen aus verschiedenen Gründen – Behinderung oder räumliche Entfernung – nicht am Gemeindeleben vor Ort teilnehmen können. Gerade wenn sich die Teilhabe am kirchlichen Leben online vollzieht, kann die Möglichkeit eines Kircheneintritts ohne Medienbruch sinnvoll sein. Gegen die Möglichkeit eines Kircheneintritts über Internet spricht, dass neben der Kirchenmitgliedschaft auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde erworben wird. Vor diesem Hintergrund ist der Kircheneintritt ohne konkreten Bezug zu einer Gemeinde, in der vor Ort das Evangelium gepredigt und die Sakramente verwaltet werden, schwierig. Der angeführte Vorteil einer Niederschwelligkeit bei einem Online-Eintritt kann zu der Bindung an eine Ortsgemeinde in Spannung stehen.
Insgesamt erscheint es als sinnvoll, offen auf die Möglichkeiten des Internets zuzugehen und Erfahrungen in Form von Pilotprojekten zu sammeln.