Reformation und Islam
Ein Impulspapier der Konferenz für Islamfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Juni 2016
1. Einleitung
Zum Themenjahr der Toleranz, das im Rahmen der Lutherdekade 2013 begangen wurde, hat der geschäftsführende Ausschuss der Konferenz für Islamfragen der EKD ein Impulspapier veröffentlicht [1]. Es sollte der intensiveren Beschäftigung mit dem Verhältnis der Reformatoren zur »Religion der Türken«, als die der Islam damals maßgeblich wahrgenommen und bezeichnet wurde, dienen. Zahlreiche Rückmeldungen auf das Papier haben gezeigt, dass es in diesem Feld ein großes Interesse gibt, weitere Informationen und Einschätzungen zu erhalten. Der geschäftsführende Ausschuss hat den Text daraufhin im Rahmen eines Studientages im November 2014 noch einmal anhand der Rückmeldungen erweitert und ergänzt. Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 ist daraus nun eine Fassung entstanden, die für die gemeindliche Arbeit und kirchliche Öffentlichkeit als Hilfestellung dienen möchte, sich mit dem historischen Erbe der Reformation im Blick auf Mohammed, den Koran, die »Türken« – kurz: den Islam – kritisch auseinanderzusetzen.
Diese Auseinandersetzung lohnt nicht zuletzt deshalb, weil eine Beschäftigung mit Martin Luther und seiner Zeit elementare Tiefenstrukturen des kollektiven Gedächtnisses Europas an den Tag bringt. Zur Zeit Luthers sah Europa sich militärisch und politisch vom expandierenden Osmanischen Reich bedrängt. Konstantinopel war 1453 gefallen. Seither waren »die Türken«, wie man zur Zeit der Reformation meist sagte, auf dem Vormarsch nach Nordwesten. Man nahm sie wahr als die Anderen und Fremden, als die bedrohliche Macht aus dem Südosten.
So lesen wir es in den Texten des 16. Jahrhunderts, und so lesen wir es heute oft in den Zeitungen und noch mehr im Internet. Wie viel daran ist historische Realität, wie viel Konstruktion eines Fremd- und Feindbilds – gerade dann, wenn man auch die gewaltvolle Geschichte des sogenannten »christlichen Abendlandes« mit reflektiert? Eine Auseinandersetzung mit dem Bild vom »Türken« in der Reformationszeit und dem diesem entgegengestellten Selbstbild des (protestantischen, deutschen, europäischen) Christen hilft, die Dinge klarer zu sehen, damals wie heute.
Das 500. Jahr der Wiederkehr des Beginns der Reformation lädt ein zur Reflexion des gegenwärtigen Standes der christlich-islamischen Beziehungen. Die Konferenz für Islamfragen der EKD möchte mit diesem Impulspapier zugleich einen Beitrag zu der vom Rat der EKD formulierten Aufgabe leisten, »den Dialog der Religionen als genuine Aufgabe reformatorischer Theologie zu entdecken« – unter besonderer Erwähnung des Dialoges mit dem Islam, »der in der Reformationszeit aus naheliegenden Gründen mit den gegen das Reich anstürmenden Türken identifiziert und daher kaum präzise wahrgenommen wurde.« [2]