Beteiligung auf Zeit

Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit, EKD-Texte 132, Juli 2019

Typ D: Einladungen als Gemeinschaft auf Zeit

Die Konzeption Tourismuskirche in konkreten Beispielen

  • Schreibspaziergänge durch Lissabon

    Gegensätze
    Licht und Schatten, scharf getrennt. Die hohen Mauern der Kirche, des Tores, erhaben aufragend und davor und darunter das kleine, bunte, unordentliche Treiben der Menschen auf dem Flohmarkt. Die Glätte der Steine, ihre Unbeweglichkeit und das sanfte Wiegen der Zweige, Flirren der Blätter und Blüten. Schmutz, Staub, zerbrochene Fensterscheiben, makellos das Weiß von S. Vicente.
    (Ursula von Bock)

    Dies ist einer der vielen Texte, die auf einem unserer Schreibspaziergänge durch die Lissabonner Altstadt entstanden sind. Ganz unterschiedliche Menschen machen sich einen Nachmittag lang auf den Weg, um die Stadt auf eine andere Art und Weise zu erkunden. Es geht darum, die Sinne für die Töne und Zwischentöne zu schärfen, die auf den Straßen, in den schmalen Gassen und aus den Häusern zu sehen und zu hören sind. Für viele ist dies anfangs ungewohnt. Touristen sind geübt darin, auf einem Stadtrundgang geschichtliche Hintergründe zu erfahren. Beim Schreibspaziergang allerdings gibt es keine Hintergrundinformationen. Dafür aber verschiedene Impulse, die die eigene Wahrnehmung schärfen sollen. Genau hinsehen, hinhören, Stimmungen erfassen. Das kommt im Alltag oft zu kurz und muss geübt werden.

    In der Lissabonner Auslandsgemeinde sind neben der Kerngemeinde regelmäßig Touristen zu Gast. Sie suchen auf ihrer Städtereise einen Ort zur Einkehr und zum Austausch mit Menschen, die seit vielen Jahren in Lissabon leben. Sie fragen häufig nach alternativen Möglichkeiten, die Stadt kennenzulernen. Aus dieser Nachfrage ist das Angebot für Schreibspaziergänge entstanden.

    An ihnen nehmen einerseits Menschen teil, die schon lange in Portugal leben und nun Lust haben, das Bekannte mit anderen Augen zu sehen. Andererseits sind es Menschen, die nur für eine kurze Zeit im Land sind und durch den Schreibspaziergang die Möglichkeit bekommen, in kurzer Zeit sehr besondere Einblicke in das Innenleben der Stadt zu erhalten.

    Die Besonderheit dieses gemeindlichen Angebots ist es, dass persönliche Begabungen mit dem Interesse am Kennenlernen eines neuen Ortes verbunden werden. Die meisten haben teilgenommen, weil sie große Lust hatten, selber wieder mehr zu schreiben. Dank der Impulse war es ihnen möglich, kurze Texte zu verfassen. Nach jedem der Schreib-Impulse gab es die Möglichkeit, den eigenen Text den anderen Teilnehmenden vorzulesen. Wer davon Gebrauch machte, konnte eine große Wertschätzung erfahren und es entstand binnen kurzer Zeit eine dichte gemeinschaftliche Atmosphäre, in denen viele persönliche Gespräche möglich waren. Es entstand eine Art Gemeinde auf Zeit, die gemeinsam auf dem Weg durch eine neu zu entdeckende Welt war.

    Das weiße Tuktuk parkt am Miradouro. Im Fond weht ein kleines Portugalfähnchen im Wind. Der Mensch ist circa 30 Jahre und männlich. Er steigt aus dem Fahrzeug und erlaubt sich eine kleine Pause. Er denkt an seinen kleinen Sohn, der tagsüber die Zeit bei seiner Oma verbringt. Er vermisst ihn. Aber er versucht das Gefühl zu verdrängen, denn seine gute Stimmung verspricht Touristen eine abwechslungsreiche Tour und davon hängt schließlich sein Business ab.
    (Beate Pieper)


    Nora Steen www.christianjensenkolleg.de

     

  • Weißt Du wieviel Sternlein stehen…? Spirituelle Naturerfahrung des Tourismuspfarramtes Teneriffa

    »Herzlichen Dank für das Sternezählen. Es war für mich ein Erlebnis und ich bin Gott ein Stückchen nähergekommen. Als ob ich ihm die Hand geben konnte…« (Dieter)

    »Ich habe mir heute Abend einen Traum erfüllen können: Ich habe den Himmel gesehen…« (Georg)

    »… das kann nur Gott gemacht haben! Ich empfinde eine tiefe Ehrfurcht vor dieser Schöpfung!« (Achim und Marianne)

    »Bei uns hat es eben noch geregnet!«, sagt Achim. Wolken bedecken den Himmel. Auf dem Teide, dem höchsten Berg Spaniens, liegt Schnee. Fast 3800 m ragt er auf Teneriffa über den Atlantik. Nachdem wir unseren ersten Termin wegen Sturms absagen mussten, wagen wir heute trotzdem unser neues Projekt: »Eine Fahrt zu den Sternen« oder »Weißt Du wieviel Sternlein stehen?«

    »Teide bei Nacht« heißt die Exkursion mit großen Bussen der Eventagenturen. Wir sind nur 13 Personen, davon drei Fahrer. Die Parkplätze im Naturpark Cañadas sind klein. Und ich möchte nur eine kleine Gruppe führen. Also fahren wir mit drei PKWs. Verena hat Glühwein und Tee in Thermoskannen gefüllt. Um 17 Uhr geht es am Busbahnhof von der Costa Adeje los. Es ist 25 Grad warm. Der abendliche Berufsverkehr staut sich mal wieder. Um 18 Uhr möchte ich aber gerne auf einem Parkplatz knapp über der Baumgrenze sein, von dem man die Sonne untergehen sehen kann.

    Dort angekommen, sehen wir gerade noch, wie der Himmel sich von gelb ins Violette färbt, bevor er purpurrot in die Nacht verschwindet. Ein Wolkenmeer unter uns; über uns erstrahlt der erste Stern. Ich halte eine kleine Andacht. Wir singen: »Weißt Du wieviel Sternlein stehen« und »Der Mond ist aufgegangen«. Kindheitserinnerungen werden wach. Ich erzähle von Anna, die nicht einschlafen kann, weil sie so viel zu tun hat. Sie schiebt das Rollo hoch und sieht den Sternenhimmel. Einen kleinen Stern sucht sie sich aus. Man muss nicht alles gleichzeitig  sehen oder machen. Das Wichtige erkennen und das andere später erledigen. Wie die Weisen aus dem Morgenland, die auch nur einem Stern folgten und den Erlöser der Welt fanden. – Keine 10 Minuten dauert die Andacht. Es sind nur noch 11 Grad in der Höhe. Und wir wollen weiter: Sterne gucken!

    Die Cañadas sind schon in tiefes Dunkel gehüllt. Die Luft ist hier auf 2200 m so klar und lichtarm, wie an kaum an einem anderen Ort der Welt. Wir steigen am Montaña Blanca aus den Autos. Ein ehrfurchtsvolles Staunen: »Oh! Soviel Sterne!« »Guck mal, da kommen immer neue Sterne zum Vorschein!« »Sternschnuppen!« »Ich sehe das erste Mal seit meiner Kindheit die Milchstraße wieder!« 

    Eine Sternen-App auf dem Mobilphone verrät uns, wie die Sterne heißen. Wir sehen die Vega, den Saturn; und der Mars ist tatsächlich rot. Es ist inzwischen 6 Grad kalt. Verenas Glühwein und der Tee sind schon bald ausgetrunken. Eigentlich möchte ich wieder runter zur Küste, aber die Gruppe kann sich nicht satt sehen. Dass Erwachsene so staunen können! Einige reden von Gott oder der Schöpfung. Keiner macht dazu eine frotzelnde Bemerkung. Auch wer nicht glaubt, spürt hier eine Ehrfurcht vor dem, was uns an weit Größerem umfängt.

    Wir bilden einen Kreis. Mit dem Abendsegen geht es wieder zurück. Eine Stunde später sind wir wieder im Lichtermeer und in der lärmerfüllten Luft der Touristenzentren. Wir ziehen die dicken Jacken aus. Die Leute auf der Straße in kurzen Hosen schauen uns fragend an und schütteln den Kopf. Ja, sie haben Recht: Wir waren in einer anderen Welt; Gott und dem Himmel ganz nah!

    Das Projekt »Weißt Du wieviel Sternlein stehen« führen wir einmal im Monat durch. Die Teilnehmenden zahlen 15 € pro Person. Nach Abzug der Unkosten verbleibt der Rest zum Erhalt der Gemeindearbeit der Kirchengemeinde Teneriffa Süd.

    Immo Wache www.evangelische-kirche-teneriffa.de

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