Beteiligung auf Zeit
Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit, EKD-Texte 132, Juli 2019
Typ F: Gelegenheiten als Rastplätze unterwegs
Die Konzeption Tourismuskirche in konkreten Beispielen
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Abwarten und Teetrinken – Begegnung zur Teatime
Im Tagesprogramm lese ich: »16.00 – 17.00 TEATIME-GESPRÄCHE Unsere Bordgeistliche Katharina Plehn-Martins freut sich während der Teatime an Bord auf anregende, herzliche und gerne auch einmal privatere Gespräche mit Ihnen. Ob lockere Plauderei, ein Gespräch über Herzensangelegenheiten oder ein Rat zu Lebensfragen – sprechen Sie Katharina Plehn-Martins im Club Belvedere einfach an, gerne vereinbart sie mit ihnen auch ein Gespräch unter vier Augen.«
Schock! Wie soll das gehen? Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild einer Pfarrerin, allein an einem Tisch sitzend, ein Alibi-Buch bei sich und darauf wartend, dass jemand sich zu ihr setzt, um mit ihr zu sprechen. Wie peinlich . . . Gästen entgegen zu blicken in der Hoffnung, dass sich jemand erbarmt und mit der Bordgeistlichen ernst, locker oder lustig plaudert . . . Leider ist das nicht nur ein Bild, die Pfarrerin bin ich! Ich stelle mir vor, dass niemand sich zu mir setzt. Was dann? Lese ich in meinem Buch, rühre ich in meiner Tasse rum, starre ich Löcher in die Luft oder lächle ich einladend in den Raum? Ich sehe mich auf einem Präsentierteller, niemand will mit mir sprechen und es wird augenfällig: Seelsorge wird hier nicht gebraucht. Ich muss mir was einfallen lassen. »Komm-Struktur« und »Geh-Struktur «, das ist die Lösung und heißt jetzt: nicht warten, sondern zu den Gästen gehen.
Bei der ersten Teatime überblicke ich den weiten Raum auf der Suche nach jemandem, der oder die allein an einem Tisch sitzt. Die Dame dort, die sieht einsam aus, die braucht bestimmt empathische Begleitung durch die Bordgeistliche. Ich pirsche mich heran und frage, ob es ihr recht sei, wenn ich mich zu ihr setze. »Gerne«, antwortet sie. Puh, geschafft. Das ist eine Gratwanderung. Woher soll ich wissen, ob Alleinreisende sich nach einer Pfarrperson sehnen, den Kontakt zu Mitreisenden wünschen oder gerne allein sind. Mich aufzudrängen kann nicht meine Aufgabe sein, mich zu verstecken aber auch nicht. So nehme ich Platz, während der Mann der »einsamen« Frau zwei Kuchenteller balancierend den Tisch erreicht. Haltung bewahren, locker bleiben, sich plaudernd zu dritt kennenlernen. Ab da waren dieses Ehepaar und ich in bestem Kontakt. Es war anrührend zu hören, wie sehr sie als ehemalige Bürger der DDR nach Jahrzehnten aufgezwungener Enthaltsamkeit diese Schiffsreisen genießen. Offen sprachen wir über unsere Lebenserfahrungen als Ossis und Wessis. Das Paar kam zu Andachten und Gottesdiensten, wenn wir uns begegneten, gab es Small-Talk. Später haben wir uns in der Hoffnung voneinander verabschiedet, uns einmal wiederzutreffen.Mit dieser Erfahrung hatte ich meine Teatime-Rolle gefunden. Mal saß ich hier, mal saß ich dort und erlebte unglaublich viele anregende, herzliche und . . . auch . . . privatere Gespräche. Der Entertainment-Manager, der diesen Text in das Tagesprogramm gesetzt und mir damit einen kleinen Schock versetzt hatte, hatte es goldrichtig gemacht. Am Ende der Reise beschlich mich das Gefühl, nicht allen Gästen, die sich eine lockere Begegnung zur Teatime gewünscht hätten, gerecht geworden zu sein. Die Kreuzfahrt hätte doppelt so lang sein müssen. Solche Gespräche sind ein niederschwelliges Angebot, das zu tiefgehender Seelsorge führen kann. Entscheidend ist, dass ich auf die Menschen zugehe und nicht warte, bis sie zu mir kommen. Gibt es erst mal einen Kontakt, dann ist es leicht anzuknüpfen und es kann zu wirklich guten Begegnungen kommen.
Katharina Plehn-Martins, aus: Dies., »Segen auf See«, Patmos-Verlag 2017. Gekürzt und überarbeitet von der Autorin. www.ekd.de/Urlaubsseelsorge -
Seelsorge am Kurort
»Ich habe gelesen, dass Sie Sprechzeiten haben. Ich hab da ein Problem. Darf ich kommen?« Wir machen einen Termin aus. Frau K. kommt. Schon 10 Minuten eher, als vereinbart, steht sie vor der Tür. Ich bitte sie ins Amtszimmer. Sie nimmt auf dem Sofa Platz; ich setze mich gegenüber auf einen Stuhl.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!« – aber dann sprudelt es nur so aus ihr heraus. Ich höre aufmerksam zu; versuche nichts zu bewerten oder zu vergleichen. Ab und zu frage ich nach, um alles recht zu verstehen.
In der Seelsorge kommen die unterschiedlichsten Probleme zur Sprache: Streit innerhalb der Familie, Auseinanderleben und Eifersucht, Unverständnis und Einsamkeit, Generationskonflikte, Missbrauch und Krankheiten, unbewältigte Trauer – alles, was einen aus der Bahn werfen kann, was das Leben dunkel macht.
Ich staune, wie auch Frau K. ohne Scheu ihr Herz vor mir öffnet. An ihrer Körperhaltung merke ich, wo es ums Eingemachte geht. Da bohre ich nach. Und sie erzählt, obwohl sie mich nicht kennt – oder gerade weil sie mich nicht kennt. Natürlich hat sie mich beschnuppert. Sie war beim Vortragsabend zum Thema Angst. Sie ist auch nicht zum ersten Mal in Bad Füssing. Vor Jahren war sie bei mir zum Freien Malen. »Das hat mir gut getan!«, sagt sie. Auch das Gespräch heute. »Danke, dass Sie Zeit für mich hatten!«, verabschiedet sie sich. Und ich denke mir, wie heilsam es doch ist, dass Kirche am Kurort Zeit für die Menschen hat.
Norbert Stapfer www.bad-fuessing-evangelisch.de -
Kirche unterwegs
Mittagszeit auf dem Campingplatz beim Zelt der Kirche Unterwegs. Fünf Kinder stehen vor mir. Gerade waren sie noch in der Kinderstunde, haben Geschichten zugehört, fröhlich gespielt und gebastelt. Nun wirken sie bedrückt und drucksen verlegen ein bisschen herum. »Also, hm, da drüben liegt eine Amsel«, traut sich das älteste Mädchen. Ihr Finger zeigt zum Kinderspielplatz. »Gleich beim Baum, neben der Schaukel. Ich glaub, die ist tot. Können Sie mal schauen?«
Ich komme mit. Ja klar, die Amsel ist tot. Und hier kann sie nicht bleiben mitten auf dem Spielplatz. Während ich die Alternativen im Kopf erwäge, sind die Kinder schneller: »Können Sie die nicht beerdigen?« Eigentlich haben sie Recht.
Die Kinder warten auf mich, während ich beim Bauhof des Campingplatzes einen Spaten besorgen will. »Wir kümmern uns schon darum, das müssen Sie nicht machen«, bietet mir der Arbeiter dort an. »Gehen Sie mit den Kindern einfach weg, dann entsorgen wir die Amsel.« Kurz zögere ich, dann merke ich: Einfach ist nicht immer gut. Ich nehme lieber den Spaten mit.
Wir suchen einen schönen Platz aus, etwas weiter weg, unter einem Baum. Dann holen wir die Amsel behutsam auf dem Spaten. Während ich das kleine Grab zuschaufle, bringen die Kinder ein paar Blumen. Aus Holzzweigen legen sie ein Kreuz. Wir reden darüber, warum sie vielleicht gestorben ist. Traurig stehen die Kinder vor dem kleinen Grab. Ganz selbstverständlich beten wir ein Vaterunser. Danach sausen sie auf den Spielplatz, wenige Minuten später höre ich sie lachen.
Ein Mann hat uns von weitem beobachtet, Vater eines dieser Kinder, wie ich am Abend erfahre. Da sitzt er beim Lagerfeuer neben mir, wohl nicht ganz zufällig. Das Lagerfeuer prasselt, mein Blick schweift über den See in den Sonnenuntergang. Von der toten Amsel aus entwickelt sich der Gesprächsbogen schnell weiter. Der Mann erzählt vom Tod seiner Schwester, von der Beerdigung, von seiner Trauer. »Die meisten Menschen wollen davon nichts hören. Ein halbes Jahr danach muss man das alles vergessen haben, finden sie. Hab ich aber nicht.«
Offenbar weiß er, dass Kirche ein Ort ist, wo das anders ist, wo man von Trauer reden darf, sogar mitten im Urlaub auf dem Campingplatz.
Astrid Polzer www.kirche-unterwegs-bayern.de -
Radwegekirche
Das Paar mittleren Alters hatte vor einer Kirche im Schatten einer großen Linde Platz genommen. Dort standen zufällig eine Bank und ein Tisch, ideal für ihr Picknick. Ihre E-Bikes konnten sie auch hervorragend abstellen, an Fahrradbügeln, nicht diesen elenden Felgenkillern. Als wäre es für sie gemacht…
Die Wiese war hier noch schön grün, anders als dort drüben in der Sonne. Die beiden waren auf einer mehrtägigen Radtour im Weserbergland unterwegs. Freunde hatten vorher gesagt: »Guckt Euch mal die schönen Kirchen an.« Überzeugt kam die Antwort: »Nein, wir halten von diesem ganzen Quatsch nichts.«
Und nun saßen sie doch vor einer Kirche. Aber reingehen wollten sie nicht. War die überhaupt offen? Da war ein weiß-blaues Schild mit weit geöffneten Türen angebracht, darunter ein kleines grünes mit einem Radfahrer. Was heißt das wohl? Doch dann öffnete sich die Tür von innen, eine ältere Dame kam heraus. Als sie die beiden anschaute, kam von ihnen die Frage: »Ist es drinnen schön?«
Die Antwort kam schnell und ohne nachzudenken: »Ja! Aber darauf kommt es gar nicht an! Ich glaube an Jesus Christus und finde in jeder Kirche das, was ich dazu brauche!« Welch ein Bekenntnis zum Glauben an den Gekreuzigten! Bald entspannt sich ein kurzes Gespräch über das »Woher kommt ihr?« »Wo wollt ihr hin?« Mehr nicht. Zum Abschied sagte die Frau noch: »Gehen Sie ruhig einmal hinein, es ist schön kühl und angenehm ruhig, wenn auch der Hauch unseres Herrn hindurchweht.«
Natürlich sind die beiden hineingegangen, kurz vor ihrem Aufbruch. Ein kurzes Umblicken und dann wieder raus. Sie mussten ja weiter, wollten sie ihr Ziel für heute noch erreichen. Schweigend fuhren sie eine Weile nebeneinander, jeder in seine Gedanken vertieft.
Jürgen Lojowsky www.radwegekirchen.de
Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit, EKD-Texte 132, 2019