Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 155

Mit dem ESC entsteht ein zweites EU-Jugendprogramm neben „Erasmus+“

Doris Klingenhagen

Seit der Ankündigung von Jean-Claude Juncker im September 2016, einen Europäischen Solidaritätskorps (ESC) einzurichten, sind gerade einmal neun Monate vergangen (EKD-Europa-Informationen Nr. 153 und 154). Am 30. Mai 2017 hat die EU-Kommission nun einen Vorschlag vorgelegt, wie die Idee des Europäischen Solidaritätskorps ab 2018 umgesetzt werden soll. Ein eigenständiges Programm soll es werden, welches die Erfahrungen bestehender EU-Programme wie „Erasmus+“ nutzt, aber eigene Ziele und Formate formuliert und einen klaren Fokus auf Solidarität setzt. Es bezieht sich im Kern nur auf die 28 Mitgliedstaaten der EU. Der Europäische Freiwilligendienst wird größtenteils darin aufgehen. Hinzu kommen neue Förderformate. Das Solidaritätskorps soll im Wesentlichen Freiwilligendienste, Praktika, Arbeitsstellen, Solidaritätsprojekte und Netzwerkaktivitäten umfassen. Verbindendes Element ist die „Solidarität“, z.B. in Bildung und Ausbildung, in Unternehmen, im Bereich bürgerschaftlicher und demokratischer Partizipation, in Umwelt und Naturschutz, im Klimaschutz, im Katastrophenschutz, in der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung, in Ernährung, Gesundheit, Kreativität, Kultur, Sport, Wohlfahrt, Flüchtlingshilfe oder bei Umstrukturierungen. Anders als angekündigt, werden die Bereiche Freiwilligentätigkeiten und Praktika/Arbeitsplätze nicht in zwei Strängen sichtbar. Neu ist: Alle Formate mit Ausnahme der Solidaritätsprojekte können sowohl im Ausland als auch im Inland absolviert werden. Dies soll vor allem benachteiligten Jugendlichen eine Teilnahme ermöglichen und den Ausbau von Freiwilligendiensten in EU-Ländern befördern, in denen dieser bislang nicht verbreitet ist. Kern des ESC ist der Freiwilligendienst, der sowohl als Einzelperson als auch in der Gruppe absolviert werden kann. Für den Einzeldienst sind zwei bis zwölf Monate vorgesehen, für den „Freiwilligendienst“ in der Gruppe – man könnte auch sagen „Work Camps“ –  zwei Wochen bis zwei Monate. Darüber hinaus sind Solidaritätsprojekte vorgesehen – im Programm JUGEND IN AKTION trugen sie den Namen „Jugendinitiativen“. Damit sollen lokale Initiativen gefördert werden, die von mindestens fünf jungen Menschen verantwortlich durchgeführt werden und zum Wohl ihrer lokalen Gemeinschaft beitragen. Die Projekte sollen zwei bis zwölf Monate dauern, müssen innovativ sein und einen europäischen Mehrwert besitzen. Neben dem Freiwilligendienst und den freiwilligen Aktivitäten umfasst der ESC Praktika und Arbeitsstellen. Die Praktika sollen von den Einsatzstellen bezahlt werden und zwischen zwei und sechs, in Ausnahmefällen zwölf Monaten dauern. Sie sollen Bildungs- und Ausbildungsteile enthalten, praktisches Wissen und professionelle Erfahrungen vermitteln, die Beschäftigungsfähigkeit verbessern und damit den Übergang in eine reguläre Arbeit fördern. Auch Arbeitsstellen soll der ESC bieten. Diese beruhen auf einem Arbeitsvertrag und werden von der Einsatzstelle entlohnt. Auch sie sollen einen Übergang in eine geregelte Erwerbstätigkeit erleichtern. Ihr Ziel soll sein, „ungedeckten Arbeitsbedarf in solidaritätsbezogenen Sektoren zu befriedigen und Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu fördern“. Die jungen Menschen, die am ESC teilnehmen, müssen zwischen 18 und 30 Jahren sein. Alle erhalten – sowohl im Freiwilligendienst als auch im Praktikum oder im Arbeitseinsatz - dieselben unterstütztenden Angebote. Daneben plant die Kommission, Aktivitäten zu fördern, die den ESC in seiner „Mission“ unterstützen: Ein Alumni-Netzwerk, jährliche Events, die für die Übernahme von Teilnehmenden des ESC in den Arbeitsmarkt werben sollen, Austausch von guter Praxis, Werbung für den ESC und Evaluationen.


Am ESC teilnehmen können Einsatzstellen, die das „European  Solidartity Quality Label“ durch einen Akkreditierungsprozess erworben haben. Es ist davon auszugehen, dass alle Organisationen, die bisher im Europäischen Freiwilligendienst (EVS) aktiv waren, dieses Label automatisch erhalten  und dass die finanzielle Förderung von Freiwilligendienstplätzen analog des EVS fortgesetzt wird. Das Label kann jede öffentliche oder private Körperschaft bekommen. Organisationen, die eine Einsatzstelle vorhalten, können eine Ko-finanzierung aus dem ESC erhalten. Damit sollen die Reisekosten der Teilnehmenden, Taschengeld für Teilnehmende am Freiwilligendienst, zusätzliche Kosten für Benachteiligte und Versicherungen finanziert werden. Außerdem soll es  Mittel für die Unterstützung der Teilnehmenden geben wie Mentoring, Seminare und Koordinierungsaufgaben.


Die finanzielle Gesamtausstattung in Höhe von 341.500.000 Millionen Euro für die Jahre 2018 bis 2020 ist zu 80 Prozent für Einsätze in Form von Freiwilligendiensten/Freiwilligentätigkeiten sowie Solidaritätsprojekte und zu 20 Prozent  für Praktika und Arbeitsstellen bestimmt.


Laut dem Gesetzesentwurf sind die jungen Menschen, die teilnehmen wollen, verpflichtet, sich über das „Europäische Solidaritäts-korpsportal“ zu registrieren. Insgesamt setzt die EU-Kommission ganz auf dieses neue Portal, über das auch Training, Sprachkurse und andere Informationen angeboten werden sollen. Die gesamte Umsetzung des ESC soll bei den nationalen Agenturen liegen, die für den Programmteil JUGEND IN AKTION in „Erasmus+“ verantwortlich sind – auch für den Teil Praktika und Arbeitsplätze.


Mit dem Vorschlag ist nun klar: Organisationen und Träger im Jugendbereich werden sich zukünftig in zwei Programmen orientieren müssen: in „Erasmus+“ JUGEND IN AKTION und im ESC. Eine Hilfe wird dabei sein, dass beide von den Nationalagenturen verwaltet werden, die bisher für Erasmus+ JUGEND IN AKTION zuständig gewesen sind. An anderen Stellen wirft der Programmentwurf Fragen und Widersprüche auf: Ist es mit dem Solidaritätsgedanken vereinbar, dass sich der ESC nur an die EU28 Staaten richtet wo doch die Nachbarschaftspolitik eine entscheidende Priorität der EU ist und gleichzeitig die europäischen Freiwilligendienste im Programm „Erasmus+“ JUGEND IN AKTION damit in Freiwilligendienste in EU-Ländern und Freiwilligendienste in Drittstaaten aufsplittet? Wie verhält es sich mit der Arbeitsmarktneutralität und der Gefahr, dass junge Menschen in prekäre Beschäftigung geraten, wenn Freiwilligendienste und Praktika / Arbeitsplätze  nicht klar voneinander getrennt sind? Für Freiwilligendienstträger und Jugendorganisationen ist zudem klar, dass eine Online-Plattform ein hilfreiches Instrument sein kann, aber niemals den direkten Austausch mit Jugendorganisationen, Entsendeorganisationen, Aufnahmeorganisationen und Trägern von Einsatzstellen ersetzen wird. Gerade über diese finden junge Menschen ihren Weg in unterschiedliche Freiwilligendienstprogramme. Dass diese im Programm eine entscheidende Rolle spielen, muss dringend nachgetragen werden. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten haben jetzt die Gelegenheit nachzubessern, und die aufgeworfenen Fragen im Sinne der jungen Menschen zu beantworten. Der Kultur-, Bildungs- und Jugendausschuss des Europäischen Parlaments wird seinen Bericht zum ESC Programmvorschlag am 10. Oktober 2017 vorstellen und abschließend am 11. Dezember 2017 in Straßburg abstimmen. Der EU-Jugendministerrat wird am 20./21. November Gelegenheit zur Nachbesserung haben.


Das EKD-Büro Brüssel und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend werden diesen Prozess weiterhin intensiv begleiten.


Den Programmvorschlag der EU und relevante Dokumente finden Sie hier:
http://ekd.be/solidaritaetskorps

Concept Note (engl.) unter: http://ekd.be/the_european_solidarity_corps

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