Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030

Sonntag Judika, Passionszeit – Nachhaltigkeitsziel 10

Gottesdienst zum Thema: Gerechtigkeit und Flucht

Gottesdienstentwurf mit Predigt zu 

Matthäus 25, 31-46 

gehalten am 13. März 2016 in der Katholischen 

Kirche in Greifswald 

Musik zum Eingang

Votum und Begrüßung

Wir sind hier zusammen 

im Namen Gottes, Grund allen Lebens,

im Namen Jesu Christi, Grund unserer Hoffnung,

und im Namen des Heiligen Geistes, der Kraft, die uns immer wieder nahe sein will, die uns anrührt und uns stärkt.

Herzlich willkommen Ihnen allen zu diesem besonderen Gottesdienst.

Der Sonntag Judika, 5. Sonntag in der Passionszeit, thematisiert in besonderer Weise Recht und Gerechtigkeit. Heute feiern wir hier in Greifswald, aber auch in vielen Kirchengemeinden in Norddeutschland parallel Gottesdienste zum Thema: Gerechtigkeit und Flucht. 

Nie zuvor waren laut Vereinten Nationen weltweit so viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene unterwegs wie heute. Sie alle benötigen Schutz und Aufnahme. 2015 sind offiziell ca. 70.000 Flüchtlinge nach Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg gekommen. Tagtäglich engagieren sich viele Menschen in den Kirchengemeinden in der Betreuung und Begleitung von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Die heutigen Fluchterfahrungen stehen eng im Zusammenhang mit unserer biblischen Tradition. 

Der Gottesdienst möchte Sie ermutigen, die biblischen Texte über Flucht und Migration, Fremdsein und Heimat als geistliche Quelle neu zu entdecken – damit Sie gestärkt wieder in den Alltag zurückkehren.

Diesen Gottesdienst gestalten wir zusammen mit …

Lied 
Herr, gib uns Mut zum Hören, GL 448

„Dein Haus ist meine Zuflucht“ – 
Übertragung des 23. Psalms
von Helmut Frenz, Theologe, Evangelisch-Lutherischer Bischof in Chile, Generalsekretär von Amnesty
International und bis 1998 erster Flüchtlingsbeauftragter der Nordelbischen Kirche

Jahwe, mein Hirte, begleitet mich;
deshalb leide ich keinen Mangel.
Auf grüner Aue gibt Er sicheres Lager.
Zur sicheren Quelle führt Er mich.
Zum Durchhalten stärkt Er mir den Überlebenswillen.
Er weist mir den Weg aus der Gefahr.
Er verhindert den gefährlichen Weg in die Irre.
Selbst in der größten Lebensgefahr,
wo der Tod mich von allen Seiten umgibt,
habe ich keine Todesangst,
denn ich weiß: Du bist ja bei mir.
Deine wehrhafte Gegenwart tröstet mich.
Trotz aller Missgunst erhalte ich wenigstens Sozialhilfe.
Du nimmst mich in die Arme zum Zeichen Deiner Solidarität.
Als Freunde trinken wir in der Runde.
Freundschaft und Zuneigung begleiten mich jetzt,
und ich genieße Asyl in eurer Mitte.

Kyrie
von Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg 

Gott, wie sollen wir denn zu Recht kommen,
wenn wir nicht beachten, dass du uns bedingungslos gelten lässt
und nicht unterscheidest, ob jemand ein Recht hat, da zu sein, oder unerwünscht ist?
Wir rufen zu dir: Gott, erbarme dich!
Gott, wie sollen wir denn zu Recht kommen,
wenn wir nicht mit Achtung und Respekt jeder und jedem begegnen,
die bei uns Schutz suchen,
wenn nicht jeder Einzelfall sorgfältig geprüft wird,
wenn Fluchtwege kriminalisiert werden,
wenn Menschen aus bestimmten Herkunftsländern per Gesetz
im Eilverfahren aussortiert und ausgewiesen werden sollen?
Wir rufen zu dir: Gott, erbarme dich!
Gott, wie sollen wir denn zu Recht kommen,
wenn wir das Maß unserer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft abhängig machen
vom Komfort, den wir für uns selbst bewahren möchten,
wenn neue Grenzen und Zäune errichtet werden,
an denen Fluchtwege enden und Geflüchtete zu scheitern drohen?
Wir rufen zu dir: Gott, erbarme dich!
Dein Sohn Jesus Christus hat uns vorgelebt,
was widerständige Liebe ist.
Ihm verdanken wir Achtsamkeit.
Ihm verdanken wir Hingabe.
Ihm verdanken wir den Mut, uns nicht beugen zu lassen,
sondern aufrichtig und beharrlich nach Gerechtigkeit zu suchen.
Ihm verdanken wir die Gewissheit, dass deine Kraft in den Schwachen mächtig ist.
Dafür loben und preisen wir dich, in Ewigkeit! Amen.

Lied 
Meine engen Grenzen, GL 437 und Nr. 122 im Beiheft zum Evangelischen Gesangbuch

Kollektengebet
von Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg 

Gott, zu dir kommen wir
mit unserer Sehnsucht und unserer Ratlosigkeit,
mit unserem Vertrauen und unserer Verzweiflung.
Du bist mit uns, wo wir auch sind.
Du kennst unsere Namen,
den Beginn unseres Lebens,
auch ohne Dokumente und Stempel.
Du kennst die Ängste und Sorgen aller,
die ihr Zuhause verloren haben.
Du hörst unsere Hilferufe in vielen Sprachen.
Du siehst die ungezählten Spuren aller,
die sich aufgemacht haben,
um Schutz, Frieden und Zukunft zu suchen.
Bei dir ist Zuflucht und Geborgenheit.
Schenke uns Glaubensmut
und die Kraft deiner Geistesgegenwart.
Durch Jesus Christus.
Amen.

Alttestamentliche Lesung 

Amos 5, 21-24 nach Einheitsübersetzung

21 Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. 

22 Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. 

23 Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, 

24 sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. 

Lesung 

Gedicht „Der Pass“
von Bertolt Brecht 

Der Pass ist der edelste Teil
von einem Menschen.
Er kommt auch nicht
auf so eine einfache Weise zustande
wie ein Mensch.
Ein Mensch kann überall
zustande kommen,
auf die leichtsinnigste Art
und ohne gescheiten Grund,
aber ein Pass niemals.
Dafür wird er auch anerkannt,
wenn er gut ist,
während ein Mensch
noch so gut sein kann
und doch nicht anerkannt wird.

Bertolt Brecht, Der Paß, aus: Flüchtlingsgespräche, in: Bertolt Brecht, Werke.

Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 18: Prosa 3, S. 197. © Bertolt Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag 1995.

Bekenntnis-Gebet

von Dietrich Gerstner, Referent für Menschenrechte und Migration im Zentrum für Mission und Ökumene in der Nordkirche 

Gott, wir glauben an dich als an den Gott, der die Fremdlinge liebt. Hilf uns heraus aus unserer Furcht vor den Fremden.

Gott, wir glauben an dich als an den Gott, der die Schwachen und Ausgegrenzten schützt. Hilf uns in unserem Einsatz für Flüchtlinge und andere Ausgegrenzte in unserer Gesellschaft.

Gott, wir glauben an dich als an den Gott, der Recht und Gerechtigkeit für alle will. Hilf uns in unserem Einsatz für Gerechtigkeit und leite unsere Führenden in Wirtschaft und Politik auf diesen Weg.

Gott, wir glauben an dich, dass du stärker bist als der Tod – hilf unserem Unglauben. Amen.

Musik 

Predigt zu Matthäus 25, 31-46

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Einleitung

Liebe Gemeinde, 

hören wir zu Beginn auf die Geschichten von zwei jungen Frauen: 

Helga ist 19 Jahre alt. Sie macht sich fertig für die Abreise. Sie packen alles auf einen Haufen, was mit soll. Aber es ist viel zu viel. Sie sortieren aus. Immer noch zu viel. Es muss auf den Schlitten passen und in den Rucksack. Der Koffer, die Betten. Sie müssen im Dunkeln packen. Verdunklung ist angeordnet. Nachts geht es los. Die Schwester von Helga hat ein Kind im Wagen. Die Mutter trägt, was sie kann. Die erste Wegstrecke durch die Nacht ist 43 km lang. Es ist sehr kalt. Alle wollen nach Westen. Von Fremden bekommen sie Käse und drei Brote geschenkt. Das vergisst sie nie. In Schwerin werden sie aufgenommen. 

Joudy ist 15 Jahre alt. Ihr Haus, in dem sie mit ihrer Familie gelebt hat, liegt in Schutt und Asche. Bomben waren gefallen. Mehrere Nachbarn sind tot oder verletzt, auch eine Freundin von Joudy. Der Onkel gibt Geld. Die Mutter und der Bruder gehen zu Verwandten in die Türkei. Joudy macht sich mit ihrem Großvater auf den Weg. Drei Tage und Nächte sind sie in einem Lkw-Container unterwegs. Sie hat Angst, dass sie im Container vergessen wird oder verhungern muss. Im Dunkeln betet sie oft. Sie kommen nach Hamburg und dann in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Schwerin. 

Zwei junge Frauen, die ihre Heimat verlassen mussten. Zwei Frauen auf der Flucht: Helga 1945 und Joudy 2015. 

Zu allen Zeiten waren Menschen unterwegs. Bei genauerem Hinsehen ist die Bibel ein Buch der Flüchtlinge und Migrantinnen, sie erzählt von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. In den letzten Wochen und Monaten haben sich Männer, Frauen, Kinder nach Europa auf den Weg gemacht. Sie haben diese Strapazen auf sich genommen, weil sie in Not sind. 

Die Geflüchteten haben auch uns in Bewegung gesetzt. Es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen sich tagtäglich in den Kirchengemeinden in der Betreuung und Begleitung von Asylsuchenden und Flüchtlingen engagieren, so wie hier in Greifswald: Sie unterrichten Deutsch, begleiten Flüchtlinge zu den Ämtern oder unterstützen sie bei medizinischer Versorgung. 

Andere sind verunsichert, haben Angst und machen sich Sorgen um die Zukunft. 

Wie geht es dir mit diesen Nachrichten aus den Medien, mit den Menschen, denen du vor Ort begegnest? 

Worauf kommt es an im Leben als Christin, als Christ? 

Dazu suche ich Orientierung in den biblischen Texten. In diesen Zeiten höre und lese ich die Worte noch einmal neu: Unser heutiger Predigttext, den wir als Evangeliumslesung gehört haben, steht im Matthäusevangelium im 25. Kapitel. Ich lese Vers 35 bis 40: 

31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, … dann wird er sagen: 

35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. 

Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. 

Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.

36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. 

Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.

Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen … 

40 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einer oder einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern, das habt ihr mir getan. 

I Leben aus Barmherzigkeit – eine besondere Herzenshaltung einüben 

In unserem Predigttext wird die Bewegung der Liebe zu den Fremden ins Zentrum des christlichen Lebens gerückt. Sie gehört zum Wesen der christlichen Gemeinde. Und nicht nur das: Jesus lehrt uns SEINEN Blick auf die Fremde und den Fremden und verwandelt damit zugleich unseren Blick auf sie. In jedem Menschen in Not, dem ihr begegnet, so sagt Jesus, begegnet ihr auch mir. In dem Menschen in Not findet ihr mich. Hier findet ihr zu mir und zu Gott. 

Dieser Text aus dem Matthäusevangelium steht direkt vor der Passionsgeschichte, die von Jesu Weg durch Leid und Kreuz bis zur Auferstehung am dritten Tage erzählt. Wir sind jetzt in der Passions- und Fastenzeit, einer Zeit zum Innehalten und zum Hören auf Gottes Wort. 

In diesem Jahr habe ich an den Exerzitien im Alltag teilgenommen, zusammen mit Christinnen und Christen aus verschiedenen Konfessionen: Katholiken, Mennoniten, Baptisten, Reformierte. Das Materialheft vom Erzbistum Hamburg hatte das Thema: Barmherzigkeit. 

Äußerer Anlass für das Thema – das wisst ihr sicherlich gut – war der Beginn des Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit im Dezember 2015, denn – so sagt es Papst Franziskus: „Überall, wo Christinnen und Christen sind, muss ein jeder Oasen der Barmherzigkeit vorfinden können.“

In den Exerzitien haben wir uns miteinander Zeit genommen für das Einüben einer Herzenshaltung – für das Leben aus Barmherzigkeit. Wir haben miteinander gesungen, gebetet, biblische Texte besprochen und uns Zeit für Stille genommen. 

Was verbindest du mit Barmherzigkeit?

An welche Begebenheiten kannst du dich erinnern, wo jemand barmherzig war? 

Wie barmherzig gehst du mit dir selbst um?

Barmherzigkeit ist ein Wort, das wir im Alltag selten verwenden. In der Bibel begegnet uns das Wort
Barmherzigkeit oft. Es durchzieht das Alte und das Neue Testament. 

Der Wortstamm von Barmherzigkeit heißt im Hebräischen racham und ist verwandt mit dem Wort: Gebärmutter. Mit dem biblischen Ausdruck Barmherzigkeit ist also Wärme, Geborgenheit, Fürsorge, Schutz, Vertrauen, innige Verbundenheit gemeint – all das, was ein ungeborenes Kind im Mutterleib erlebt. 

Von Gottes Barmherzigkeit wissen die Psalmenbeterinnen und Psalmenbeter ein Lied zu singen wie im Psalm 103: „Lobe den Herrn meine Seele … barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte.“ 

Das ist die Erfahrung der Menschen in der Bibel: Gott begleitet unsere Wege. Gott wendet sich jeder und jedem von uns zu. Gott schaut uns gnädig und barmherzig an. Die Zuwendung Gottes zu uns Menschen ist immer stärker als das, was uns misslingt oder glückt. Von dieser Zusage Gottes lebe ich.

Es gibt ein bekanntes Taizélied: Wer mag, kann mit einstimmen: „Misericordias domini in aeternum cantabo“ – ich werde die barmherzigen Taten Gottes ewig besingen. 

II Die sieben Werke der Barmherzigkeit – ein Wahlprogramm

Von Gottes Barmherzigkeit wird im Alten und Neuen Testament erzählt. Und so reiht sich auch Jesus von Nazareth ein in die Tradition derer, die von Gottes Güte und Barmherzigkeit künden, etwa in der Bergpredigt oder in den Gleichnissen. Vertraute Geschichten wie die vom barmherzigen Samariter können wir in diesen Tagen noch einmal neu hören. 

Jesus macht Gottes Barmherzigkeit sichtbar und greifbar.

Worauf kommt es an in meinem Leben als Christin, als Christ? Was ist für dich wesentlich in deinem Glauben?

Unser heutiger Predigttext spricht von den sogenannten Werken der Barmherzigkeit. Das Doppelgebot der Liebe: „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst“ wird hier konkret – in den sieben Werken der Barmherzigkeit: 

Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, sich um Gefangene sorgen und Tote in Würde verabschieden.

Die sieben Werke der Barmherzigkeit zeigen an, was wichtig ist: an der Seite der notleidenden Menschen zu stehen, sich ihrer zu erbarmen – unabhängig von ihrer Religion, Herkunft, Hautfarbe. 

Heute finden in drei Bundesländern Landtagswahlen statt. Was wäre, wenn die Parteien in ihr Wahlprogramm die sieben Werke der Barmherzigkeit aufgenommen hätten? Wenn Barmherzigkeit das leitende Prinzip für politische Entscheidungen wäre?

Die Hilfswerke der beiden großen Kirchen engagieren sich für die Werke der Barmherzigkeit und thematisieren weltweite Ungerechtigkeiten. Das evangelische Hilfswerk ist Brot für die Welt und das katholische Hilfswerk trägt Barmherzigkeit in seinem Namen: Misereor. 

Ich selbst arbeite im Missionswerk der Lutherischen Kirche in Norddeutschland mit Sitz in Hamburg – im Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit.

Unser Haus ist sozusagen das Außenministerium unserer Landeskirche. Wir pflegen Kontakte zu über 30 Partnerkirchen und Nichtregierungsorganisationen weltweit: u. a. nach Kenia, Tansania, in den Kongo, nach Argentinien und Brasilien, nach China, Papua-Neuguinea, Indien, nach Kaliningrad, Rumänien, England, Schweden. Und über den Kirchlichen Entwicklungsdienst werden in vielen Ländern Projekte auch finanziell mit unterstützt. 

III Handeln aus Barmherzigkeit 

Worauf kommt es an in meinem Leben als Christin, als Christ? 

Vor gut zehn Jahren hat man in Thüringen Menschen befragt, die sich in einer Notsituation befanden: „Welches Werk der Barmherzigkeit wäre aus ihrer Sicht heute besonders notwendig?“ Die Antworten wurden zu sieben bedenkenswerten Aussagen zusammengefasst: Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu. / Ich höre dir zu. / Ich rede gut über dich. / Ich gehe ein Stück mit dir. / Ich teile mit dir. / Ich besuche dich. / Ich bete für dich.

Auch für mich als Protestantin sind immer wieder die Worte, aber vor allem die Gesten des Papstes eindrücklich. Franziskus ist direkt nach Lampedusa gereist und hat einen Strauß Blumen ins Mittelmeer geworfen und gesagt: Wir Europäer können nicht wegsehen, wir sind Teil des Flüchtlingsdramas.

Er feiert mit Inhaftierten in einem Jugendgefängnis die Abendmahlsmesse und wäscht zwölf von ihnen die Füße, wie Jesus es bei den Jüngern getan hat. 

„Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ 

Das wird konkret in dem, was jede und jeder Einzelne von uns tut; wenn ich mich leiten lasse von meiner Herzenshaltung, die aus der Barmherzigkeit Gottes kommt. 

Als ich im August 2013 nach Hamburg kam, habe ich in einem Gästezimmer des Ökumenischen Forums gewohnt. Das Ökumenische Forum ist ein Haus, das von 20 Kirchen getragen wird, u. a. auch vom Erzbistum Hamburg. Mit dem Tag meiner Ankunft in Hamburg verbindet sich für mich die Geschichte von Christian und Mercy, die als Lampedusa-Flüchtlinge nach Hamburg gekommen sind.

Ich war noch nicht ganz eine Stunde im Haus, da saß ich mit den Hausbewohnern zusammen und hörte ihre Geschichte. 

Young und Mercy stammen aus Nigeria. Wie viele andere mussten sie auf die Flucht nach Libyen gehen. Und dann brach der Bürgerkrieg in Libyen aus, wo ihr Leben wieder bedroht war. Die Landgrenzen waren alle dicht und so blieb nur der Wasserweg. Mit ganz einfachen Booten waren sie unterwegs. Aber die Boote hielten die Last der vielen Menschen nicht aus und zerbrachen. Christian und Mercy konnten sich nur noch an Planken festhalten, aber ihr vierjähriger Sohn John schaffte es nicht. In Italien erreichten sie schließlich das Festland. Ich habe mich gefragt: Woher nehmen sie die Kraft zum Weiterleben? Nicht zu wissen, wie es weitergeht. Nicht zu wissen, wo man ein Dach über dem Kopf findet. Sie mussten weiterziehen und kamen schließlich nach Hamburg. Wir lebten zusammen auf einem Flur. 

Ein Ehepaar aus unserem Haus hat sich um die beiden gekümmert. Er ist 74 Jahre alt und sie 72 Jahre. Und sie treffen sich immer noch. Jeden Freitag treffen sie sich um 13 Uhr zum gemeinsamen Mittagessen. Nicht mehr und nicht weniger. Christian kann mittlerweile ganz gut Deutsch sprechen und arbeitet bei einer Reinigungsfirma. Mercy – ihr Name bedeutet Erbarmen –, Mercy braucht noch Zeit, auch damit ihre inneren Wunden heilen können. Seit ein paar Tagen besucht sie eine junge Frau aus dem Haus. Vielleicht kann daraus etwas entstehen. 
 

Abschluss 

Gott gebe uns allen Kraft für unser tägliches Tun, gestärkt aus einer Herzenshaltung der Barmherzigkeit. Und weil Gott mich so sieht, wie ich bin, kann ich auf andere zugehen und ihnen barmherzig begegnen. 
„Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Dieser Satz steht auf einem Aufkleber, den unsere Kollegen im Kirchenkreis Nordfriesland verteilen. 
Denn jeder und jede von uns ist wichtig an ihrem Ort, in ihrer Kirchengemeinde und kann etwas für ein Zusammenleben in Gerechtigkeit tun. Wir können darauf vertrauen, dass „Gott uns Menschen mit einem weichen Herz beschenkt, das Barmherzigkeit kennt. Einem Herz, das die verkrampften Hände öffnet. Einem Herz, das freundlich und voller Wärme in die Welt blickt.“
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft und tiefer reicht als unsere Ängste gehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Predigtlied 
Sonne der Gerechtigkeit Ö, EG 262 oder GL 481

Abkündigungen

Lied 
Wenn das Brot, das wir teilen, GL 470
oder: Wo Menschen sich vergessen, Nr. 83 im Beiheft zum Ev. Gesangbuch

Fürbitten 
dazwischen Kyrieruf Nr. 49 im Beiheft zum Ev. Gesangbuch
Gott, du Quelle des Lebens,
die Passionszeit lädt ein, eingefahrene Wege zu verlassen und Neues zu wagen, Kraft zu schöpfen und Herzen und Hände zu öffnen für Menschen, die Unrecht erfahren.
In den täglichen Nachrichten sind die Ungerechtigkeiten dieser Welt – beschämend und aufrüttelnd zugleich – unübersehbar: Menschen, die in so vielen Ländern aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder wegen ihrer politischen Einstellung diskriminiert, verhaftet und gefoltert werden.
Gott, wir bitten dich: Kyrie eleison.
Gott, du Quelle des Lebens,
besonders bitten wir dich für die Menschen, die ihr Land verlassen mussten und auf der Flucht sind; für Männer, Frauen und Kinder, die in Flüchtlingslagern leben in der Türkei, im Libanon, in Kenia, in Deutschland, in unser Nachbarschaft. Gib ihnen Menschen an die Seite, die sie unterstützen und begleiten. Schenke ihnen Hoffnung und Zuversicht.
Denn Gott, du hast verheißen, dass du alles zurecht bringst, dass Gerechtigkeit einkehre und Recht wie Wasser ströme, erfrischend, erquickend, ermutigend. 
Gott, wir bitten dich: Kyrie eleison 
Gott, du Quelle des Lebens,
wir bitten dich für die Ängstlichen; für die, die Sorgen um die eigene Zukunft haben; für die, die wegschauen und sich nicht berühren lassen.
Hilf, dass die Verunsicherung nicht in Hass und Gewalt umschlägt. Zeige Wege auf, wie wir mit unseren Ängsten umgehen können. Denn du bist ein Gott der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit.
Gott, wir bitten dich: Kyrie eleison. 
Gott, du Quelle des Lebens, 
wir bitten dich für die Helfenden, schenke Kraft für jeden Tag. 
Hilf, dass sie offen und berührbar bleiben und standfest, weil sie Zeuginnen und Zeugen sind für das, was geschieht. Gib ein waches Herz. Stärke uns, in unserer Gesellschaft Haltung zu bewahren und Beheimatung zu geben denen, die auf der Flucht sind. 
Gott, wir bitten dich: Kyrie eleison.
Gott, du Quelle des Lebens, 
wir bitten dich für die Menschen in Politik und Verwaltung, die mit Flüchtlingen zu tun haben. 
Gib Weitsicht und Umsicht bei Ihren Planungen, Phantasie für menschengerechte Lösungen. Gib ihnen Mut zu ungewöhnlichen Wegen. Bewahre sie vor Müdigkeit, Überforderung und Zynismus bei der großen Aufgabe.
Gott, wir bitten dich: Kyrie eleison. 
Alles, was uns bewegt, bringen wir in der Stille vor dich, Gott. 
Gemeinsam beten wir: Vaterunser

Segen
aus der Misereor Arbeitshilfe 2016 
Wenn du Unrecht siehst und handelst,
wenn du Hoffnung nährst und teilst,
wenn du mit anderen leidest und fühlst:
Dann strömt Recht mit dir wie Wasser,
dann wirst du Teil der Verheißung
und Segen für die Eine Welt.
Wenn du Schreie hörst und ihnen nachgehst,
wenn du Flagge zeigst und kämpfst,
wenn du mit anderen weinst und lachst:
Dann strömt Recht mit dir wie Wasser,
dann wirst du Teil der Verheißung
und Segen für die Eine Welt.
Wenn du Barmherzigkeit schenkst und empfängst,
wenn du Frieden suchst und lebst,
wenn du mit anderen betest und schweigst:
Dann strömt Recht mit dir wie Wasser,
dann wirst du Teil der Verheißung
und Segen für die Eine Welt.
So segne uns und alle, mit denen wir uns heute
im Gebet verbunden haben,
der Gott der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit:
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Lied 
Bewahre uns Gott, EG 171

Musik zum Ausgang


Autorin
Pastorin Anne Freudenberg, Referat 
Theologie und Nachhaltigkeit im Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit

Nächstes Kapitel
Cover Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030