Gott ist ein Freund des Lebens (Erschienen 1989)

VI.1. Forschung an Embryonen

Bis vor wenigen Jahren war unter einem Embryo ausschließlich das sich im Mutterleib entwickelnde Leben zu verstehen. Durch die Einführung der Methode der extrakorporalen, also außerhalb des Mutterleibes erfolgenden Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) hat sich aber eine tiefgreifende Änderung vollzogen: Neben den Embryonen in vivo (im Mutterleib) hat man es mit Embryonen in vitro (im Glas, im Labor) zu tun. Die Kirchen haben in einer Reihe von Verlautbarungen schwerwiegende Bedenken gegen das Verfahren der In-Vitro-Fertilisation vorgebracht und ausdrücklich von ihm abgeraten . Im vorliegenden Zusammenhang richtet sich der Blick insbesondere auf den Umgang mit Embryonen. Denn Embryonen sind jetzt anders und sehr viel stärker als bisher menschlicher Verfügung und menschlichem Zugriff ausgesetzt.

Werden im Zuge der Behandlung der Unfruchtbarkeit mehr Eizellen außerhalb des Körpers (extrakorporal) befruchtet, als beim Embryotransfer.in die Gebärmutter der Frau übertragen werden, dann stellt sich die Frage, was mit den sogenannten überzähligen Embryonen geschehen soll. Sie müßten absterben, das heißt: weggeschüttet werden. Der Umstand, daß auch bei der natürlichen Befruchtung viele Embryonen absterben und sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht weiterentwickeln, eignet sich nicht als Rechtfertigung für den beliebigen Umgang mit den sogenannten überzähligen Embryonen. Zum Absterbenlassen werden auch problematische Alternativen ins Spiel gebracht: Man kann mit teilweisem Erfolg versuchen, die Embryonen durch Tieffrieren (Kryokonservierung) für einen späteren Embryotransfer aufzubewahren; es wird auch argumentiert, daß "überzählige", ohnehin dem Absterben ausgelieferte Embryonen der Forschung, etwa zur Verbesserung der Methode der In-Vitro-Fertilisation oder für heute noch nicht konkret benennbare Schritte der Krebs- oder Aidsforschung, dienstbar gemacht werden sollten. Embryonen lassen sich - methodisch betrachtet - auch unabhängig von der Sterilitätsbehandlung ausschließlich zur Verwendung in der Forschung erzeugen. Denkbar ist ferner - vermutlich bis zum 8-Zell-Stadium des Embryo - die Abspaltung totipotenter Zellen, also von Zellen, die sich noch aus sich heraus zu eigenständigem Leben entwickeln können, um daran eine Untersuchung auf eine mögliche genetische Schädigung durchzuführen.

Um Maßstäbe für den Umgang mit Embryonen in vitro zu finden, ist auszugehen von den Einsichten, die wir über die Würde des vorgeburtlichen Lebens gewonnen haben und die gleichermaßen für Embryonen in vivo wie in vitro gelten: Der Embryo ist individuelles Leben, das als menschliches Leben immer ein sich entwickelndes ist; die Anlage zur uneingeschränkten Ausübung des Menschseins ist in ihm von Anfang an enthalten; das ungeborene Leben hat ebenso wie das geborene Anspruch auf Schutz. Dann kann aber - wie bei anderen Humanexperimenten - Forschung am ungeborenen Leben nur insoweit gebilligt werden, wie sie der Erhaltung und der Förderung dieses bestimmten individuellen Lebens dient; man sollte in diesen Fällen von Heilversuchen sprechen. Gezielte Eingriffe an Embryonen hingegen, die ihre Schädigung oder Vernichtung in Kauf nehmen, sind nicht zu verantworten - und seien die Forschungsziele noch so hochrangig. Der Opfergedanke ist hier völlig unangebracht; anderen zugute kann sich ein Mensch aus freien Stücken allenfalls selbst opfern.

Die angestellten Überlegungen gelten für die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken (auch in der neuerdings überlegten Form der Erzeugung von Vorkernstadien), für die Verwendung von "überzähligen" Embryonen wie für den "Verbrauch" von Embryonen zur pränatalen Diagnostik. Die Würde des menschlichen Lebens verbietet es, daß es bloß als Material und Mittel zu anderen Zwecken genutzt und - erst recht - gar nur erzeugt wird. Diesem Grundsatz muß auch im Blick auf die In-Vitro-Fertilisation Geltung verschafft werden: Soweit im Gegensatz zu der von den Kirchen eingenommenen Position dieses Verfahren faktisch dennoch angewandt wird, ist zu fordern, daß nur so viele Embryonen erzeugt werden, wie tatsächlich übertragen werden können und sollen; die Nötigung, das Verfahren in dieser Weise zu praktizieren, würde radikal vermindert werden, wenn das Entstehen "überzähliger" Embryonen vom Forschungsinteresse her geradezu willkommen wäre. Zudem ist zu befürchten, daß eine wie auch immer eingeschränkte Freigabe der Forschung lediglich an "überzähligen" Embryonen eine Entwicklung in Gang setzen würde, bei der schließlich auch ein Bedarf für die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken geltend gemacht würde.

Schon die kleinste Bewegung in der Richtung auf die Zulassung "verbrauchender" Forschung an Embryonen überschreitet eine wesentliche Grenze. Es geht hier um den Schutz oberster Rechtsgüter, letzten Endes um die Achtung vor der Würde des Menschen und seines Rechtes auf Leben, die in Art. 1 und 2 des Grundgesetzes verankert sind. Darum haben die gesetzgebenden Organe unseres Staates auch die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß in dieser Hinsicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes einheitlich verfahren wird und die Rechtsordnung mit den geeigneten Mitteln einschließlich des Strafrechts den Schutz von Embryonen gewährleistet.

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