Gott ist ein Freund des Lebens (Erschienen 1989)
VI.4. Organverpflanzung
Die Möglichkeit der Organentnahme von einem lebenden oder verstorbenen Spender und der Organübertragung auf einen (kranken) Empfänger stellt angesichts der Aufgabe des Schutzes des Lebens vor gewichtige Fragen. Dabei sind die Fragen der medizinischen Möglichkeiten und der rechtlichen Zulässigkeit von Organverpflanzungen hier nicht zu erörtern. Übertragen werden inzwischen - mit Ausnahme des Gehirns - alle lebenswichtigen Organe und Gewebe (Organe: Nieren, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse; Gewebe: Haut, Augenhornhaut, Ohrenknorpel). Versucht wurde auch schon die Übertragung von Tierorganen auf den Menschen.
Grundsätzlich anzuerkennen ist die Absicht, durch Organspende und Organverpflanzung leidenden oder gar lebensbedrohten Mitmenschen zu helfen. Deshalb haben bereits bisher kirchliche Äußerungen zur Organspende nach dem eigenen Ableben ermuntert. Die Kirchen wollen auch weiterhin die Bereitschaft zur Organspende wecken und stärken. Die Organspende kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein. Bei Organverpflanzungen besteht freilich die Versuchung, daß man meint, durch neue Organe dem Leben neue Jahre schenken zu können, ohne daß es gelingt, den Jahren neues Leben zu schenken.
Bei Organübertragungen von einem Menschen auf einen anderen ist es notwendig, zwischen der Lebendspende und der Organentnahme von einem soeben Verstorbenen zu unterscheiden. Eine Organübertragung von einem lebenden Spender ist nur in ganz seltenen Ausnahmefällen vertretbar. Wegen der Abstoßreaktion wurden die ersten Nierenübertragungen zwischen Verwandten vorgenommen, da hier die genetische Disposition die Chancen für die Annahme des Organs durch den Körper des Empfängers wesentlich erhöht. Gegen eine Lebendspende sprechen allerdings auch gewichtige Einwände, die sich vor allem aus den Risiken für den Spender ergeben. Eine Lebendspende kommt überhaupt nur bei zweipaarigen Organen in Frage. Auch in diesem Fall steigt das Risiko des Spenders, der dann beispielsweise nur noch über eine Niere verfügt. Auch bleibt die Frage offen, ob zwischen Verwandten (oder Freunden) eine Organspende, zu der es der ausdrücklichen Einwilligung des Spenders bedarf, immer freiwillig und ohne seelischen Druck zustandekommt.
Die zwischen Spender und Empfänger bestehenden psychischen Abhängigkeiten sind ebenfalls zu beachten: Ein Organ empfangen bedeutet, das Weiterleben dem Spender zu verdanken; eine Abstoßreaktion kann als Zeichen der Undankbarkeit gedeutet werden. Wegen dieser schwerwiegenden und weitreichenden Folgen ist man heute von der Lebendspende weithin abgekommen; sie kann überhaupt nur in ganz seltenen Grenzfällen unter dem Gesichtspunkt des außergewöhnlichen Opfers in Erwägung gezogen werden.
Auch die Organentnahme von Verstorbenen und die Übertragung von Organen, wie Niere, Herz, Lunge, auf einen Empfänger, der dringend lebensrettender oder lebensverlängernder Hilfe bedarf, wirft einige Fragen auf.
Es muß mit Sicherheit festgestellt sein, daß der Spender tatsächlich tot ist und daß sein Leben nicht zugunsten eines Empfängers vorzeitig für tot erklärt wurde. Der Hirntod ist das Zeichen des Todes der Person. Diese Todesfeststellung ist einwandfrei nachzuweisen, zu dokumentieren und von Fachärzten, die vom Transplantationsteam unabhängig sind, festzustellen. Die Festlegung der Todeszeitbestimmung und der Methoden der Todesfeststellung fällt in die Zuständigkeit der medizinischen Wissenschaft und ist nach medizinischen Kriterien zu definieren. Der Tod des Gesamthirns wird mit dem Eintritt des Todes des Individuums gleichgesetzt, weil damit die Steuerung der leib-seelischen Einheit des Organismus beendet ist.
Organverpflanzungen dürfen, weil sie einen Eingriff in die körperliche Integrität darstellen, nicht ohne die Einwilligung des Spenders bzw. seiner Angehörigen und ebensowenig ohne die Einwilligung des Empfängers vorgenommen werden. In Notfällen stellt sich im Blick auf den Empfänger allerdings die Frage der mutmaßlichen Einwilligung. Strittig ist, wer im Falle der Organentnahme die Einwilligung zu geben hat, sofern der Verstorbene sich nicht zu Lebzeiten ausdrücklich und nachprüfbar für oder gegen eine Organentnahme ausgesprochen hat. Die rechtliche Regelung für die Einwilligung der Hinterbliebenen ist in diesem Fall schwierig.
Die Verpflichtung zur Pietät gegenüber dem Verstorbenen ist kein Einwand gegen die Organentnahme. Im Umgang mit dem Leichnam schuldet man die Pietät einer verstorbenen Person. Aus der Achtung der Pietät folgt jedoch nach christlichem Verständnis kein absolutes Verbot eines Eingriffes.
Vorbehalte gegen die Organentnahme von Verstorbenen und die Übertragung von Spenderorganen sind verständlich. Eine christliche Sicht der menschlichen Person führt jedoch nicht zur grundsätzlichen Ablehnung der Organverpflanzung, wohl aber zu einschränkenden Anfragen. Generell läßt sich beobachten, daß heute auf dem Feld der Organverpflanzungen zu viel gemacht und zu viel experimentiert wird. Der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft kann allein eine Organverpflanzung nicht rechtfertigen; manche Forscher haben freilich Experimente unter Gefährdung ihres eigenen Lebens gemacht, und entsprechend wird auch der Einsatz des eigenen Körpers bei einer Organverpflanzung nicht von vornherein abzuweisen sein. Eine Bevorzugung der Förderung eines bestimmten menschlichen Lebens auf Kosten der Hilfe für andere menschliche Leben ist abzulehnen; eine solche Bevorzugung geschieht, wenn finanzkräftige Patienten sich neue Organe "kaufen" können. Das Verlangen nach einer Verlängerung der Lebenszeit mit Hilfe einer Organverpflanzung kann auch dadurch hervorgerufen werden, daß man sich weigert, die Endlichkeit des menschlichen Lebens anzunehmen. Eine bloß quantitative Lebensverlängerung ist aus der Wahrnehmung des Schutzes des Lebens nicht abzuleiten.
Insgesamt sehen die Kirchen in einer Organspende eine Möglichkeit, über den Tod hinaus Nächstenliebe zu praktizieren, treten aber zugleich für eine sorgfältige Prüfung der Organverpflanzung in jedem Einzelfall ein.