Drei Fragen an Florin Gorgis

Kurzinterview

Florin Gorgis leitet die Abteilung für Angelegenheiten ethnischer und religiöser Minderheiten im Präsidialamt der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Sie ist assyrische Christin. Im Interview spricht sie, womit Angehörige von Minderheiten im Irak zu kämpfen haben und welche Hoffnungen sie für das Land hat.

Was ist die größte Herausforderung, wenn man im Irak zu einer Minderheit gehört?

Es ist der Mangel an Vertrauen in den offiziellen und inoffiziellen Staat. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 hat dieses Misstrauen zugenommen. Mit Ausnahme der Region Kurdistan betrifft es den ganzen Irak. Darüber hinaus ist das historisch gewachsene Verhältnis zwischen den nationalen Minderheiten und größeren Gemeinschaften schwer gestört, insbesondere in den Gebieten, in denen Al-Qaida aktiv war und die später vom Islamischen Staat übernommen wurden. Sie wollten diese Minderheiten entwurzeln und auslöschen. Leider waren sie in vielen Regionen bis zu einem gewissen Grad erfolgreich. Ich möchte noch eine weitere Herausforderung hervorheben: Angehörige nationaler ethnischer Minderheiten leben oft in einem psychologisch bedenklichen Zustand. Ganz gleich, wie sehr sie sich bemühen, anstrengen oder arbeiten, letztlich werden sie immer als Bürger zweiter oder sogar dritter Klasse behandelt, wenn es um die ihnen zustehenden Rechte und Gesetze geht. Häufig stehen sie ganz unten auf der Liste und sind keine echten Partner auf lokaler und nationaler Entscheidungsebene.

„Meine Hoffnung ist, dass alle Irakerinnen und Iraker aus allen Schichten die Zukunft des Landes selbst gestalten.“

Florin Gorgis
Florin Gorgis Leiterin der Abteilung für Angelegenheiten ethnischer und religiöser Minderheiten im Präsidialamt der Autonomen Region Kurdistan im Irak

Welchen Mehrwert stellen Minderheiten für die Mehrheit dar?

Die Minderheiten im Irak sind bekannt für ihre Authentizität, ihr Eintreten für den Frieden und ihr Engagement für den Fortschritt und die kulturelle Entwicklung des Landes. Im Lauf der Geschichte haben sie viele Werte in die irakische Gesellschaft eingebracht. Heute ist von diesen Werten nicht mehr viel übrig oder sie sind ganz verschwunden. Stattdessen spielen Minderheiten eine negative Rolle im politischen Prozess. Sie wurden durch neue Parteien und Schattenorganisationen, die ihren wahren Zweck verheimlichen, in politische Konflikte hineingezogen. Andere konkurrierende Gruppen betrachten sie deswegen eher als Rivalen denn als integraler Bestandteil der irakischen Gesellschaft. Ihr Mehrwert ist inmitten der politischen Kämpfe der dominierenden nationalistischen Parteien im Irak verloren gegangen.

Was wünschen Sie dem Irak für die Zukunft?

Meine Hoffnung ist, dass alle Irakerinnen und Iraker aus allen Schichten die Zukunft des Landes selbst gestalten, frei von regionalen Agenden und nationalem oder konfessionellem Druck. Ich wünsche mir, dass die irakische Regierung die gesamte Bevölkerung als ein einheitliches Volk betrachtet, ohne sich auf konfessionelle Quoten zu verlassen, die letztendlich zur Spaltung beitragen. Dann wird sich der Beitrag der Minderheiten von einem negativen wieder in einen positiven Wert verwandeln.

Die Fragen stellte Katja Dorothea Buck