Christen im Irak
Verfolgung, Marginalisierung, Perspektivlosigkeit
Seit 2000 Jahren leben Christen im Gebiet des heutigen Irak. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten ist ihre Zahl dramatisch zurückgegangen.
Die ältesten Siedlungsgebiete der Christen liegen im heutigen Irak. Ihre Spuren gehen zurück bis ins erste Jahrhundert. Bis zur Eroberung des Islam im 7. Jahrhundert bildeten sie die Mehrheitsbevölkerung, spielten aber auch als Minderheit weiterhin über die Jahrhunderte eine wichtige Rolle in der Gesellschaft.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat das irakische Christentum einen dramatischen Rückgang erlebt. Anfang der 2000er Jahre lebten noch geschätzt 1,5 Millionen Christinnen und Christen im Irak. Heute geht man davon aus, dass es nur noch 150.000 sind. Hinzukommt, dass sich im gleichen Zeitraum die Gesamtbevölkerung im Irak etwa verdoppelt hat, von 20 Millionen auf heute mehr als 40 Millionen. Ihr Bevölkerungsanteil ist somit auf deutlich weniger als 1 Prozent gesunken.
Irakische Christen unter Saddam Hussein
In den 1980er Jahren stellten die Christen etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung dar. Zwar gab es unter Saddam Hussein (1979 bis 2003) kein Recht auf freie Ausübung des Glaubens. Nicht-muslimische Minderheiten genossen dennoch einige Freiheiten, solange sie seine Macht nicht in Frage stellten. Saddam Hussein stützte sein Regime politisch auf die Gruppe der muslimisch-sunnitischen Araber, die nur ein Drittel der muslimischen Mehrheit gegenüber zwei Drittel der unterdrückten schiitischen Mehrheitsbevölkerung darstellten. In ethnisch-religiösen Minderheiten sah Saddam Hussein ein Gegengewicht zur schiitischen Mehrheit.
Die amerikanische Invasion 2003
Als die US-Armee 2003 in den Irak einmarschierte, um den Langzeit-Diktator zu entmachten, bahnte sich für die einheimischen Christen eine Katastrophe an. Weil sie zur gleichen Religion gehörten wie die Invasoren, beschuldigten radikal-islamische Gruppierungen sie, mit den Amerikanern gemeinsame Sache zu machen. In den Jahren des Bürgerkriegs nach der Entmachtung Saddam Husseins wurden Christen gezielt entführt und kamen nur gegen hohe Lösegelder wieder frei. Einige wurden auch ermordet. Viele Christen verließen daraufhin ihre Heimat für immer.
Christenverfolgung unter dem Islamischen Staat (IS) 2014
Ab 2014 wurde der Islamische Staat (IS) im Irak immer mächtiger. Im Juni 2014 eroberte die Terrormiliz die Großstadt Mossul und zahlreiche Kleinstädte und Dörfer in der Niniveh-Ebene. Hunderttausende Christinnen und Christen flohen in den Norden des Landes, in die Autonome Region Kurdistan. Sie kamen anfangs in Flüchtlingslagern unter, später in Wohnungen. Viele gingen ganz ins Ausland.
Die meisten in den Norden geflohenen Christinnen und Christen sind auch nach der Rückeroberung Mossuls und der Vertreibung des IS aus der Niniveh-Ebene 2017 nicht wieder zurückgekehrt. Zu groß ist der Vertrauensverlust in die muslimische Nachbarschaft von einst, von welcher große Teile den Vormarsch des IS erst ermöglicht hatten. Eine breite Aufarbeitung dessen, was damals passiert ist, hat bisher nicht stattgefunden.
Auch gilt der IS nur militärisch als besiegt. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Terrormiliz jederzeit wieder erstarken kann. In einem im Februar 2023 erschienenen Bericht schreiben die Vereinten Nationen, dass die Gefahr, welche der IS weltweit darstellt, nach wie vor sehr groß sei. Allein in Syrien und im Irak soll es demnach zwischen 6.000 und 10.000 Kämpfer geben.
Der Einfluss der Christen im Irak schwindet
Christen im Irak werden nicht nur zahlenmäßig immer weniger, sie verlieren auch zunehmend an gesellschaftlichem und politischem Einfluss. Das hängt zum einen mit der demografischen Entwicklung zusammen. Die Gesamtbevölkerung hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt, während der die Anzahl der Christen im gleichen Zeitraum auf ein Zehntel geschrumpft ist.
Zum anderen ist auch das Wahlsystem für die christliche Minderheit eher von Nachteil.
Viele Hilfsgelder sind in den letzten Jahren von Kirchen und kirchlichen Hilfswerken weltweit in den Irak geflossen, um die christliche Präsenz zu stärken. Diese Gelder sind Ausdruck der christlichen Solidarität mit den leidenden Geschwistern. Sie erhalten auf diese Weise eine Starthilfe für den Wiederaufbau der vom IS zerstörten und geplünderten Häuser. Doch nach wie vor ist die Situation der Christen besorgniserregend. So wird es für sie zum Beispiel immer schwerer, selbst nach einer guten Ausbildung einen Arbeitsplatz zu bekommen. Während früher viele Christinnen und Christen im öffentlichen Dienst eine gute Anstellung bekamen, wird dies heute immer schwerer für sie. Es darf deswegen nicht verwundern, wenn sich auch heute noch christliche Familien für einen endgültigen Abschied aus ihrer Heimat entscheiden und ihre wiederaufgebauten Häuser und Ländereien an diejenigen verkaufen, die das meiste Geld dafür bieten.
Christliche Solidarität mit den Geschwistern
Christliche Solidarität mit den leidenden Geschwistern ist wichtig. Sie darf sich allerdings nicht allein in finanzieller Hilfe erschöpfen. Damit Christinnen und Christen im Irak eine Zukunft haben, muss sehr viel mehr passieren, angefangen bei Versöhnungsarbeit bis hin zur politischen Forderung nach Religionsfreiheit für Christen und andere religiöse Minderheiten im Irak. Ohne Schutz- und Sicherheitsgarantien ist nicht damit zu rechnen, dass Christen in ihre angestammten Gebiete zurückkehren werden.
Katja Dorothea Buck