Wenn die alte Welt verlernt wird
Umgang mit Demenz als gemeinsame Aufgabe, EKD-Text 120, Hrg. EKD und Diakonie Deutschland, Februar 2014, ISBN 978-3-87843-031-5
3 Medizinische, pflegerische und gesundheitspolitische Aspekte
3.1 Allgemeiner medizinischer Sachstand
Demenz ist eine chronisch fortschreitende, derzeit nicht heilbare Erkrankung des Gehirns, die in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit in Forschung, Therapie und Pflege bekommen hat. In Deutschland leiden ungefähr 1,4 Millionen Menschen an einer Demenz, [24] die Erkrankungshäufigkeit liegt bei 6-7%, [25] die jährliche Erkrankungsrate wird auf etwa 1%, d. h. auf etwa 140 000 Neuerkrankungen, geschätzt. [26] Bei den über 90-jährigen steigt der Anteil Demenzerkrankter auf ca. 30%. In Deutschland geht man von einer Verdoppelung der Anzahl Demenzerkrankter bis 2050 aus. Die direkten und indirekten Kosten für die jährliche Betreuung eines Patienten wurden schon im Jahr 2000 auf etwa 40 000 Euro geschätzt, wobei ca. 30% auf die gesetzliche Pflegeversicherung und rund 70% auf familiäre Leistungen entfielen. [27]
Demenz findet Aufmerksamkeit nicht nur in den einkommensstarken Ländern, sondern durch die weltweit steigende Lebenserwartung (am stärksten in den Niedriglohn- und Schwellenländern) stellen sich auch global Fragen des gesundheitspolitischen Umgangs mit dieser Erkrankung. [28]
Bei der Demenz unterscheidet man verschiedene Typen: degenerative Demenzen (z. B. Alzheimer-Demenz), gefäßbedingte Demenzen (z. B. MultiinfarktDemenz), toxische/metabolische Demenz (z. B. Alkoholdemenz), entzündliche Demenzen (z. B. AIDS-Demenz) und Demenzen nach Schädelhirnverletzungen. [29] Die verschiedenen Formen unterscheiden sich in den Krankheitsursachen, den Verläufen und deren Beeinflussungsmöglichkeiten. Am häufigsten ist die degenerative Alzheimer-Demenz (ca. 60%), gefolgt von der gefäßbedingten Demenz (ca. 15-20%). Dementielle Erkrankungen treten bei Frauen aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung häufiger auf. [30] Nur ein kleiner Teil (5-10%) der Alzheimer-Demenzen werden als erblich eingeschätzt, 1-3% können derzeit genetisch nachgewiesen werden. Die genauen Ursachen der Demenz sind immer noch weitgehend unbekannt: es wird eine Mischung aus Umwelt- und genetischen Einflüssen vermutet. [31]
Die Diagnostik der dementiellen Erkrankung erfolgt mit verschiedenen (fremd)- anamnestischen, körperlichen, psychopathologischen und radiologischen Untersuchungen begleitet von psychometrischen Tests und Laboruntersuchungen. Die Demenz ist dabei häufig eine Ausschlussdiagnose und kann erst im weiteren Verlauf verifiziert werden. Die Demenzhäufigkeit steigt mit zunehmendem Alter, sie ist aber ein eigenes Erkrankungsbild und nicht der Alterungsprozess an sich (auch wenn teilweise diagnostische Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen). Für die Diagnose der Alzheimer-Demenz sind nach ICD-10 [32] der Nachweis einer Abnahme des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten (Denk-/Urteilsvermögen, Informationsverarbeitung etc.) sowie emotionaler Veränderungen (Labilität, Irritabilität, Apathie etc.) über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten erforderlich.
Bei der Alzheimer-Demenz unterscheidet man drei Erkrankungsstadien (andere Demenzen haben ähnliche, aber variablere Verläufe). Das erste Stadium (leichte Demenz) ist gekennzeichnet durch geringe kognitive Symptome (Gedächtnis, Denken, Orientierung, Sprache, Urteilsvermögen), die im Alltag zwar bewusst erlebt werden und psychisch belasten, aber noch keine umfassende Einschränkung eines selbständigen Lebens bedeuten. Im zweiten Stadium (mittlere Demenz) nehmen diese Symptome zu, so dass die Unabhängigkeit erheblich eingeschränkt ist. Im dritten Stadium (schwere Demenz) verbleiben nur Teile alter Erinnerungen, neue Informationen können nicht mehr adäquat verarbeitet werden, Verwandte werden häufig nicht mehr erkannt. Während des Erkrankungsverlaufs, der im Mittel 4 bis 8 Jahre andauern kann, nimmt der Abhängigkeitsgrad der Patienten in der täglichen Lebensführung kontinuierlich zu. Während im ersten Stadium nur situative Unterstützung für einige alltägliche Verrichtungen notwendig ist, liegt im letzten Stadium eine vollständige Abhängigkeit von Hilfe vor.
Trotz verstärkter internationaler Forschungsbemühungen, verbesserte Diagnostikverfahren und Therapieansätze zu finden, gibt es bisher nur wenige Medikamente, die anfangs einigen Einfluss auf das Fortschreiten der Erkrankung haben (Acetylcholinesterasehemmer, Memantine, Antioxidantiva). [33] Zusätzlich werden die Symptome der Demenz häufig von anderen (chronischen) Erkrankungen des höheren Lebensalters überlagert. Für Diagnostik und Behandlung gibt es in Deutschland fachgesellschaftliche Leitlinien. [34]
Inzwischen wurden verschiedene nichtmedikamentöse psychotherapeutische und pflegerische Ansätze entwickelt (Kompetenztraining, Validation, Selbst-Erhaltungs-Therapie). Hierbei wird in letzter Zeit nicht mehr nur von einem primär defizitären Ansatz ausgegangen, sondern es werden zunehmend ressourcenunterstützende Maßnahmen eingesetzt. Diese umfassen insbesondere spezifische kommunikative Ansätze. Es wird dabei versucht, den Verbleib den Patienten in seiner vertrauten Umgebung bzw. in einem ihm bekannten Umfeld so lange wie möglich zu unterstützen.
Der weitaus größte Anteil Erkrankter wird zu Hause versorgt. Dies führt bei pflegenden Angehörigen häufig zu starken psychischen, emotionalen, körperlichen und finanziellen Belastungen. Inzwischen sind neue Betreuungsformen entstanden, in denen Erkrankte u. a. entweder tagsüber betreut werden, oder in denen sie in Wohngemeinschaften zusammen leben und wo gerontop-sychiatrische Unterstützung vorhanden ist. Es gibt mittlerweile ein breites Angebot an stationärer Pflege. In einigen vor allem ländlichen Regionen gibt es allerdings Engpässe in der fachärztlichen (gerontopsychatrischen) Versorgung und bei der teilstationären Versorgung in Tagespflegeeinrichtungen.
Es wird vermutet, dass modifizierte Lebensstile mit ausgewogener Ernährung, Bewegung, Vermeidung von Übergewicht und Rauchen präventiv wirken. Menschen mit psychischen Erkrankungen (Depressionen) sind statistisch gesehen häufiger, Menschen mit höherer Bildung und aktiver Lebensgestaltung seltener von Demenz betroffen. Ob weitere präventive und welche Maßnahmen (z. B. Gedächtnistraining) sinnvoll sind, ist derzeit heftig umstritten.
In den letzten Jahren hat es in Deutschland zahlreiche lokale und regionale Projekte mit unterschiedlichen Akteuren zur Verbesserung der Versorgung von Patienten und ihren Familien gegeben. Im Jahr 2002 wurde das Kompetenznetz Demenzen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für vielfältige Forschungsvorhaben gegründet. Um die flächendeckende Versorgung Demenzkranker und ihrer Familien zu verbessern, wurde im Juni 2012 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) eine Expertise veröffentlicht mit Empfehlungen, welche Handlungsfelder vorrangig sind und wie die verschiedenen Projekte koordiniert und finanziert werden können. [35] Diese geht davon aus, dass es Transferbarrieren auf gesellschafts-, versorgungsund steuerungspolitischer Ebene gibt. Sie schlägt vier zentrale Handlungsfelder vor: »Gesellschaftliche Verantwortung und Information«, »Unterstützung der Familien«, »Versorgungsstrukturen, Versorgungsoptimierung«, »Grundlagen und Forschung«. [36] Dies wird gegenwärtig im Rahmen einer gesellschaftlich breit aufgestellten »Allianz für Menschen mit Demenz« transparent und mit öffentlicher Beteiligung erarbeitet werden.
Das europäische Parlament hat am 19. Januar 2011 Demenz als »gesundheitspolitische Priorität« [37] erklärt und nationale Aktionspläne eingefordert.
Auch global wird der Umgang mit Demenz weiterverfolgt (geschätzt werden mit zunehmender Tendenz 35,6 Millionen Erkrankte weltweit). Die WHO schlägt in ihrem Bericht von 2012 vor, dass die einzelnen Staaten Demenzpläne mit Öffentlichkeits- und Betroffenenbeteiligung entwickeln, Kenntnisse verbessern, eine »demenzverstehende« Gesellschaft schaffen und diesem Bereich hohe Versorgungspriorität einräumen. [38]
3.2 Präklinische und prädementielle Diagnostik
In den letzten Jahren wurde verstärkt nach diagnostischen Methoden gesucht, die eine Vorhersage dementieller Erkrankungen ermöglichen bevor klinische Symptome auftreten (sog. präklinische bzw. prädementielle Diagnostik). [39] Hierbei werden genetische Auffälligkeiten und verschiedene sog. Biomarker untersucht.
Die Diagnostik der dementiellen Erkrankungen ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Eine genetische Untersuchung kann nur ein mehr oder weniger erhöhtes Risiko voraussagen. Dies gilt auch für die seltenen familiären, frühen Form der Demenz. Bei der Untersuchung wird das bewährte Vorgehen ähnlich wie bei der prädiktiven Diagnostik der Chorea Huntington angewendet (sog. Huntington-Protokoll). [40] Dieses beinhaltet u. a. eine qualitativ hochwertige Labordiagnostik und umfassende Beratung, die Freiwilligkeit der diagnostischen Untersuchung die Kostenübernahme durch die entsprechenden Kostenträger, den Ausschluss von Diskriminierung nach Ergebnismitteilung, eine mehrwöchige Bedenkzeit, eine Altersgrenze von 18 Jahren und das Angebot psychosozialer Begleitung während des gesamten Diagnostikprozesses. Dieses Verfahren muss an die jeweilige Demenzerkrankung angepasst werden. Dabei müssen auch versicherungsrechtliche Konsequenzen beachtet werden. Es gibt erste, vorsichtig zu beurteilende Erfahrungen, die u. a. darauf hindeuten, dass Betroffene einerseits ein Ergebnis für ein erhöhtes Risiko mit entsprechender Beratung psychisch verarbeiten können, andererseits aber von den Ratsuchenden teilweise problematische Bewältigungsstrategien (z. B. ungeeignete oder gar schädliche Ernährungsergänzungsstoffe oder Diäten) angewendet werden. [41]
Derzeit werden in klinischen Studien sog. Biomarker untersucht, die eine möglichst präzise Vorhersage der Erkrankung erlauben sollen. Dabei handelt es sich um eine Kombination von Untersuchungen im Liquor (Rückenmarksflüssigkeit) bzw. Blut, funktionellen Untersuchungen mittels Computer- bzw. Kernspintomographie und kognitiven bzw. neuropsychologischen Tests. Es wurde deutlich, dass einzelne diagnostische Auffälligkeiten über Jahre oder gar Jahrzehnte der klinischen Symptomatik vorausgehen können, aber nicht in allen Fällen auch zu einem sichtbaren Krankheitsbild führen. Es ist bisher nicht endgültig geklärt, bei welchen Personen welche frühen diagnostischen Nachweise sicher zu einer Alzheimererkrankung oder einer anderen dementiellen Erkrankung führen und bei welchen Personen bis zum Lebensende keine klinische Symptomatik auftreten wird. Die Mitteilung eines erhöhten Risikos kann aber für den Betroffenen erhebliche psychische und soziale Auswirkungen haben, obwohl es im Einzelfall unklar ist, ob die Erkrankung bei ihm wirklich auftritt, da es sich nur um eine statistische Angabe handelt. Die präklinische Diagnostik wird aufgrund dieser methodischen Unsicherheiten und einer wirksamen präventiven Therapie deshalb bisher nur für klinische Studien und nicht für die klinische Praxis empfohlen. [42] Auch bei klinischen Studien ist sie nur mit großer Vorsicht und entsprechender umfassender Aufklärung und Einwilligung anzuwenden. Andererseits besteht ein hoher Forschungsbedarf. So fehlen bisher weitgehend Standardisierungen für die verschiedenen Biomarker und die zweifelsfreie Abgrenzung der pathologischen diagnostischen Befunde zum normalen Alterungsprozess. [43] Auch ist unbekannt, welche genetischen Merkmale, Begleiterkrankungen, Konstitution und soziale Einbindung in welcher Weise eine den Krankheitsverlauf verzögernde bzw. beschleunigende Rolle spielen. Als Ziel der Forschungen wird angegeben, verlässliche Prädiktoren zu ermitteln, die - falls zukünftig vorhanden - bei einer frühzeitigen präventiven Therapie als aussagekräftige Verlaufsparameter dienen können. Bei dementiellen Erkrankungen wird die Vermittlung dieses Risikoprofils und dessen Veränderung im Erkrankungsverlauf eine besondere Herausforderung in der praktischen Anwendung darstellen.
In der klinischen Praxis ist es im Einzelfall bisher weiterhin schwierig vorauszusagen, ab wann und ob überhaupt bei einem Patienten das präklinische Stadium über eine leichte kognitive Beeinträchtigung (»mild cognitive impairment«, MCI) in eine dementielle Erkrankung übergeht. Hier ist der behandelnde Arzt oder die Ärztin notwendigerweise auf Beobachtungen und Aussagen des Patienten bzw. der Patientin oder der Angehörigen angewiesen. Für die hausärztliche Versorgung müssen zukünftig eigene praxistaugliche Instrumente einer vorausschauenden Beurteilung entwickelt werden, die eine sinnvolle Diagnostik erster Symptome bzw. Berichte auch im hausärztlichen Bereich ermöglichen. [44] Spezifischere und aufwändigere Diagnostik wird sinnvollerweise in Spezialambulanzen stattfinden.
Letztendlich muss bei der frühen Diagnostik auf Demenz unterschieden werden zwischen präklinischen Untersuchungen (derzeit nur im Forschungskontext empfohlen) und prädementiellen klinischen Untersuchungen bzw. einer Frühdiagnostik der Demenz bei ersten Symptomen. Für die prädementielle und Frühdiagnostik bei Symptomen sind Vorteile und Risiken abzuwägen. Die Vorteile einer frühen Diagnose sind offensichtlich: die eigene Lebensführung kann darauf eingestellt werden, es können frühzeitig Betreuungsund Pflegemöglichkeiten organisiert werden, schriftliche Verfügungen und Vollmachten verfasst und - soweit zukünftig vorhanden - therapeutische Optionen diskutiert werden. Auf der anderen Seite kann die Diagnose, eine Demenz zu entwickeln, höchst beunruhigende Folgen haben: wie lebt man mit einer solchen Diagnose? Wie wirkt sich dieses Wissen auf die Lebensplanung und die Selbstwahrnehmung aus? Es muss deshalb eine umfassende Aufklärung durchgeführt werden, bevor eine entsprechende Diagnostik durchgeführt wird. [45] Sollten zukünftig auch die präklinischen Untersuchungen auf die Alzheimersehe Demenz (möglicherweise als Screeninguntersuchungen) eingesetzt werden, setzt dies entsprechende noch zu entwickelnde Vorsichtsmaßnahmen und spezielle Informationsformate für die (Risiko-)Beratung und Begleitung bzw. Empfehlungen und Leitlinien für die Kommunikation der Ergebnisse voraus. [46] Welche Bedeutung hat ein bestimmtes Erkrankungsrisiko für den Einzelnen? Was heißt dann »krank« und »gesund« bzw. wie verschiebt sich zukünftig das Verhältnis zwischen Gesundheit und Krankheit? Wichtig erscheint, dass Menschen in der Lage gesetzt werden eine Entscheidung, die Vor- und Nachteile individuell bewertet und abwägt.
3.3 Aspekte fürsorglicher Praxis (Care-Ethik)
Die Pflege von an Demenz Erkrankten stellt gewiss eine große Herausforderungen für gute Pflege dar. Eine fürsorgliche Praxis zeigt sich in der Achtung der Selbstbestimmung der erkrankten Person. Sie verlangt eine hohe Sensibilität für ihre aktuelle Befindlichkeit und vermeidet ein Aufdrängen der als notwendig erachteten Pflegehandlungen. Es geht um »dialogische Verständigung« als gelebtes Ethos fürsorglicher Praxis. Genau dies ist in einem Gesundheitswesen und einer Pflegeversicherung die unter finanziellem Druck stehen, außerordentlich schwierig. 2006 hat der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium für Gesundheit eingesetzte »Runde Tisch Pflege« eine »Charta der Rechte für hilfe- und pflegebedürftige Menschen« fertiggestellt. Die Charta beschreibt in alltagsbezogener und verständlicher Weise die legitimen Rechte pflegebedürftiger Menschen im Kontakt mit dem Pflegepersonal von ambulanten Diensten und stationären Pflegeeinrichtungen. Neben den leistungsrechtlichen Aspekten geht es in der Charta besonders um einen respektierenden und wertschätzenden Umgang in der Pflegesituation. Mit der Betonung von Werten wie Fürsprache, Menschlichkeit und Respekt spielt diese Charta in der pflegefachlichen Diskussion eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Charta umfasst acht Artikel u. a. zu Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe; körperlicher und seelischer Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit; Recht auf Privatheit; individuell ausgerichteter Betreuung und Behandlung; Beratung; Kommunikation, Wertschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft sowie Religionsausübung. [47]
Die Beachtung und Umsetzung dieser - an Menschenwürde und unveräußerlichen Rechten orientierten - Charta stellt besondere Anforderungen an alle mit professioneller Pflege betrauten Institutionen, aber auch an die privat Pflegenden im häuslichen Bereich. In den Einrichtungen kommt es darauf an, dass die geschriebenen Regeln und Leitbilder mit den ungeschriebenen Regeln übereinstimmen. Das kann nur gelingen, wenn ethische und pflegetheoretische Aspekte in die Qualitätssysteme integriert sind. Das Ethos fürsorglicher Praxis in der beruflichen Pflege ist gefährdet, wenn die gebotene Zeit für die wichtige Beziehungsgestaltung mit den Erkrankten nicht gewährleistet ist, denn so kann es zu Überforderungen der Pflegekräfte und Übergriffen kommen. Der außerordentlich bedenkliche, hohe Berufswechsel von Pflegekräften (und insbesondere Kräften in der Altenpflege) wenige Jahre nach der Ausbildung ist häufig dadurch motiviert, dass in diesem Beruf den eigenen Vorstellungen guter menschenwürdiger Pflege unter Zeitdruck nicht entsprochen werden kann. Es bewährt sich, wenn in der Pflege, sowohl für Professionelle wie für pflegende Angehörige ein Zugang zu Supervision oder Reflexionsmöglichkeiten der eigenen Praxis ermöglicht wird.