Für uns gestorben
Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Gütersloher Verlagshaus 2015
III.7. Was heißt das: Für uns gestorben?
»Für uns gestorben ...« — das wurde in der reformatorischen Theologie gleichbedeutend beantwortet mit dem Verweis auf die leidenschaftliche Liebe Gottes zu den Menschen, sowohl bei Luther als auch im Heidelberger Katechismus. Dass Gott den Menschen »erworben« und »gewonnen« hat von all jenen Mächten, die sein Leben an andere, fremde Werte und Instanzen binden, und zwar durch das »Leiden und Sterben« Jesu Christi, wie Luther im Kleinen Katechismus formuliert, ist ein Ausdruck des persönlichen Einsatzes Gottes für jeden Einzelnen. Auf diesen Einsatz, der ihm die Last der Verantwortung vor Gott nimmt, kann der Mensch vertrauen. Es ist deshalb ein großer Trost — wie der Heidelberger Katechismus sagt — »mit Leib und Seele«, »im Leben und im Sterben« diesem Gott anzugehören, der selbst in Jesus Christus begegnet. Für den Menschen bedeutet dies zugleich, geborgen zu sein in der Liebe Gottes und hineingestellt zu sein in einen Raum der Freiheit.
Unter dem Kreuz wird freilich auch die andere Existenzform des menschlichen Daseins sichtbar: das Elend der Ungeborgenheit und des Ausgeliefertseins an die Mächte der Zerstörung und des Todes. Diejenigen, die diesen einen Unschuldigen verraten, anklagen, ausliefern, quälen, verspotten und schließlich hinrichten, demonstrieren auf ihre Weise, wie sehr sie in diesem Elend gefangen sind. Es ist das Elend der Schuld, von der sich Pilatus auch nicht dadurch befreien kann, dass er seine Hände in Unschuld wäscht. Es ist das Elend der frommen Selbstbehauptung und moralischen Entrüstung, die der Kraft der Vergebung nicht über den Weg traut. Es ist auch das Elend der theologischen und politischen Rechthaberei, die denjenigen nicht gelten lässt, der gegen die vertrauten Werte und Normen verstößt.
Mit anderen Worten: Es ist das Elend der Sünde. Die Sünde als Entfremdung des Menschen von Gott, vom Mitmenschen und von sich selbst wird in der Passion Jesu auf drastische Weise anschaulich. Die Geschichte seines Leidens und Sterbens offenbart das Elend des Menschen, der wir sind. Insofern sind wir alle in die Geschichte seiner Hinrichtung verstrickt; sie wird uns zur Anklage als Sünder vor Gott — sie wird uns zum Gericht.
Sie wird uns freilich nicht so zum Gericht, dass wir von dem uns treffenden Schuldspruch zerstört werden. Tod und Vernichtung sind zwar die logische Endkonsequenz unserer Sünde: Der Mensch als Sünder muss und wird sterben. Aber der Mensch, der im Glauben in Gott geborgen ist, wird aus dem Tod des Sünders auferstehen und leben. Das kann gesagt werden, weil Jesus Christus am Kreuz unseren Sündentod gestorben ist. In seiner Passion hat sich Gott an den Ort begeben, an dem sich das Gericht über die Sünde des Menschen vollzieht.
Er hat an unserer Stelle in Jesus Christus unser verwirktes, dem Tod verfallenes Leben bis in die tiefsten Tiefen unseres Elends hinein ausgehalten, um uns sein unvergängliches Leben zu schenken. Er hat mit uns getauscht: Er ist für uns gestorben, damit wir leben können. So ist das »Für uns gestorben« der Schlüssel unserer Zukunft.