Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft
Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung, GT 22, hrsg. EKD und DBK, Februar 2014
Gemeinsame Verantwortung heißt, ordnungspolitische und ethische Maßstäbefür die Wirtschaft zu erneuern.
3. Ordnungspolitische und ethische Maßstäbe
Die Finanzmarktkrise der Jahre 2007–2009 war die Folge menschlichen Versagens auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Zu Recht ist die Maßlosigkeit und eine zum Teil bis ins Kriminelle gesteigerte Selbstherrlichkeit und Gier mancher Finanzmarktakteure kritisiert worden. Aber es wäre – auch mit Blick auf das Ziel der Verhinderung künftiger Krisen – verfehlt, sich mit individuellen Schuldzuweisungen gegen bestimmte Personen und Institutionen zu begnügen.
Denn die Krise war eine strukturelle Krise und deshalb müssen auch die strukturellen Ursachen gesucht und beseitigt werden. Daher geht es nicht nur darum, dass sich auch Banken in ihrer Geschäftspolitik nach den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns richten sollen. Das ist zwar eine richtige Forderung, aber genauso wichtig ist es zu fragen, welche verfehlten Strukturen so viele Akteure auf den Finanzmärkten dazu angereizt haben, alle Grundsätze nachhaltigen Geschäftsgebarens zu missachten und extrem hohe Risiken einzugehen, die letztlich nicht mehr überschaubar und schon gar nicht mehr beherrschbar waren. Es ist die Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik im Sinne von Ordnungspolitik, solche verfehlten Anreizstrukturen zu identifizieren und zu beseitigen. Gleichzeitig liegt es auch in der Verantwortung des Staates, Institutionen zu schaffen, die geeignet sind, geltendes Recht für alle in gleicher Weise durchzusetzen. Das bedeutet, dass solche Institutionen wie z. B. Bankenaufsicht oder Steuerverwaltung auch mit entsprechenden Kompetenzen sowie materiellen und personellen Ressourcen auszustatten sind.
Ordnungspolitisch und auch moralisch verfehlt ist es vor allem, wenn die Folgen riskanter Geschäftspolitik nicht von denjenigen getragen werden, die die Risiken eingegangen sind, sondern von Dritten oder der Allgemeinheit. Genau das aber war in der Finanzmarktkrise der Fall. In den erfolgreichen Jahren des hochspekulativen Investmentbanking wurden die Gewinne privatisiert, die Verluste in der Krise aber wurden sozialisiert. Demgegenüber muss auch auf dem Finanzmarkt und im Bereich der Wirtschaft insgesamt der moralische Grundsatz gelten: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ (Walter Eucken). Die Ordnungsökonomie spricht in diesem Zusammenhang von dem Prinzip der Haftung. Haftung bedeutet dabei, dass Investoren, Manager und Unternehmer für ihre Entscheidungen auch selbst geradestehen müssen. Die Finanzmarktkrise hat uns auf beängstigende Weise daran erinnert, dass eine Marktwirtschaft ohne diese Korrespondenz von Freiheit und Verantwortung nicht funktionieren kann.
Auch die Ideologisierung der Deregulierung, die die Politik jahrelang dazu drängte, die Märkte, besonders die Finanzmärkte, sich selbst zu überlassen, ist durch die Krise widerlegt worden. Richtig ist vielmehr eine der Grundannahmen der Sozialen Marktwirtschaft: dass nämlich die Märkte eine Rahmenordnung und eine wirksame ordnungspolitische Aufsicht benötigen, damit das Finanz- und Wirtschaftsgeschehen in gemeinwohldienliche Bahnen gelenkt wird. Hier steht die Politik vor der Herausforderung, die zurzeit noch bestehenden Widersprüche und Brüche zwischen den Funktionsmechanismen der globalen Märkte und den nationalen Gesetzgebungen zum Ausgleich zu bringen. Dazu ist ein größeres Maß internationaler Zusammenarbeit erforderlich. Nach den Erfahrungen der Krise betrifft das zunächst einmal die politische Erarbeitung von gemeinsamen Standards und Regeln für die Finanzmärkte, aber auch von ökologischen und sozialen Mindeststandards. Ein globaler Markt braucht eine globale Ordnung.
Wir als Kirchen haben nicht die Kompetenz, darüber zu urteilen, welches im Einzelnen die richtigen Instrumente sind, um die Bankenaufsicht und die Finanzmarktordnung zu reformieren und zu regulieren. Aber wir appellieren an die politisch Verantwortlichen, sich bei den notwendigen Maßnahmen von ordnungspolitischer Vernunft und moralischen Maßstäben leiten zu lassen. Das heißt etwa, dass Sparer und die Allgemeinheit in Zukunft besser davor geschützt werden müssen, für riskante Spekulationsgeschäfte von Banken in Haftung genommen zu werden. Das systemische Risiko und Erpressungspotenzial, das mit Finanzinstituten verbunden ist, die „too big to fail“ sind, muss wirksam begrenzt werden. Haften sollen in Zukunft vielmehr diejenigen, denen als Entscheidungsträgern und potentiellen Profiteuren von Anlageentscheidungen auch anfallende 26 Gemeinsame Verantwortung heißt, Ordnungspolitische und ethische Maßstäbe Erträge zufließen. Ausdrücklich begrüßen wir, dass in der Politik eine entsprechende Debatte stattfindet, nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb der Europäischen Union und auf internationaler Ebene. Weiter sprechen wir uns dafür aus, dass Deutschland sich aktiv an Prozessen wie der Weiterentwicklung der Bankenunion oder einer wirksameren grenzüberschreitenden Bankenaufsicht beteiligt.
Aber nicht nur auf den Finanzmärkten, auf allen Märkten brauchen wir eine ordnungspolitische Erneuerung der Verantwortungskultur. Nicht die kurzfristige Steigerung der Aktienkurse, sondern der nachhaltige Unternehmenserfolg muss der Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und die Entlohnung von Managern sein. Auch hier muss das Prinzip der Haftung wieder mehr zur Geltung gebracht werden. Boni ohne Mali darf es nicht mehr geben, weder für Manager noch für Investoren.