Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft
Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung, GT 22, hrsg. EKD und DBK, Februar 2014
Gemeinsame Verantwortung heißt, wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen zu stellen.
1. Wirtschaftliches Wachstum
Die christliche Wirtschaftsethik und kirchliche Erklärungen haben immer betont: Wirtschaftliche Aktivitäten – unternehmerisches Handeln, aber auch Transaktionen auf den Finanzmärkten – stellen keinen Selbstzweck dar und sind nie nur eigennutzorientiert zu betrachten. Ihr Ziel ist es, die menschliche Entwicklung insgesamt zu befördern, Armut zu beseitigen, reale Freiheiten der Menschen zu vergrößern und so das Gemeinwohl weiterzuentwickeln. Deswegen kann Gewinnmaximierung um jeden Preis niemals eine moralisch akzeptable Handlungsmaxime sein – schon gar nicht dann, wenn sich mit ihr überhaupt kein realwirtschaftlicher Nutzen verbindet. An der Notwendigkeit dieser grundsätzlichen moralischen Differenzierung hat sich aus unserer Sicht nichts geändert. Wir sind vielmehr überzeugt, dass dieser Differenzierung heute mit Blick auf die globalen ökologischen und sozialen Herausforderungen eine noch viel größere Bedeutung zukommt als in früheren Zeiten. Insbesondere die Finanzmärkte müssen sich wieder in Richtung einer dienenden Rolle wandeln.
Wir stellen diese Überlegung bewusst an den Anfang und machen sie zu einer Leitperspektive unserer weiteren Betrachtungen: Es war die durch mathematisch-ökonomische Modelle suggerierte Illusion der Beherrschbarkeit auch größter Risiken, die als eine wesentliche Ursache für die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007–2009 gesehen werden muss. Die Finanzmärkte galten für viele als perfekt funktionierende Märkte. Tatsächlich aber ist die Fragilität der Ökonomie größer denn je geworden. Ob der notwendige Neubau unseres Wirtschaftssystems gelingt, wird sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob dem Geld der Stellenwert zukommt, der ihm gebührt: eine strikt dienende Funktion. Kapital dient der Realwirtschaft und damit den Lebensmöglichkeiten der Menschen – noch präziser: aller Menschen. Wo dieser dienende Charakter verloren geht, geht das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft verloren. Es ist heute offen, ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, in dieser Hinsicht wieder Gleichgewichte zu schaffen. Es sind ordnungspolitische Weichenstellungen nötig, die allerdings allein national nicht greifen können.
In der Finanzmarktkrise ist offensichtlich geworden, dass sich bestimmte Segmente der Finanzindustrie verselbstständigen konnten und Risiken eingegangen wurden, die die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrundes führten. Millionen Menschen weltweit haben diese Lehre teuer bezahlt. In den Abgrund schauen wir heute auch mit Blick auf die natürliche Tragfähigkeit unseres Planeten. Und in nicht wenigen Teilen unserer Welt ist es immer noch so, dass wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Fortschritt in bedrückender Weise auseinanderklaffen.
Nur eine verantwortlich gestaltete Marktwirtschaft ist geeignet, den Wohlstand hervorzubringen, der erforderlich ist, um für alle Menschen ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zu ermöglichen. Um diese Funktion zu erfüllen, bedarf die Marktwirtschaft einer Rahmenordnung, die die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen und der Unternehmen letztlich in gemeinwohldienlichen Bahnen hält. Diese Rahmenordnung kann nicht durch die Addition eigennutzorientierten Verhaltens gewonnen werden, sondern bedarf breiter demokratischer Entscheidungsprozesse aller Beteiligten im Blick auf gemeinsame Werte. Wo jedoch einzelne Unternehmen oder ganze Branchen diese Bahnen verlassen, muss der Staat diesem Missbrauch der Freiheit wirksam Grenzen setzen können. Auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft muss der Primat der Politik gewährleistet bleiben.