Europa - Informationen Nr. 160

Asyl- und Migrationspolitik Nicht um jeden Preis: Christliche Organisationen mahnen die Achtung der Menschenwürde bei Rückführungen an

Julia Maria Eichler (Juristische Referentin)

Die freiwillige Rückkehr muss die vorrangige Option für ausreisepflichtige Migranten sein. Dafür hat sich die „Christian Group“ – eine Gruppe christlicher Organisationen, darunter die Kommission der Kirchen für Migranten (CCME), der Jesuiten Flüchtlingsdienst und auch das EKD-Büro Brüssel – in einer Stellungnahme zur Überarbeitung der Rückführungsrichtlinie (siehe EKD Europa-Informationen Nr. 159) Anfang Februar 2019 ausgesprochen. Besonders kritikwürdig sind für die Organisationen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der freiwilligen Rückkehr, Inhaftierung und beim Grenz-Rückführungsverfahren. Die Erfahrung der Organisationen zeige, dass die freiwillige Ausreise nicht nur für den Staat kostengünstiger sei, sondern auch menschenwürdiger und nachhaltiger für die ausreisepflichtige Person. Hierfür sei allerdings ausreichend Vorbereitungszeit notwendig. Die Organisationen sprechen sich für einen Zeitraum von 30 Tagen aus. Die Kommission schlägt dagegen vor, den bisher in der Richtlinie vorgesehenen siebentägigen Mindestzeitraum zur freiwilligen Ausreise zu abzuschaffen.
Die Inhaftierung von ausreisepflichtigen Migranten dürfe nur als letztes Mittel angewandt werden, so die christlichen Organisationen. Mit dem Kommissionsvorschlag bestehe aber das Risiko, dass die Inhaftnahme von Migranten erheblich ausgeweitet werde. Denn die Kommission führe zur Bestimmung der Fluchtgefahr Kriterien ein, die so breit angelegt und darüber hinaus auch nicht abschließend seien, dass potentiell jeder ausreisepflichtige Migrant darunterfalle und damit die Voraussetzungen für die Inhaftnahme erfüllt seien. Hinzu komme, dass die Kommission die maximale Haftdauer auf 18 Monate ausweite.
Auch die Einführung eines speziellen Grenz-Rückführungsverfahrens für abgelehnte Asylbewerber kritisieren die christlichen Organisationen als aus menschenrechtlicher Perspektive bedenklich. Die Grenz-Rückführungsverfahren finden auf Personen Anwendung, „deren Asylanträge während der Grenzabfertigungsverfahren abgelehnt wurden“. Für sie gelten vereinfachte Rückführungsverfahren u.a. mit verkürzten Rechtsmittelfristen und ohne Frist für die freiwillige Ausreise.
Diese Kritikpunkte werden auch von der Berichterstatterin im zuständigen Ausschuss für Bürgerliche Freiheit, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments, Judith Sargentini (Fraktion der Grünen/Europäischen Freien Allianz, Niederlande), geteilt. Der Vorrang der freiwilligen Rückkehr, die verstärkte Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von Rückkehrverfahren sowie verstärkte Garantien für Personen, denen ein Rückkehrverfahren droht, und die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohles sind die Schwerpunkte ihres Berichtsentwurfs vom 16. Januar 2019.
Zudem hat sie grundsätzlich das Verfahren und den Ansatz des Kommissionsvorschlages kritisiert. 2014 sei die Kommission in einer Evaluierung noch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rückführungsrichtlinie die Lage hinsichtlich der freiwilligen Ausreise und der wirksamen Rückführungsüberwachung positiv beeinflusse und dazu beigetragen habe, dass eine stärkere Konvergenz der Inhaftierungspraxis erreicht wurde. Mit der Verabschiedung der Europäischen Migrationsagenda sei der Fokus auf eine wirksame Rückführungspolitik gestiegen, wobei die Wirksamkeit lediglich an der absoluten Zahl der von den Mitgliedstaaten vollstreckten Rückkehrentscheidungen gemessen werde. Das Verhältnis von freiwilliger Rückkehr und Rückführungen sowie die Nachhaltigkeit von Rückführungen blieben unberücksichtigt.
Die Kommission habe daher seit 2016 verschiedene Maßnahmen ergriffen, deren Effektivität und Auswirkungen auf die Rückführungsquote und die Grundrechte der Rückkehrer aber keinerlei veröffentlichten Evaluation unterzogen worden seien. Ebenso fehle es an einer Folgeabschätzung, ob weitere Maßnahmen im Bereich Rückführungen überhaupt notwendig seien.
Um einen informierten politischen Entscheidungsprozess sicherzustellen, hat die Berichterstatterin daher selbst eine Folgenabschätzung des Gesetzesvorschlages in Auftrag gegeben, um „die erwarteten Auswirkungen des Vorschlags der Kommission zu evaluieren und insbesondere zu untersuchen, ob der Vorschlag die von der Kommission festgestellten Herausforderungen angeht und das Ziel einer wirksamen und gerechten Rückführungspolitik erreicht“.
Ursprünglich war die Abstimmung über den Berichtsentwurf im LIBE-Ausschuss für Anfang April 2019 geplant. Derzeit ist allerdings unklar, ob das Parlament noch in seiner jetzigen Zusammensetzung eine Position beschließen wird.

Auch im Ministerrat wird gegenwärtig noch diskutiert. Einigkeit besteht hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung der Überarbeitung. Diskussionsbedarf gibt es etwa noch bei der Möglichkeit, einen Drittstaatsangehörigen in jeden sicheren Drittstaat zurückzuführen. Auch die gegenseitige Anerkennung von Rückführentscheidungen, obwohl im Kommissionsvorschlag nicht enthalten, war von einigen Mitgliedstaaten noch in die Verhandlungen eingebracht worden.

Die Kommentare der christlichen Organisationen finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_AuM-1
Den Berichtsentwurf des LIBE-Ausschusses finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_AuM-2

 

 

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