Europa - Informationen Nr. 160

Umwelt und Energie Reflektionspapier: Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030?!

Till Christofzik

„Die Zukunft unseres Planeten erfordert sofortiges Handeln - in Echtzeit.“ Mit diesen Worten beschreibt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Beitrag der Kommission zum „One Planet Summit“ im Dezember 2017 die Dringlichkeit, Antworten auf die Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung zu finden. Als Grundlage der Diskussion über die Zukunft Europas und die Festlegung der Prioritäten der nächsten Legislaturperiode hat die Europäi-sche Kommission am 30. Januar 2019 ein Reflektionspapier unter dem Titel „Towards a sustainable Europe by 2030” veröffentlicht. Entstanden ist das Papier in Zusammenarbeit mit der von der Europäischen Kommission geschaffenen „EU SDG multi-stakeholder platform“. Dieses Forum bringt auf Initiative der Europäischen Kommission InteressenvertreterInnen aus der Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und dem Unternehmenssektor in regelmäßigen Treffen zusammen, um die Europäische Kommission bei der Umsetzung der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs) auf EU-Ebene zu beraten und zu unterstützen. Auf diese Weise soll die Stimme der Zivilgesellschaft in die Arbeit der Europäischen Kommission getragen werden.
In dem bisherigen Erfolg der EU in Bezug auf die Steigerung von Lebensqualität begründet das Papier die Verpflichtung, existierende Standards vor der Herausforderung des Klimawandels weiter zu entwickeln. Von den Veränderungen einer sich wandelnden Weltordnung, welche durch die Industrie 4.0, demographischen Wandel sowie Ungleichheit geprägt ist, gelte es, sich nicht überwälti-gen zu lassen. Im Gegenteil, man müsse, so die Kommission, diese Veränderungen annehmen und steuern. Als Orientierung dienen der Kommission die SDGs der Vereinten Nationen, die im Jahr 2016 in Kraft traten und aufzeigen, wie aktuelle Herausforderungen nachhaltig überwunden werden können. Nachhaltigkeit bedeutet dabei für die Europäische Kommission, „sicherzustellen, dass unser Wirtschaftswachstum es uns ermöglicht, ein Modell aufrecht-zuerhalten, das faire Ergebnisse für die gesamte Menschheit produziert, und dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als die Erde zu bieten hat“.
Zur Umsetzung der SDGs und somit zum Erreichen einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft, fordert das Papier der Kommission die Zusammenarbeit aller Beteiligten, und den politischen Willen, die Herausforderungen anzugehen. Während sich andere Mächte zu-rückziehen, müsse die Europäische Union sich vorwärts bewegen, ihre Wettbewerbsfähigkeit ausbauen, in nachhaltiges Wachstum investieren und eine Vorreiterrolle im Hinblick auf eine nachhaltige Politik einnehmen. Doch ist die EU für diesen Schritt gerüstet?
Europäische Wettbewerbsvorteile
Die Europäische Kommission bezeichnet die bisherigen europäischen Leistungen in Bezug auf die Durchsetzung der SDGs sowie die allgemeine Zufriedenheit mit dem Leben in EU-Staaten als Vorteile im Sinne einer starken Ausgangsposition der EU im internationalen Wettbewerb. Wohlstand, der gemeinsame Markt und Investitionen in Forschung und Technik würden grundlegende Voraussetzungen zur Umsetzung der SDGs darstellen. Auch politisch würden die Ziele bereits verankert werden, was beispielsweise an der europäischen Säule sozialer Rechte, dem wertebasierten „Trade for All“-Ansatz oder den Aktionsplänen in Bezug auf Natur und nachhaltige Finanzierungen zu sehen sei. Daher sei die EU außerordentlich gut aufgestellt, um die internationale Gemeinschaft zu führen, und das durch den klimapolitischen Rückzug anderer Mächte entstandene Vakuum zu füllen.
Doch die Herausforderungen seien groß und erforderten ein gemeinsames Handeln. Um dieses Handeln zu ermöglichen, fordert das Papier den schnellen Abbau der existierenden sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen und in den Mitgliedstaaten, da die genannten Unterschiede das gemeinsame Handeln der EU in einem zeitlich begrenzten Spielraum erschweren oder gar verhindern könnten.
Europäische und globale Her-ausforderungen
Die Herausforderungen im Zusammenhang der SDGs sind komplex und verorten sich in den Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Soziales. Das größte Nachhaltigkeitsdefizit in Bezug auf die Erhaltung der Umwelt sieht die Europäische Kommission dabei in der Ausbeutung von Ressourcen, die dazu führe, dass natürliche Rohstoffe für zukünftige Generationen nicht mehr verfügbar seien. Ebenfalls im Bereich des Umweltschutzes angesiedelt sind der Schutz von Biodiversität (lediglich 23% der in Europa lebenden Arten seien in einem guten Zustand) sowie die Senkung von Treibhausgas-Emissionen. Zwar sei es der EU gelungen, Emissionen zu senken und sie vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Trotzdem sei global und in Europa deutlich mehr Einsatz vonnöten. In Bezug auf die wirtschaftliche Dimension von Nachhaltigkeit sieht die Europäische Kommission Armut (22,5% der Europäerinnen und Europäer seien von Armut bedroht und 6,9% leiden unter „materiellen Entbehrungen“) als Gefahr, der sich entgegengestellt werden müsse. Im sozialen Bereich adressiert das Papier insbesondere Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als Problem, da sich zwölf der EU-Staaten in den letzten Jahren beispielsweise in Bezug auf die Aufteilung von Pflegearbeit (care work) und Hausarbeit sogar verschlechtert hätten und Unterschiede in der Bezahlung bestehen bleiben würden. Darüber hinaus wird der demographische Wandel als große Herausforderung gewertet. Dieser könnte Ungleichheit zwischen den verschiedenen Generationen verschärfen.
Es gibt keine einfachen Lösungen für diese Probleme und dessen ist sich die Europäische Kommission bewusst. Dennoch, so stellt die Europäische Kommission klar, sei die EU bereit, sich diesen Herausforderungen zu stellen und sie habe die notwendigen finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen sowie den politischen Einfluss, um auf europäischer und globaler Ebene einen signifikanten Anteil an der Erfüllung der Agenda 2030 zu leisten.


Drei Zukunftsszenarien für die EU


In Anlehnung an den Weißbuchprozess von 2017 zur Zukunft der EU werden innerhalb des Papiers drei verschiedene Zukunftsszenarien entwickelt.
Szenario 1: Eine übergeordnete SDG-Strategie, die alle Aktionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten leitet
Ein solcher Ansatz stünde im Einklang mit der Empfehlung der „EU SDG multi-stakeholder platform“. Strategische Handlungen auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene würden innerhalb desselben Rahmens stattfinden. Ein Vorteil sei die Erzeugung eines gemeinsamen politischen Zeichens, das auf internationaler Ebene vom Willen der EU zeuge und der Schaffung transparenter Mechanismen diene. Ein möglicher Nachteil sei, dass die Maßnahmen möglicherweise nicht zielgerichtet genug für die Herausforderungen der einzelnen Mitgliedstaaten wären.
Szenario 2: SDGs als Querschnittthema auf EU-Ebene, jedoch keine Durchsetzung von Aktionen von Mitgliedstaaten
Dieses Szenario könnte die Einführung eines Kommissarspostens mit dem breiten Bereich der Nachhaltigkeit und eine gemeinsame Ausrichtung der EU-Politiken auf Nachhaltigkeit bedeuten. Die Mitgliedstaaten hätten die von bindendem EU-Recht unabhängige Pflicht, SDGs in eigenem Ermessen umzusetzen. Ein Vorteil sei die schnellere Umsetzung der Strategie, ein Nachteil sei jedoch die möglicherweise mangelnde Kohärenz zwischen der EU und ihren Mitgliedern.
Szenario 3: Konzentration auf externe Maßnahmen und Konsolidierung jetziger Ziele auf EU-Ebene
Da die EU in vielen Aspekten bereits eine Vorreiterrolle einnehme, könnte der Schwerpunkt verstärkt auf die Reduzierung des Rückstandes in Bezug auf die Erreichung der SDGs in anderen Teilen der Welt gelegt werden. Ein Vorteil sei die konsequente Umsetzung in Bezug auf die Außenpolitik, ein Nachteil sei jedoch, dass Europa sich selbst nicht weiterentwickeln würde.
Einerseits ist es zu begrüßen, dass die Kommission die Dringlichkeit des Themas erkennt und sich den Herausforderungen widmet. Andererseits soll das Ziel der Szenarien lediglich sein, die Diskussion über die Zukunft der EU anzuregen, wobei aus Perspektive der Europäischen Kommission eine Kombination der verschiedenen Szenarien als realistisch erachtet wird. Hier hätte die Kommission proaktiver handeln können. In Anbetracht der Dringlichkeit und proklamierten Vorreiterrolle der EU braucht es die Verankerung neuer und die Weiterentwicklung existierender Standards und nicht nur ein Brainstorming über verschiedene Möglichkeiten.

Einen Link zum Reflektionspapier „Towards a sustainable Europe by 2030” der Europäischen Kommis-sion vom 30. Januar 2019 finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_UE

Nächstes Kapitel