Europa - Informationen Nr. 160

Auf Grund gelaufen: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem

Julia Maria Eichler

Das Bild, das die Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen gemeinsamen Ansatz in der Asylpolitik derzeit abgeben, ist verheerend: Am 27. März wurde öffentlich, dass die Seenotrettungskomponente von Operation „Sophia“ eingestellt wird. Zukünftig werden im Rahmen dieser Mission keine Schiffe mehr ins Mittelmeer entsandt. Die Ausbildung der libyschen Küstenwache und die Luftüberwachung werden dagegen für weitere sechs Monate bis zum 30. September 2019 verlängert.
Seit 2015 ist die militärische Marine-Operation im Einsatz, um kriminellen Schleusern und Menschenhändlern das Handwerk zu legen. Operation „Sophia“ ist dafür mit Schiffen im Mittelmeer präsent und überwacht den Luftraum. Seit 2016 wurde zudem die libysche Küstenwache ausgebildet und zudem über 50.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet.
Am 31. März 2019 wäre die Mission ausgelaufen. Die für die Verlängerung notwendige Verständigung war zwischen den Mitgliedstaaten jedoch nicht zu erreichen. Italien hat die Erneuerung des Mandats blockiert. Die bisherige Praxis, dass gerettete Migranten in italienische Häfen verbracht werden und Italien damit die weitere Verantwortung für diese Menschen übernimmt, wollte die Regierung unter Innenminister Salvini nicht länger tragen. Im Gegenzug fehlte es aber auch an einem Konsens aller Mitgliedstaaten, die Verantwortung für die Aufnahme dieser Menschen solidarisch untereinander aufzuteilen.
Die Schmach eines vollständigen Endes der Operation wollten sich die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten aber offenbar so kurz vor den Europawahlen nicht leisten. Der gefundene Kompromiss: Eine Marine-Operation, die künftig über keine Schiffe mehr verfügt; damit verbunden das Ende der Seenotrettung durch Operation „Sophia“ und die gleichzeitige Fortführung der Ausbildung der libyschen Küstenwache, obwohl die Berichte über die Inhaftierung und Folter von Flüchtlingen und Migranten in Libyen nicht verstummen.
Der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm prangerte dieses „moralische und politische Versagen Europas auf dem Rücken der Schwächsten“ in einer Pressemitteilung vom 27. März 2019 an. Seenotrettung sei „keine politische Verhandlungsmasse“.
Es bleibt dabei: Wenn es um Solidarität und Verantwortungsteilung in der Europäischen Asylpolitik geht, sind die Fronten zwischen den EU-Mitgliedsstaaten momentan verhärtet.
An der Frage, wer Menschen aufnimmt, scheitert derzeit nicht nur die Fortsetzung der Mittelmeer-Operation, sondern die gesamte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Registrierung, Umverteilung und Rückkehr/Rückführung bereitstellen.
Doch auch diese Diskussionen um das Vorangehen einer Gruppe williger Mitgliedstaaten nehmen bisher nicht an Fahrt auf, obwohl auch die Bundesregierung sich für einen derartigen Notfallplan einsetzt. Die Fragen nach der Freiwilligkeit und danach, welche Migrationsrouten erfasst werden sollten, verhindern eine schnelle Lösung. Angesichts des Stillstandes der Dublin-IV-Verhandlungen stellt Nach wie vor ist man bei der Frage, wie man Solidarität und Verantwortung im Rahmen der Dublin-IV-Verordnung neu regeln möchte, keinen Schritt vorwärtsgekommen.
Von den sieben Gesetzesvorschlägen, die 2016 zur Reform des GEAS vorgelegt wurden, konnte bisher keiner angenommen werden. Die Reform wird deshalb voraussichtlich im Sande verlaufen: Es ist unrealistisch, dass es zu der Umwandlung des Asylunterstützungsbüros (EASO) in die Europäische Asylagentur mit ausgeweiteten Kompetenzen kommen wird. Ein Neuansiedlungsrahmen auf europäischer Ebene? Wohl eher nicht. Der Abschluss der Aufnahmebedingungenrichtlinie, der Asylverfahrens- und der Qualifikationsverordnung ist nicht absehbar. Alles hängt an der Dublin-IV-Verordnung und damit an der Frage nach der Verantwortung.
Der Frust über den fehlenden Einigungswillen zwischen den Mitgliedstaaten ist groß im Europäischen Parlament. Dort hatte man nach der Festlegung der eigenen Position in allen Dossiers noch lange auf einen erfolgreichen Abschluss der Dossiers gehofft. Doch nicht nur bei der GEAS-Reform bewegt sich momentan nichts.
Am 11. Dezember 2018 hatte das Europäische Parlament einen Initiativbericht angenommen, mit dem es die Europäische Kommission aufgefordert hat, Rechtsvorschriften vorzulegen, nach denen Personen, die internationalen Schutz suchen, bei einer EU-Botschaft oder einem Konsulat ein Visum beantragen können, um dann legal und sicher nach Europa einreisen zu können. Das EKD-Brüssel hatte sich hierfür gemeinsam mit anderen christlichen Organisationen stark gemacht. Doch schon Ende Februar 2019 teilte die Europäische Kommission mit: Die Kommission habe keinerlei Pläne, humanitäre Visa einzuführen. Das Bedürfnis nach mehr legalen und sicheren Wegen sieht die Kommission mit dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsrahmen abgedeckt.
Weil es bei der dauerhaften Reform des Asylsystems keine Fortschritte gibt und die Suche nach ad hoc-Lösungen für jedes einzelne Schiff mit geretteten Migranten dem Ansehen der EU schaden, versucht die Europäische Kommission vermehrt, temporäre Zwischenlösungen für den Umgang mit ankommenden Migranten zu finden (siehe Europa-Informationen-Nr. 158). In einer Mitteilung vom 6. März 2019 schlägt die Kommission dementsprechend vor, einen systematischeren und besser koordinierten EU-Ansatz nach der Anlandung von aus Seenot geretteten Menschen festzulegen. Auf Anfrage eines betroffenen Mitgliedstaates könnten so viele Mitgliedstaaten wie möglich Solidaritätsmaßnahmen zusagen. Als Solidaritätsmaßnahmen kämen etwa die freiwillige Aufnahme von den geretteten Migranten oder die Unterstützung von Rückführungen in Frage. Der Kommission würde eine koordinierende Rolle zukommen. Zudem würde die EU finanzielle Mittel zur Verfügung stellen und die EU-Agenturen könnten die erforderliche Unterstützung in Bereichen wie Erstaufnahme, sich auch die Frage, wie vorläufig ein solcher Mechanismus wirklich wäre.
Es bleibt dabei: Während man sich beim Ausbau des Grenzschutzes (siehe vorangehender Artikel) in Windeseile geeinigt hat, ist die Europäische Asylpolitik wohl vorerst auf Grund gelaufen.

 

Den Bericht des Europäischen Parlaments zu Humanitären Visa finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_AuM-3
Den Fortschrittsbericht zur Europäischen Migrationsagenda finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_AuM-4
Die Pressemitteilung zur Verlängerung der Operation Sophia finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_AuM-5

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