Europa - Informationen Nr. 160

Justiz und Inneres Mit Augenmaß zu einer vertieften Sicherheits-union: Das Parlament als Grundrechtsschützer

Damian Patting (Juristischer Referent)

„Ich bedauere, dass das Parlament nicht mehr während der laufenden Legislaturperiode die Verhandlungen aufnehmen kann, aber ich hoffe, dass die Arbeiten nach der Neuwahl des Parlaments so rasch wie möglich fortgesetzt werden können“, so der rumänische Justizminister Tudorel Toader angesichts vermeintlich schleppendender Fortschritte für die Reformen bezüglich der justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union zum Zeitpunkt des EU-Justizministerrates am 8. März 2019 in Brüssel. Das nicht unumstrittene Gesetzespaket (bestehend aus einem Verordnungs- und einem Richtlinien-Entwurf) mit dem Regelungsgegenstand einer Herausgabe- und Sicherungsanordnung in Bezug auf elektronische Beweismittel zur Vereinfachung und Effektivierung grenzüberschreitender justizieller Zusammenarbeit (siehe auch EKD-Europa-Informationen Nr. 159) geht nicht so geräuschlos über die Bühne, wie es sich die Kommission vielleicht gewünscht hätte.
Die Kommissionsvorschläge, die den Strafverfolgungs- und Justizbehörden einfachere und schnellere Mittel zur Beweissicherung an die Hand geben sollen, sind nicht nur unter den offiziellen Vertretern der Mitgliedstaaten umstritten. Auch in der (deutschen) Zivilgesellschaft engagiert sich ein breites Bündnis aus Datenschützern, Verbänden und Medienvertretern gegen die aktuellen Pläne in der Befürchtung, dass grundrechtliche Standards des Grundgesetzes unterschritten werden. Auch das Brüsseler EKD-Büro hat sich in die Debatte eingebracht, mit Blick auf die Notwendigkeit der Wahrung eines hinreichenden Schutzniveaus strafprozessualer Rechte von Betroffenen als Spiegel grundgesetzlicher Garantien. Auch die mögliche Betroffenheit des Beichtgeheimnisses in § 30 Abs. 1 PfarrdienstG der EKD wurde von Seiten der EKD in diesem Kontext thematisiert.
Bis das EU-Parlament seinen Standpunkt in Bezug auf das Gesetzespaket annimmt, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die Abgeordnete und Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) Birgit Sippel (S&D/ Deutschland) hat nun zunächst einige Arbeitsdokumente veröffentlicht, um das grundrechtssensible Thema umfassend und sachgerecht zu erörtern. Diese Arbeitspapiere befassen sich mit Fragen des Anwendungsbereichs und der Vergleichbarkeit mit anderen Instrumenten, der Ausführung der Anordnung und der Rolle der Dienstanbieter, dem Verhältnis zum Recht in Drittländern, den Erlassvoraussetzungen für Herausgabe- und Sicherungsanordnungen, Sicherungsmaßnahmen und Rechtsbehelfen, sowie der Durchsetzung von Herausgabe- und Sicherungsanordnungen.
Gerade angesichts der (grundrechts-)sensiblen Thematik ist die kritische Arbeit der Berichterstatterin Sippel zu begrüßen. Die Arbeitsdokumente benennen kritikwürdige Punkte und setzen sich eingehend mit bestehenden Mängeln der bisherigen Entwürfe auseinander. Treffend werden die aus verfassungsrechtlicher Sicht (zu) weitgehenden Befugnisse von Ermittlungsbehörden benannt, die verfahrensprozessuale Grundsätze wie etwa den Richtervorbehalt nicht hinreichend benennen. Aus kirchlicher Sicht ist die in den Arbeitsdokumenten angeführte Notwendigkeit der Achtung des Prinzips der gegenseitigen Strafbarkeit als wesentlichen Grundpfeiler einer funktionierenden justiziellen Zusammenarbeit zu begrüßen, da dieses Prinzip durch den Verordnungsentwurf in Frage gestellt wird.
Eines der wichtigsten Anliegen dürfte zudem die Ergänzung der Verordnungsvorschläge um eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Ausführungsstaat sein, der bislang hinsichtlich des Verfahrens „außen vor“ gelassen werden darf. Vielmehr wird durch den Verordnungsentwurf sogar die Abwägung zwischen Beschuldigtenrechten und Strafverfolgungsinteresse in die Hände der Dienstleister und damit in die Hände von Privaten gelegt und damit die etwa in der deutschen Verfassungstradition entwickelte klassische Differenzierung zwischen der Grundrechtsverpflichtung staatlicher Akteure und der Grundrechtsberechtigung privater Akteure faktisch aufgehoben. Das Vorgehen der Berichterstatterin ist zu begrüßen, da es treffend befürchtete Grundrechtsbeschränkungen aufzeigt und deutlich macht, dass auch zum Zwecke verbesserter justizieller Zusammenarbeit einst mühsam errungene Grundrechtsstandards und – als Ausprägung dessen – strafprozessuale Rechte nicht einfach beiseitegeschoben werden dürfen.

Im Mittelpunkt des Treffens der EU-Justizminister am 8. März 2019 stand allerdings nicht der umstrittene Verordnungsentwurf selbst. Gegenstand der Abstimmung war vielmehr der flankierende Richtlinienentwurf. Der Rat hat dazu seinen Standpunkt zur Richtlinie über die Bestellung von Vertretern über die Beweiserhebung in Strafverfahren festgelegt. Der juristisch komplexe Richtlinienentwurf sieht Regeln für die Bestellung von Rechtsvertretern der Dienstanbieter vor, deren Aufgabe es ist, Herausgabe- oder Sicherungsanordnungen entgegenzunehmen und darauf zu reagieren. Die Schaffung eines Rechtsrahmens mit diesem Regelungsgegenstand ist notwendig, da bislang keine allgemeine rechtliche Verpflichtung für Dienstanbieter aus Drittstaaten bestand, physisch in der Union präsent zu sein, sobald sie dort Dienste erbringen. Die Kriterien für die Bestimmung des Standorts des Vertreters bleiben nach dem Standpunkt des Rates gegenüber dem Kommissionsvorschlag unverändert. Der Vertreter muss sich in einem der Mitgliedstaaten befinden, in denen der Dienstanbieter niedergelassen ist oder Dienste anbietet. Weiterhin sollen die Vertreter über ausreichende Ressourcen und Befugnisse zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfügen. Die Mehrheit der EU-Justizminister hat diese allgemeine Ausrichtung mit den genannten Kriterien angenommen. Die Bundesrepublik hat sich dagegen der Stimme enthalten, da sie hinreichende Anhaltspunkte dafür sieht, dass die Bestimmungen der Richtlinie Anreize schaffen könnten, solche Regelungen zu erlassen, welche letztlich die vorrangige Zuständigkeit nationaler Ermittlungsbehörden beeinträchtigen könnten und damit Grundsätze wie das Rechtsstaatsprinzip unterlaufen könnten.
Der EU-Justizministerrat befasste sich daneben – da Dienstanbieter oftmals ihren Sitz im Ausland haben – mit der Ausarbeitung eines EU-US-Abkommens, um in diesem bilateralen Rahmen die Koordination der Rechtshilfe auszubauen. Inwieweit damit Doppelstrukturen im Verhältnis zum Cloud-Act geschaffen werden, ist derzeit noch unklar.
Damit sind die Verhandlungen um das Gesetzespaket zu elektronischen Beweismitteln (bestehend aus Verordnungsentwurf und Richtlinien-Entwurf) erst einen kleinen Schritt weiter. Denn der Rat kann die Trilogverhandlungen über das gesamte Gesetzespaket erst aufnehmen, sobald das Parlament seinen Standpunkt angenommen hat. Vor den Europawahlen dürfte dies – gerade mit Blick auf die umfassenden Arbeitspapiere – nicht mehr zu erwarten sein. Die aufwendige Gründlichkeit der Europäischen Gesetzgebungsprozesse ist an dieser Stelle aber ausdrücklich zu begrüßen. Gerade im grundrechtssensiblen Bereich der Vertiefung der justiziellen Zusammenarbeit ist Augenmaß der europäischen Gesetzgeber gefragt, um unreflektierte und unverhältnismäßig grundrechtsverkürzende Schnellschüsse zu vermeiden.

Einen Link zu den Arbeitsdokumenten finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-160_JuI-1

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