Europa - Informationen Nr. 158

Gehe über Start, ziehe weniger Geld ein - die zukünftige Kohäsionspolitik nimmt Gestalt an

Ulrike Truderung

Man kann der Europäischen Kommission wohl kaum vorwerfen, in der Kohäsionspolitik alles beim Alten belassen zu wollen: In ihren im Laufe des Juni 2018 vorgelegten Vorschlägen zur Ausgestaltung der künftigen EU-Kohäsionsmittel schlägt sie maßgebliche strukturelle Veränderungen vor.

Eine erste Neuerung betrifft den Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Er soll aus dem Bereich der Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) wieder herausgenommen werden, nachdem er erst in der aktuellen Haushaltsperiode mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF), dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) und dem Kohäsionsfonds unter das gemeinsames Dach der ESIF gestellt worden war. Stattdessen soll der ELER mit der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), d.h. mit Direktzahlungen an die Landwirtschaft für die Produktion von Lebensmitteln sowie für den Besitz und die Instandhaltung von landwirtschaftlichen Flächen, zusammengelegt werden. Dies ist wohl vor allem dem Bestreben geschuldet, eine Reform der gesamten GAP zu erleichtern und sie von der Kohäsionspolitik zu entkoppeln. Zweitens soll der Europäische Sozialfonds (ESF) zum „ESF+“ umstrukturiert werden und neben den Zuständigkeitsbereichen des derzeitigen ESF auch die Europäische Jugendbeschäftigungsinitiative (YEI), den Europäischen Hilfsfonds für die am meisten von Armut betroffenen Menschen (EHAP), das Programm für Beschäftigung und Soziale Innovation (EaSI) und das EU-Gesundheitsprogramm abdecken.

Drittens sollen Fördergelder für die mittel- und langfristige Integration von Flüchtlingen beispielsweise in Form von Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration zukünftig im Zuständigkeitsbereich des ESF+ und nicht mehr, wie bislang, im Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) untergebracht werden. Der AMIF verliert damit das „I“ für Integrationsförderung und soll fortan als „Asyl- und Migrationsfonds“ (AMF) firmieren. Somit würde die Integration von Drittstaatsangehörigen zukünftig ein sozialpolitisches Unterfangen darstellen und nicht mehr, wie bislang unter dem Dach der Innenpolitik stehen.

Eine neue Dachverordnung
Geregelt werden soll die Verwaltungslogik der zukünftigen Kohäsionspolitik durch eine gemeinsame Verordnung, die sogenannte Dachverordnung („Common Provisions Regulation“). Sie soll, einmal vom Rat und dem Europäischen Parlament verabschiedet, die grundlegenden Verwaltungsprinzipien für den EFRE, den ESF+, den Kohäsionsfonds und den EMFF regeln. In weiten Teilen soll sie auch für den AMF und zwei weitere vorgeschlagene Instrumente gelten. Mit der Einordnung des AMF unter die Dachverordnung gelten für diesen Fonds erstmals auch gewisse Grundsätze, die bislang vor allem für die ESIF relevant waren. So ist nun erstmals auch der AMF an das Partnerschaftsprinzip gebunden, das Akteuren wie den Sozialpartnern und Einrichtungen der Zivilgesellschaft eine Beteiligung an Ausgestaltung und Umsetzung der Fonds zusichert.

Vorgeschlagen werden fünf „Spezifische Ziele“, welche Insidern zufolge nach Ablauf der Strategie „Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ ein Kernelement einer eventuellen Nachfolgestrategie darstellen dürften:
Ein „smarteres“ Europa: Dies beinhaltet insbesondere die Bereiche Forschung & Entwicklung, Digitalisierung, die Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen und des Unternehmertums;

Ein grüneres Europa: Anvisiert werden hier insbesondere Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes, der Energieeffizienz und zur Anpassung an den Klimawandel;

Ein besser vernetztes Europa: In diesem Bereich sollen insbesondere Maßnahmen unterstützt werden, die die Verbesserung der digitalen Vernetzung sowie der Infrastruktur im Verkehrsbereich zum Ziel haben;

Ein sozialeres Europa: Dieses Ziel beinhaltet Maßnahmen zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, unter anderem durch die Verbesserung des Arbeitsmarktes, dem verbesserten Zugang zu inklusiven und hochqualitativen sozialen Dienstleistungen, die Verbesserung der sozioökonomischen Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen sowie durch einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem;

Ein bürgernäheres Europa: Hier sollen insbesondere Maßnahmen mit besonderem Augenmerk auf sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Raumentwicklung im städtischen und ländlichen Bereich werden.

Für Skepsis sorgte bei Beobachtern wie auch bei Abgeordneten des Europäischen Parlaments der in der Dachverordnung geäußerte Vorschlag, die Kofinanzierungssätze deutlich zu senken – begründet wird dies damit, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise vorüber sei und die Kofinanzierungssätze damit wieder auf das Vorkrisenniveau gesenkt würden.

Zukunft des EFRE und ESF+
Die Zuweisung der Gelder aus dem EFRE und dem ESF+ an die einzelnen Mitgliedstaaten soll aufgrund eines Schlüssels geschehen, der wie auch bisher größtenteils auf dem Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf beruhen soll – jedoch um weitere Faktoren erweitert wird. Neu ist, dass neben dem BNE pro Kopf nun auch andere Faktoren, wie beispielsweise die Arbeitslosigkeit, Auswirkungen des Klimawandels und die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in den Schlüssel mit einbezogen werden sollen. Deutschland kommt diese Änderung insbesondere im Hinblick auf die Aufnahme von Flüchtlingen zugute: Dem derzeitigen Vorschlag zufolge soll Deutschland rund 15,7 Mrd. € insgesamt für ESF+ und EFRE erhalten; dies entspricht einem Minus von rund 21% im Vergleich zur laufenden Haushaltsperiode. Ohne den Zuschlag, der sich aus der Aufnahme von Flüchtlingen ergibt, hätten die Kürzungen allerdings bei rund 40% gelegen.

Im Bereich des ESF+ gilt: Trotz der Integration der verschiedenen Programme unter einem ESF+-Dachfonds bleiben die unterschiedlichen Förderlogiken der hier zusammengeführten Programme ESF, EHAP, EaSI, YEI und dem Gesundheitsprogramm weitgehend erhalten. Der derzeitige ESF sowie der EHAP verbleiben in geteilter Mittelverwaltung (d.h. die Mitgliedstaaten sind für die Formulierung und Abwicklung der nationalen Programme verantwortlich), wohingegen EaSI und das Gesundheitsprogramm weiterhin unter direkter Verwaltung der Kommission laufen sollen. Mindestens 25% der ESF+-Gelder, die von den Mitgliedstaaten verwaltet werden, sollen für Maßnahmen zur sozialen Integration bereitgestellt werden Trotz der umfangreicheren Aufgaben des ESF+ soll allerdings das Budget für den ESF+ im Vergleich zur Gesamtmittelausstattung der in ihm aufgehenden derzeitigen Programme gekürzt werden.

Zukunft des AMIF
Die wohl auffallendste Änderung in Bezug auf den derzeitigen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) ist die Änderung des Programmtitels (s.o.). Maßnahmen zur Erstintegration, wie Sprachkurse, Maßnahmen zur grundlegenden Integration in die aufnehmende Gesellschaft und Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau in Einrichtungen, die mit der Integration von Drittstaatsangehörigen befasst sind, sollen jedoch auch weiterhin im AMF verortet werden – trotz der Namensänderung. Von diesem Punkt abgesehen entsprechen die Zielsetzungen des AMF grundsätzlich weitgehend denen des derzeitigen AMIF. Als Fazit bleibt: In der Kohäsionspolitik werden sich einige strukturelle Änderungen ergeben. Doch die Zeit drängt: Sollen die Verhandlungen zum EU-Haushalt 2020 noch vor den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 abgeschlossen werden, so besteht praktisch kaum mehr ein zeitlicher Spielraum für die Erarbeitung und Verabschiedung der Verordnungen. Eine Verzögerung der Verabschiedung dieser Programme bis weit nach den Europawahlen würden jedoch eine längere Förderlücke von mehreren Monaten oder gar Jahren bedeuten. Viele der vorgeschlagenen strukturellen Änderungen aus Sicht des EKD-Büros Brüssel auch grundsätzlich positiv zu bewerten. Der Ball liegt nun beim Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten.

Den vollständigen Text der Dachverordnung finden Sie unter:
http://bit.ly/ekd-NL-158_EF-1

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