Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 154

500 Jahre europäische Reformation: - Europa gestalten - Veränderung wagen!

OKR´in Katrin Hatzinger und Julia Maria Eichler (Juristische Referentin)

Die Reformation, die vor 500 Jahren ihren Ausgang nahm, hat nicht nur Deutschland geprägt, sondern in ganz Europa ihre Spuren hinterlassen. Unter der Überschrift "500 Jahre Reformation: - Europa gestalten - Veränderung wagen!"  hat die Brüsseler EKD-Vertretung gemeinsam mit der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) am 7. März 2017 eine Konferenz im Europäischen Parlament veranstaltet. Eröffnet wurde sie von den Ersten Vize-Präsidenten des Europäischen Parlaments und  der Europäischen Kommission, Mairead McGuinness (EVP) und Frans Timmermans (S&D).


Kein anderes Ereignis in der 2000-jährigen Geschichte der Christenheit sei so prägnant  hinsichtlich der Neugestaltung des europäischen Kontinents gewesen wie die Reformation vor 500 Jahren, so die irische Katholikin McGuinness. So habe der Augsburger Religionsfrieden 1555 eine erste Form der Religionsfreiheit eingeführt. Religionsfreiheit bedeute die Freiheit zu verschiedenen Bekenntnissen oder zu keinem. Im Herzen der Religionsfreiheit stünde dabei die Würde des Einzelnen.  Sie dankte der EKD-Vertretung und der GEKE, das Thema so prominent im EP zu platzieren.


Der Vizepräsident der Europäischen Kommission Timmermans rief die Christen auf, sich ihrer auch schmerzhaften Vergangenheit zu stellen. Er beobachte, dass der konstante Bezug auf das jüdisch-christliche Erbe heute nicht als Instrument genutzt werde, um eine Verbindung mit den europäischen Werten herzustellen, die auf diesem Erbe gründeten, sondern als ein Instrument, um andere Menschen auszuschließen. Es sei aber unsere Aufgabe als Christen, uns zu vergegenwärtigen, dass in der Vergangenheit etwa der Antisemitismus fester Bestandteil des Christseins gewesen sei oder unter Toleranz Indifferenz gegenüber Andersgläubigen verstanden wurde. Er nehme zunehmend wahr, wie Nostalgie und Nationalismus Religion als Opium fürs Volk ersetzen würden, sagte der katholische Niederländer in Anspielung auf das berühmte Marx-Zitat. Darüber hinaus würdigte er die Rolle der Kirchen bei der Aufnahme der Flüchtlinge und lobte, wie sie die Idee der Brüderlichkeit mit Leben füllten. Er betonte zudem, wie wichtig es sei, Luthers Erbe zu reflektieren.
Auf dem ersten Podium, das unter dem Titel "Reformation und Europa - Veränderung wagen!" stand und von Katrin Hatzinger, Leiterin des Brüsseler EKD-Büros moderiert wurde, bestätigte der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, zu Beginn, dass man von europäischen Reformationen reden müsse. Die Reformation sei eine Weltbürgerin, die man nicht zentristisch-deutsch sehen dürfe.
Die Kritik mancher Kirchenhistoriker, dass bei dem Reformationsjubiläum in Deutschland Gott nicht im Zentrum stehe, teile er indes nicht. Vielmehr müsse man die verschiedenen Ebenen des Jubiläums betrachten.  Auf der ersten Ebene stünde das kulturelle Großereignis. Dies sei wichtig, denn man könne heute die deutsche Geschichte und Kultur nicht verstehen, wenn man nicht die Reformationsgeschichte kenne. Auf einer zweiten Ebene ginge es beim Reformationsjubiläum darum, mit Andersgläubigen und Atheisten ins Gespräch über Gott zu kommen. Die dritte Ebene stelle den Kern dar - das Christusfest. Luther wollte Christus neu entdecken. Dies könne man aber nur ökumenisch.  Auch in Schottland werde in diesem Jahr an Martin Luther erinnert, immerhin sei hier die erste Gemeinde nach Wittenberg entstanden, so der Abgeordnete des Europäischen Parlaments, David McAllister (EVP). Der Parlamentarier mit deutscher und britischer Staatsbürgerschaft wies aber zugleich auf die tiefe Spaltung hin, von der Schottland bis vor wenigen Jahrzehnten geprägt gewesen und aufgrund derer viel Blut vergossen worden sei.  Auch wenn heute Fußballvereine nicht mehr wie früher nach Konfessionen getrennt wären, sei Schottland gegenwärtig wieder tief gespalten. Nur zwei der vier Nationen des Vereinigten Königreichs hätten sich bei dem Referendum im vergangenen Juni für den Brexit ausgesprochen. Insgesamt befände sich die EU in einer Phase multipler Krisen. Um diese diversen Krisen zu bewältigen, bräuchte es einen "Geist der Reformation" nicht nur in Brüssel, sondern in allen EU-Staaten. Denn die Zukunft der EU liege in den Händen ihrer Mitgliedsstaaten.


Der Vorsitzende der italienischen Waldenser, Moderatore Eugenio Bernardini, berichtete von der Geschichte der Waldenser, die sich als Vorläufer des reformierten Protestantismus begreifen, da sie bereits im 12. Jahrhundert die Kirche reformieren wollten, Christen ermutigten die Bibel zu studieren und den Ablasshandel ablehnten. Heute könnten die Waldenser aufzeigen, wie man sich als Minderheit in eine Gesellschaft einbringen könne, etwa durch den Dialog mit anderen Religionen oder den ökumenischen Einsatz für Flüchtlinge.
Die heutige Zeit sei durch Polarisierung, Populismus, das Post-Faktische und Protektionismus geprägt, merkte die  schwedische Erzbischöfin,  Antje Jackelén an. Wir müssten mehr Aufmerksamkeit der "spirituellen Nachhaltigkeit" widmen, mit der man diesem gefährlichen Cocktail entgegenwirken könne. Denn zwischen diesen vier "Ps" stehe die Frage, worauf wir hoffen können. Hoffnung sei aber eine theologische Kategorie. Die Kirchen der Reformation müssten sich daher fragen, was ihr Beitrag hier sein könne. Der EKD-Ratsvorsitzende knüpfte an den Gedanken der vier "Ps" an. Nationalismus müsse man klare Worte entgegensetzen. Luther habe den Zustand der Sünde beschrieben als einen Menschen, der in sich verkrümmt ist und sich nicht zu anderen ausstreckt. Nationalismus sei Sünde. Glaube und Hingabe für andere könne man nicht voneinander trennen. Religiöse Selbstbespiegelung bringe einen nicht weiter.  Als Volk und als Mensch sei man immer wieder gehalten, in die Vergangenheit zu schauen und sich zu fragen, an welchen Stellen man Fehler begangen habe.
Wie Deutschland war Schweden 2015 eines der Länder, die die meisten Schutzsuchenden in Europa aufgenommen hat.  Angesprochen auf diese Situation erklärte die schwedische Erzbischöfin, dass das Asylsystem 2015 ohne den Beitrag der Zivilgesellschaft nicht funktioniert hätte. 80 Prozent der Gemeinden würden sich in der Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten engagieren. Man müsse sich in den Meinungsfindungsprozess zu Hause und andernorts einbringen. Die schwedische Kirche spreche sich daher auch immer wieder für sichere und legale Wege nach Europa aus. Moderatore Bernardini berichtete von der gemeinsam mit St. Egidio begründeten Initiative "Mediterranean Hope", die Schutzsuchenden sichere und legale Wege in die EU eröffne und mittlerweile auch in anderen europäischen Ländern Furore mache.
Der Ratsvorsitzende unterstrich, dass die EU in die Pflicht genommen werden müsse, legale und sichere Wege für Schutzsuchende zu schaffen. Die deutschen Kirchen hätten 2015 deutlich mehr als 100 Millionen Euro für die Flüchtlingsarbeit zur Verfügung gestellt, um die vielen ehrenamtlichen Menschen zu unterstützen. Momentan gebe es das Problem, dass die Menschen, die sich bisher in der Flüchtlingsarbeit eingesetzt hätten, nun mit Abschiebungen konfrontiert seien. In Deutschland fehle die Möglichkeit eines Spurwechsels hin zur legalen Migration.


Auf dem zweiten Podium, "Vielfalt, Aufbruch und Streben nach Einheit - Die gemeinsame Zukunft in Europa gestalten" moderiert von Pfarrer Frank-Dieter Fischbach in seiner Eigenschaft als GEKE-Vertreter in Brüssel, warf Michael Bünker, Generalsekretär der GEKE, zunächst einmal einen Blick in die Vergangenheit. Die Reformation sei zunächst einmal eine Trennungsgeschichte und zwar nicht nur hin zur römisch-katholischen Kirche, sondern auch innerevangelisch. Die Reformationsgeschichte sei mit 200 Jahren Krieg verbunden. 2017 sei das erste Reformationsjubiläum, das in Zeiten von Frieden und Ökumene stattfände. Die Geschichte sei dabei schmerzhaft lehrreich. Erst im 20. Jahrhundert habe man die innerevangelischen Spannungen überwinden können. Die Leuenberger Konkordie könne dabei ein Modell sein, wie man mit belasteter Geschichte umgehen könne, das auch vorbildhaft für Völker sei. Die Konkordie sei ein Dokument, das auf die die evangelischen Kirchen in Europa verbindenden Elemente setze. Zur Vertiefung einer Gemeinschaft brauche es Verbindlichkeit, Respekt und das gegenseitige füreinander Einstehen. Als evangelische Kirche in Europa zahlenmäßig eine Minderheit zu sein, schaffe auch Freiheit.


Das Interesse an der Reformation sei dabei groß. Der Europäische Stationenweg verbinde derzeit 87 Städte. Dabei sei interessant, welche Städte sich hierfür bewerben würden. Es sei überraschend etwa, dass sich Venedig als Reformationsstadt begreife, nicht aber Amsterdam. Angesprochen auf die Reformation, hob die finnische Abgeordnete   Anneli Jäätteenmäki (ALDE) die besondere Bedeutung der Reformation für Finnland hervor. Ohne diese wäre Finnland heute kein unabhängiger Staat, so die  Abgeordnete des Europäischen Parlaments.


Tamás Fabiny, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn wies, angesprochen auf die umstrittene ungarische Regierung darauf hin, dass nicht alles schwarz oder weiß sei. Man dürfe die Kirche nicht als regierungstreu oder oppositionell einstufen, denn die Kirche sehe sich auf einer anderen Ebene. Auch wenn das Verhältnis seiner Kirche mit der Regierung manchmal einer einseitigen Liebesbeziehung gleiche. Die politische Sprache einiger ungarischer Parteien im Verhältnis zur EU und Brüssel entspreche dabei nicht der Kirchenposition. Vielmehr beherberge seine Kirche viele Slowaken und Tschechen. Für seine Kirche sei es essentiell, dass die Reformation als ein europäisches und nicht als ein rein nationales Ereignis gesehen werde. Denn nationale Konflikte wären immer wieder mit Konfessionen verbunden gewesen.
Pfarrer Michael Jagessar, früherer Vorsitzender der Vereinigten Reformierten Kirche aus London, sah ein Geschenk der Reformation darin, dass Menschen in der Sprache kommunizieren konnten, die die Bevölkerung auch verstand. Auch heute bestehe nach wie vor ein Bedürfnis, Sprache zu dekonstruieren.
Zudem müsse kulturelle Vielfalt als Antrieb wahrgenommen werden. Die Herausforderung sei dann, wie wir aus dieser Diversität ein gemeinsames Leben modellierten. Es sei wichtig an dem Prinzip der Reformation - des Reformierens - festzuhalten, denn man verliere das Gespür als Bewegung sehr leicht und werde zu einer festen Struktur.


Den Gedanken der kulturellen Vielfalt nahm die Abgeordnete Jäätteenmäki auf. Ihr sei es unverständlich, warum es so schwer sei, Diversität zu akzeptieren, obwohl Reisen und die Begegnung mit anderen heute selbstverständlich sei. Ihrer Meinung nach müsste man den Menschen konkrete Beispiele geben, wie ein multikulturelles Zusammenleben funktionieren könne. Angesprochen auf die Zukunft der EU, wies die Abgeordnete daraufhin, dass man bedenken solle, dass Großbritannien nicht Europa verlasse. Die Kirchen sollten sich aktiv in die Diskussion über die Zukunft der EU einbringen.
Im Anschluss an die Veranstaltung wurde im Europäischen Parlament das "Pop-Oratorium Luther" in Kooperation mit der Creativen Kirche aufgeführt. Die Texte des Oratoriums wurden über Laufbänder in die englische Sprache übersetzt. Die Aufführung, die gemeinsam mit dem CDU-Europaabgeordneten Herbert Reul organisiert und noch von Präsident Schulz ermöglicht worden war, war ein in der Geschichte des Parlaments wohl einmaliges Ereignis, das ebenso wie die Konferenz mehrere hunderte Zuschauer anlockte und begeisterte.

              

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