Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 154
Brexit - eine europäisch-britische Großbaustelle
Rebecca Laubach (Praktikantin)
Am 29. März 2017 hat die britische Premierministerin Theresa May den Austritt aus der Europäischen Union (EU) gemäß Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) erklärt. Bereits im Vorfeld, am 17. Januar 2017, hatte sie in einer Rede in London Leitlinien für die Verhandlungen vorgestellt. Die verschiedenen Ausschüsse des Europäischen Parlaments befassten sich Januar und Februar 2017 mit möglichen Auswirkungen des Brexit auf ihren jeweiligen Bereich. Das britische Parlament stimmte der Austrittserklärung am 13. März 2017 endgültig zu. Der EU-Chefverhandler Michel Barnier stellte die Leitlinien für die Verhandlungen aus Sicht der EU am 22. März 2017 in einer Rede vor dem Ausschuss der Regionen vor.
In ihrer Rede vom 17. Januar 2017 hatte Theresa May deutlich gemacht, dass Brexit ein wirklicher Ausstieg aus der EU werde. Das Vereinigte Königreich wolle wieder selbstbestimmt entscheiden. Insbesondere aus der Zollunion werde das Vereinigte Königreich aussteigen, um nicht an die externen europäischen Zolltarife gebunden zu sein und so selbst Handelsabkommen schließen zu können. Außerdem werde das Vereinigte Königreich selbst über Einwanderung in sein Territorium bestimmten. Die Rechte von EU27-Bürgern im Vereinigten Königreich bzw. von Briten in der EU27 sollten garantiert werden. Zugleich sei letztlich kein Deal für das Vereinigte Königreich besser als ein schlechter Deal.
Nach dieser Rede, die zumindest ein paar Eckpunkte der britischen Vorstellungen über den Brexit deutlich machte, erstellten die Ausschüsse des Europaparlaments Berichte zu den möglichen Folgen des Brexit und Punkten, die in den Verhandlungen berücksichtigt werden sollten.
Hierbei wurde deutlich, dass die Auswirkungen groß und in ihren Details schwer zu übersehen sind. Es sind nicht nur enorm viele Rechtsakte (nach Schätzungen 10.000) betroffen, sondern auch der Wegfall des Beitrags zum EU-Haushalt wirkt sich auf viele Bereiche aus. Vor allem die Grundfreiheiten, also die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungs- Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit hatten bei der Brexit-Kampagne und nach dem Referendum für viele Diskussionen gesorgt. Auch in den Papieren der Ausschüsse nehmen sie einen wichtigen Platz ein.
Im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit werden unter anderem die Aufnahme von Arbeit in einem anderen Mitgliedsstaat, die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherung (Renten, Krankengeld, Arbeitslosenversicherung) und die Anerkennung von Berufsqualifikationen durch Richtlinien und Verordnungen geregelt. 3,2 Millionen EU27-Bürger leben im Vereinigten Königreich und 1,2 Millionen Briten in EU27-Staaten. Für all diese Bereiche müssten (Übergangs-) Lösungen gefunden werden. Ähnliche Probleme stellten sich im Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, bei der vor allem entschieden werden müsse, wie mit Unternehmen mit Zweigstellen in der EU27 bzw. dem Vereinigten Königreich umgegangen wird. Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit sei vor allem zu prüfen, wie mit den Produktstandards umgegangen werde, was auf den Import vom Vereinigten Königreich in die EU27 erhebliche Auswirkungen habe. Denn nur wenn die EU-Produktstandards durch britische Unternehmen erfüllt würden, könnten die Produkte eingeführt werden.
Der Wegfall des Beitrags des Vereinigten Königreichs zum EU-Haushalt werde ganz besonders den Bereich der Landwirtschaftspolitik treffen. Hier zahle das Vereinigte Königreich deutlich mehr, als es bekomme. Der Wegfall einer großen Landwirtschaft werde zudem Auswirkungen auf die Preisentwicklung für Landwirtschaftsprodukte haben.
Fischereirechte und Fangquoten müssten in einem Abkommen genau geregelt werden. Bislang werden von der EU Fangquoten vorgegeben und die in der EU ansässigen Fischereien können in allen EU-Meeren fischen.
Im Bereich der Abkommen mit Drittstaaten werden die Auswirkungen sehr unterschiedlich eingeschätzt. Für die bereits bestehenden Abkommen müssten die Notwendigkeit von Änderungen geprüft und ggf. die Verpflichtungen neu unter den Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden. Beispielsweise habe die EU bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) nun ein etwas geringeres Verhandlungsgewicht, da die Wirtschaftskraft des Vereinigten Königreichs nicht mehr der EU zugerechnet würde. Auch bei Verhandlungen mit Neuseeland und Australien könnten die Verhandlungen komplizierter werden, wenn das Vereinigte Königreich parallel Verhandlungen führe. Die Verhandlungen mit Indien dürften hingegen vereinfacht werden, da es bislang Schwierigkeiten gegeben habe, sich über Steuern für Alkohol zu einigen, die insbesondere wegen des Whiskys für Schottland relevant gewesen seien.
Auch die Institutionen der EU selbst seien vom Brexit betroffen. So müssten mehrere EU-Agenturen ihren Sitz aus dem Vereinigten Königreich in einen EU27-Staat verlegen und entschieden werden, wie mit den Sitzen der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus dem Vereinigten Königreich umgegangen werde.
Die Frage nach der Sicherung der Rechte von EU27-Bürgern im Vereinigten Königreich und Briten in EU27-Staaten beschäftigte auch die Mitglieder des britischen Ober- und Unterhauses. Nachdem das Unterhaus dem Brexit ohne weitere Vorgaben zugestimmt hatte, lehnte das Oberhaus das Gesetz ab und beschloss zwei Änderungen, die die Rechte der EU27-Bürger im Vereinigten Königreich und das Mitspracherecht des Parlaments bei den Verhandlungen sichern sollten. Beide wurden vom Unterhaus abgelehnt. Hiernach nahm das Oberhaus das Gesetz in der vom Unterhaus gewählten Variante an.
Der Chefverhandler der EU, Michel Barnier, reagierte mit einer Rede vor dem Ausschuss der Regionen am 22. März 2017 auf die Rede Theresa Mays und die Ankündigung der Austrittserklärung für den 29. März 2017. Die Position der EU sei, dass eine Vereinbarung gefunden werden solle. Zunächst solle der Ablauf des Austrittsprozess vereinbart und anschließend die Perspektive der neuen Partnerschaft als Richtschnur für die Verhandlungen festgelegt werden. Wesentlicher Bestandteil der Vereinbarung werde ein Freihandelsabkommen sein. Dies dürfe jedoch nicht zu Dumping bei Sozial-, Arbeitnehmer- und Umweltschutzstandards führen. Die höchste Priorität sei die Sicherung der Rechte der Bürger. Zudem sollten die Unsicherheiten der Finanzierung von EU-Programmen behoben werden. Hier müssten die Rechnungen gegenseitig beglichen werden. Es sei klar, dass das Vereinigte Königreich nicht für den Brexit bestraft werden könne. Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Umgang mit der neuen Außengrenze der EU in Irland. Das Verfahren solle die Einheitlichkeit der EU waren, wofür Transparenz und öffentliche Debatten notwendig seien. Dies sei umso mehr der Fall, als das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich ein gemischtes Abkommen werde, also auch von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden müsse.
Mit der Austrittserklärung nach Art. 50 EUV beginnt eine zwei-Jahresfrist (EKD-Europa-Informationen Nr.153). Nach dieser ist das Vereinigte Königreich nicht mehr an die Verträge gebunden - mit oder ohne Austrittsvertrag. Michel Barnier rechnet damit, dass nur 18 Monate für die Verhandlungen übrig bleiben werden, da das Verfahren zur Ratifizierung des Vertrages lange dauern würde. 18 Monate sind sportlich für 10.000 betroffene Rechtsakte. Es ist zu erwarten, dass es viele Übergangsregelungen geben wird.