Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 154
Statt Interrail Ticket: Move2Learn Learn2Move
Doris Klingenhagen
Ursprünglich stammt die Idee, dass die EU-Kommission jedem Europäer zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket für eine Reise durch Europa schenken sollte, von zwei Studierenden. Diese Idee wurde von der Presse breit aufgegriffen und vom EU-Parlament, u.a vom EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, unterstützt. Anknüpfend an die Kernelemente der Free-Interrail-Idee, jungen Menschen kostengünstiges Reisen, Erfahrungen mit Menschen aus anderen europäischen Ländern zu ermöglichen und dabei umweltverträgliche Verkehrsmittel zu nutzen, hat die Europäische Kommission nun am 27. März 2017 die Initiative "Move2Learn Learn2Move" veröffentlicht (siehe Europainformationen 153). Umgesetzt wird diese Initiative im Rahmen des bereits bestehenden europäischen Netzwerks "eTwinning". Dieses Netzwerk ermöglicht Lehrerinnen und Schülern europaweit über eine Online-Plattform zusammenzuarbeiten. "Move2Learn Learn2Move" knüpft daran an und ermöglicht jungen Menschen, die an solch einem Lernprojekt teilnehmen, nun allein oder mit ihrer Schulklasse in ein anderes europäisches Land zu reisen. Die EU-Kommission hat dafür 2,5 Millionen Euro aus Mitteln des "Erasmus+ Programms" bereitgestellt. Damit können zunächst 5000 bis 7000 junge Menschen ab dem 16. Lebensjahr ausgewählt werden. Die Ausgewählten bekommen ein Reiseticket im Wert von 350 bis 530 Euro. Die Auswahl wird in Zusammenarbeit der nationalen Koordinierungsstellen von "eTwinning" und der EU-Kommission vorgenommen. Auswahlkriterien sind die Qualität der "eTwinning"-Projekte, der Umfang der sozialen Inklusion und ob eine Klasse bereits eine Auslandsreise unternommen hat. Klassenfahrten haben Vorrang vor Einzelreisen. Grundsätzlich wird erwartet, dass Schulklassen aus verschiedenen Ländern zusammenkommen. Schüler und Schülerinnen im letzten Jahr einer weiterführenden Schulklasse dürfen auch Einzelreisen wählen. Die Reisen, die bis zu zwei Wochen dauern können, sollten zwischen August 2017 und Dezember 2018 stattfinden. Um die Teilnehmenden für Umweltaspekte des Reisens zu sensibilisieren, sind nur öffentliche Verkehrsträger und Verkehrsgesellschaften gestattet. Einige Verkehrsgesellschaften unterstützen die Initiative, indem sie Teilnehmende längere Strecken reisen lassen, z.B. die Deutsche Bahn. Mit dem Auto oder mit einem gecharterten Bus kann nicht gereist werden. Die Rahmenbedingungen erscheinen relativ kompliziert. So müssen neben den schon genannten Kriterien auch die CO²-Emissionen berechnet und ein vorgegebenes Verhältnis zwischen Reise- und Aufenthaltsdauer eingehalten werden.
Insbesondere die finanzielle Prüfung der Idee eines kostenlosen Interrail-Tickets hatte ergeben, dass die jährlich benötigten Gelder in Höhe von 1,2 bis 1,6 Milliarden Euro derzeit nicht zur Verfügung stehen. So hat die EU-Kommission aus der Not eine Tugend gemacht und das beschriebene "Ersatzformat" geschaffen. Zum Vergleich: Die Summe von 1,4 Milliarden Euro steht dem Jugendprogrammteil in "Erasmus+ JUGEND IN AKTION" für sieben Jahre zur Verfügung. Diese Projekte erzielen nachweislich hohe Wirkungen bei ihren Teilnehmenden in Hinblick auf kulturelle Vielfalt, persönliche Entwicklung, Menschen- und Grundrechte sowie europäische Themen. Diese Wirkungen werden mit einem kostenlosen Interrail-Ticket nicht erzielt werden können. Darin stimmen die Fachleute aus der europäischen und internationalen Jugendarbeit überein. Dennoch lassen die öffentliche Presse sowie einige EU-Abgeordnete nicht von der Idee ab. Sie sehen das Vorgehen der EU-Kommission als Negativbeispiel für das angeblich unflexible Handeln der EU. Aus der Perspektive der Jugendarbeit ist das Herangehen der EU-Kommission jedoch verständlich. So ist das aktuelle Modell eine Zuschussmöglichkeit für Klassenfahrten für einen sehr ausgewählten Kreis von "eTwinning"-Klassen. Ein kostenloses Interrail-Ticket klingt zwar erst einmal verlockend, ist aber jugendpolitisch wenig sinnvoll und finanziell nicht zu verwirklichen.Das hat die Kommission erkannt.
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