Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 154

EuGH: Der Streit um's Kopftuch geht weiter

Julia Maria Eichler

Am 14. März 2017 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in zwei Urteilen über die Zulässigkeit eines Kopftuchverbotes in privaten Unternehmen entschieden. Grundsätzlich stelle ein Kopftuchverbot, wenn es auf einer internen Regel eines privaten Unternehmens beruhe, welche das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbiete, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne der Richtlinie dar, so die Richter (EKD Europa-Informationen Nr. 153).


Geklagt hatte im ersten Fall (C-157/15) eine Muslima, die als Rezeptionistin bei einer belgischen Firma gearbeitet hatte. In dem Unternehmen, das Sicherheitsdienste sowie Rezeptionsdienstleistungen erbringt, war das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen generell verboten. Die zunächst ungeschriebene betriebliche Regel galt ab 2006 als schriftliche Arbeitsordnung. Der Klägerin war, nachdem sie angekündigt hatte, zukünftig auch während der Arbeitszeit ein Kopftuch tragen zu wollen und hieran trotz Hinweis auf das Neutralitätsgebot festhielt, gekündigt worden.


Im zweiten aus Frankreich stammenden Fall (C-157/15) hatte eine Projektingenieurin geklagt, die seit 2008 bei einem IT-Beratungsunternehmen angestellt war und zeitweise bei der Arbeit ein Kopftuch trug. Einer der Kunden des IT-Unternehmens, den sie in dessen Geschäftsräumen besucht hatte, beschwerte sich über ihr Kopftuch, weil seine Mitarbeiter hieran "Anstoß genommen" hätten. Die Forderung beim nächsten Mal kein Kopftuch zu tragen, lehnte die Projektingenieurin ab und wurde daraufhin mit der Begründung entlassen, das ihre Weigerung das Kopftuch abzulegen, die weitere Erbringung von Leistungen in den Räumlichkeiten der Kunden nicht länger möglich mache.


Auf europäischer Ebene legt die Beschäftigungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) den Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest. Dementsprechend dürfe es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf geben. Der Begriff Religion erfasse dabei sowohl das "forum internum", d.h. den Umstand, Überzeugungen zu haben, als auch das "forum externum", d.h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit.


In dem Fall aus Belgien sah der Europäische Gerichtshof aber bereits keine unmittelbare Diskriminierung als gegeben an. Es fehle an der für eine unmittelbare Diskriminierung notwendigen weniger günstigen Behandlung einer Person in einer vergleichbaren Situation. Die betriebliche Regelung stelle keine unmittelbar auf der Religion oder Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung dar, denn sie gelte unterschiedslos für jede Bekundung politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen. Daher sei davon auszugehen, dass diese Regel alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichermaßen erfasse.


Eine mittelbare Diskriminierung könne dann vorliegen, wenn das vorlegende belgische Gericht feststellen würde, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, tatsächlich dazu führe, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt würden und diese Ungleichbehandlung nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Die Beantwortung dieser Frage obliege den nationalen Gerichten. Der Gerichtshof weist aber darauf hin, dass der Wille im Verhältnis zu öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als ein rechtmäßiges Ziel anzusehen sei, insbesondere wenn nur die  Arbeitnehmer mit Kundenkontakt einbezogen würden. Die Entscheidung zur Vermittlung von Neutralität gegenüber dem Kunden gehöre zu der in Art. 16 EU-Grundrechte-Charta verankerten unternehmerischen Freiheit. Sofern sie kohärent und systematisch angewandt werde, sei die Betriebsregel auch zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet. Zudem müsse das Verbot des sichtbaren Tragens dieser Symbole auf das unbedingt Erforderliche beschränkt werden, mithin auf die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmer. Zusätzlich sei auch zu prüfen, ob es die Möglichkeit gegeben hätte, unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung zu kreieren, die Arbeitnehmerin auf einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt zum Kunden zu versetzen, statt sie zu entlassen. Insofern sei es die Aufgabe des vorlegenden Gerichtes, den beiderseitigen widerstreitenden Interessen Rechnung zu tragen und Beschränkungen auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen.
In der französischen Rechtssache ging der EuGH davon aus, dass eine Ungleichbehandlung vorliege und legte daher den Schwerpunkt seiner Ausführung auf die Frage, ob diese Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit der Religion steht, keine Diskriminierung darstellt. Dafür müsste dieses Merkmal aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen. Zudem müsste es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handeln (Art. 4 Abs. 1 2000/78/EG).


Das vorlegende Gericht hatte gefragt, ob der Wille des Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, die Leistung dieses Arbeitgebers nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, eine solche wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen könne.


Der Gerichtshof verweist insoweit darauf, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte sei, die mitgliedsstaatlichen Umsetzungen von Art. 4 Abs. 1 zu prüfen. In seiner ständigen Rechtsprechung habe der Gerichtshof aber entschieden, dass nicht der Grund auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund in Zusammenhang stehendes Merkmal die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen müsse. Zudem sei aus Erwägungsgrund 23 der Richtlinie ersichtlich, dass ein solches Merkmal nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen könne.  Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 folge auch, dass die berufliche Anforderung "von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgeben" sein müsse.  Sie erstrecke sich jedoch "nicht auf subjektive Erwägungen, wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen". Daher sei der Wille eines Arbeitgebers, den Kundenwünschen entsprechend  Leistungen nicht mehr von einer ein islamisches Kopftuch tragenden Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne dieser Bestimmungen anzusehen.
Generalanwältin Juliane Kokott hatte in ihren Schlussanträgen zu der Rechtssache C-157/15 darauf hingewiesen, dass die Europäische Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten achten muss (Art. 4 Abs. 2 Vertrag über die Europäische Union) und dementsprechend in Länder, in denen der Laizismus Verfassungsrang habe, stärkere Einschränkungen für das Tragen sichtbarer religiöser Zeichen gelten könnten, als in Mitgliedsstaaten mit anderen Verfassungsordnungen. Der Gerichthof geht in den Urteilen auf den Spielraum der Mitgliedsstaaten aufgrund der nationalen Identität nicht explizit ein. Dass es daraus folgend keine einheitliche Lösung innerhalb der Union geben kann, wird in ebenfalls  kaum erwähnt.


Erst 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht ein pauschales Kopftuchverbot an Schulen gekippt und hohe Schranken in Form einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens hierfür aufgestellt. Welchen Einfluss die Urteile aus Luxemburg auch auf die Rechtsprechung der deutschen Gerichte zum Tragen religiöser Symbole in öffentlichen Einrichtungen haben werden, bleibt abzuwarten.


Grundsätzlich entheben Urteile zur Auslegung des Unionsrechts letztinstanzlich entscheidende innerstaatliche Gerichte von ihrer Vorlagepflicht, soweit diese der Auslegung des Gerichtshofs folgen. Will ein letztinstanzliches Gericht jedoch von der Auslegung des Gerichthofs abweichen, ist es weiterhin zur Vorlage verpflichtet. Der Bonner Professor für Arbeitsrecht, Gregor Thüsing, geht davon aus, dass das Bundesarbeitsgericht die Rechtsauffassung des EuGH übernehmen wird. Damit würde privaten Unternehmen in Deutschland deutlich mehr Freiheit zugestanden, etwaige Neutralitätspolitiken durchzusetzen und hierfür das Tragen religiöser Symbole einzuschränken. Thüsing befürchtet, dass dies zu einer Ausgrenzung streng muslimischer Frauen aus dem Arbeitsmarkt führen könnte. In einer ersten Stellungnahme kommentierte auch die EKD-Vertretung Brüssel die Urteile eher kritisch. Religion sei "mehr als ein Aspekt privater Lebensführung". Sie sei vielmehr für Gläubige "integraler Bestandteil ihres Lebens", so Katrin Hatzinger. Insgesamt gehe die Abwägung des Gerichtshofs zwischen der Religionsfreiheit und  der unternehmerischen Freiheit zu sehr zu Lasten der Religionsfreiheit.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-157/15 finden Sie hier:

http://ekd.be/2qiqgHz

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-188/15 finden Sie hier:

http://ekd.be/2ozVdKP

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