Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa -Informationen Nr. 156

Reformatorisches Erbe und die Zukunft der EU

Valentin Wendebourg

Am 17. Oktober 2017 fand angesichts des 500. jährigen Reformationsjubiläums im Europäischen Parlament eine Veranstaltung unter dem Titel „Celebrating 500 years of Reformation. How can the legacy positively shape the future of the EU?” zur Reformation und Zukunft der EU statt. Initiiert worden war die Veranstaltung u.a. durch den finnischen Abgeordneten Hannu Takkula (ALDE). Eingeladen waren Kirchenvertreter und EU-Politiker aus ganz Europa, um in drei Panels über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der zunächst wesentlich theologischen Anliegen der Reformation zu diskutieren.

Im ersten Panel stand Luthers Konzentration auf die Gnade im Zentrum. Der finnische Bischof Simo Peura erinnerte an Luthers klare Trennung zwischen politischer und geistlicher Macht als zwei unterschiedene „Regimente“ Gottes. Eine Trennung oder Nichteinmischung in das Politische habe Luther jedoch nicht gemeint, wenn gleich dies in der Vergangenheit von manchen Christen in reinem Obrigkeitsgehorsam fälschlicher Weise so interpretiert worden sei. Für Luther gehörten jedoch beide Bereiche unmittelbar zusammen. Der Abgeordnete Peter van Dalen (Europäische Konservative und Reformer) eröffnete seinen Beitrag mit einem Zitat des Römerbriefes aus seiner deutschen Lutherbibel und betonte, dass es die Aufgabe der Politik sei, sich für Gerechtigkeit einzusetzen und so Entfaltungsräume für die Gnade zu schaffen. Pastorin Katri Oldendorff von der finnischen Seemannsmission in Brüssel berichtete ganz konkret von der Arbeit in den verschiedenen Einrichtungen der Seemannsmission, in welchen täglich versucht werde, Gnade durch den karitativen Einsatz am Nächsten spürbar werden zu lassen.

In einem zweiten Panel wurde das kirchliche und kulturelle Erbe der Reformation thematisiert. Kirchenhistoriker Professor Andreas Beck von der Universität Leuven wies darauf hin, dass sich die Reformation aus bereits bestehenden mittelalterlichen Spannungen von Zentralisierung und Dezentralisierung (Konziliarismus), Klerikern und Laien sowie Äußerlich- und Innerlichkeit der Frömmigkeit herausgebildet habe. Durch die Gründung von Schulen und Universitäten u.a. durch Philipp Melanchthon sei die Reformation zu einer großen europaweiten Bildungsbewegung geworden, weshalb Melanchthons eigentlich als „praeceptor Europae“ statt „Germaniae“ zu bezeichnen sei. Professor Dezcö Buzogány vom evangelisch-theologischen Insititut Cluj betonte die Bedeutung der reformierten Tradition für die reformatorische Bildungsbewegung und forderte, dass die aktuelle Aufgabe der Kirche sei, diesen christlichen Bildungsauftrag gegenüber den nichtchristlichen Menschen zu erfüllen, die heute nach Europa kämen. Nur so könne Europa zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehren. Nötig sei eine spirituelle Erneuerung und Wiederherstellung moralischer Werte. Als Abgeordneter aus Wittenberg berichtete Arne Lietz (S&D) von den vielen Veranstaltungen in Wittenberg, Deutschland und Europa, welche im Rahmen der Luther Dekade stattgefunden hätten.

Im letzten Panel zum Dialog der EU mit den Kirchen erinnerte die Vizepräsidentin des Parlaments und Beauftragte für den Dialog mit den Religionsgemeinschaften Mairead McGuinness (Europäische Volkspartei) daran, dass die Kirchen immer noch einen wesentlichen Teil der Gesellschaften in Europa bildeten und individuell wie gesellschaftlich eine prägende Rolle spielten. McGuinness betonte die Wichtigkeit des Dialogs zwischen den Religionsgemeinschaften und der EU. Die Autonomie des Politischen bedeute nicht, dass dieser Bereich von der Religion getrennt sei, da man Menschen nicht in ihre politischen, religiösen oder sozialen Anteile aufteilen könne. So sei beispielsweise die Würde des Menschen ein zentrales Anliegen sowohl religiöser wie politischer Werte. Der Dialog zwischen den EU-Institutionen und den Kirchen und Religionsgemeinschaften müsse jedoch bekannter gemacht werden, gerade auch auf lokaler und regionaler Ebene.

Heikki Huttunen, Generalsekretär der Konferenz europäischer Kirchen und finnisch-orthodoxer Priester widmete sich in besonderer Weise den Herausforderungen der Migration für den religiösen Dialog und forderte eine Rückbesinnung auf die Gastfreundschaft als zentrales christliches Gebot.

Katrin Hatzinger als Leiterin des EKD-Büros in Brüssel rief dazu auf, Luther und die Reformatoren nicht zu unmittelbar für das moderne Freiheitsverständnis in Anspruch zu nehmen, da es sich bei Luthers Freiheitsbegriff zunächst um einen theologischen Freiheitsanspruch gehandelt habe. Die EKD sei jedoch heute im Verständnis einer „öffentlichen Theologie“ in besonderer Weise politisch engagiert und bringe die kirchlichen Anliegen in den politischen Dialog ein. So verfügten die Kirchen beispielsweise im Bereich der Migration, des interreligiösen Dialogs oder der Religionsfreiheit über wertvolle Expertise. Darüber hinaus legten sie aber vor allem den Grund für die Seele Europas, den die EU selbst nicht schaffen könne. Werte wie der Respekt vor dem Individuum oder der Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien gemeinsame Werte. Die Kirchen müssten jedoch ihre Autonomie behalten, die in den der länderspezifischen Religionsverfassungsrechtsbestimmungen garantiert sei. Zudem sei es eine Aufgabe der Kirchen und der EU, gesellschaftliche europäische Themen und Dialoge an die Basis zu bringen. Sie warb daher dafür, die Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Europapolitik aus den Brüsseler Kreisen hinaus auf die nationale und regionale Ebene zu bringen.

In ihrem abschließenden Statement ging die Abgeordnete Cecilia Wikström (ALDE) auf die besondere Wirkung ein, die die Reformation auf die Musiklandschaft in Europa ausgeübt habe und hob hierbei die Bedeutung Johann Sebastian Bachs und der evangelischen Kirchenmusiktradition hervor. Veranschaulicht wurde diese durch den Chor eines rumänischen evangelisch-theologischen Instituts, der die Veranstaltung u.a. mit der Interpretation von Luthers Choral „Eine feste Burg“ abschloss.

 

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