Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa -Informationen Nr. 156

Halbzeit: Wie weiter mit der Europäischen Migrationsagenda?

Julia Maria Eichler

Vor gut zweieinhalb Jahren, im Mai 2015, nahm die Europäische Kommission mit der Europäischen Migrationsagenda  (EMA) ihr Fünf-Jahres-Programm zur Asyl- und Migrationspolitik an. Am 27. September 2017 hat die Europäische Kommission nun ihre Halbzeitbewertung dazu veröffentlicht. Darin zieht sie Bilanz über die bisher erreichten Fortschritte und stellt neue Maßnahmen in den Bereichen: „Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“, „legale Wege“, „Rückführungen“ und der Kooperation mit Drittstaaten vor.

Am 07. Dezember 2017 legte die Kommission dann zudem einen Fahrplan vor, der in Vorbereitung auf den Europäischen Rat konkreten Maßnahme für die nächsten Monate benennt.

Durch den Rückgang der Zahlen irregulärer Ankünfte auf der östlichen und zentralen Mittelmeerroute habe sich die Möglichkeit eröffnet, an stabileren Lösungen zu arbeiten, so die Kommission in der Halbzeitbewertung. Man müsse Lösungen finden, die irregulären und unkontrollierten Ströme durch sichere und gut organisierte Wege zu ersetzen.

Um von ad-hoc-Maßnahmen abzurücken und ein nachhaltiges System zu schaffen, das auch auf Krisen reagieren könne, drängt die Kommission auf die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Angesichts der unterschiedlichen Verfahrensstadien, in denen sich die einzelnen Vorschläge befinden, schlägt die Kommission in ihrem Fahrplan vor, bis März 2018 den Gesetzgebungsprozess zur Europäischen Asylagentur und zur Eurodac-Verordnung abzuschließen. Im gleichen Zeitraum soll eine Einigung zwischen Parlament und Rat zur Qualifikationsverordnung erreicht werden. Zur Aufnahmebedingungenrichtlinie und dem EU-Neuansiedlungsrahmen soll eine Einigung bis Mai 2018 erfolgen. Bis dahin sollen beide Gesetzgeber auch ein Mandat für Trilogverhandlungen über die Asylverfahrensverordnung erteilen. Für das richtige Konzept zwischen Verantwortung und Solidarität, und damit das Kernstück der Dublin-Verordnung, sollen bis April 2018 die Grundzüge vereinbart werden, bevor im Mai ein Verhandlungsmandat vom Rat erteilt werden könnte.

Angesichts des fehlenden Fortschritts bei der Dublin-Verordnung im Rat erscheint der Zeitplan ambitioniert. Wie einerseits ein nachhaltiges europäisches Asylsystem geschaffen werden soll, dass auch in Krisenzeiten noch funktioniert, und gleichzeitig die konträren Positionen der Mitgliedstaaten miteinander in Einklang gebracht werden soll, ist nach wie vor offen.

Die Kommission weist daraufhin, dass parallel hierzu die kohärente Umsetzung des derzeitigen EU-Asyl-Acquis durch die Mitgliedstaaten ein Schlüsselelement sei. Dazu gehöre auch die schnelle Reaktion auf Dublin-Übernahmegesuchen aus Italien und Griechenland, insbesondere wenn diese auf familiären Verbindungen beruhten.

Die Halbzeitbewertung enthält mehrere Maßnahmen zum Ausbau legaler Wege. Einerseits schlägt die Kommission für Schutzsuchende vor, bis Mai 2019 mindestens 50.000 Menschen, die internationalen Schutzes bedürfen, in der EU neuanzusiedeln. Der Vorschlag dient dazu den Zeitraum bis zur Annahme des Vorschlages für einen dauerhaften EU-Neuansiedlungsrahmen zu überbrücken. Hierzu wird die Kommission 500 Millionen Euro (10.000 Euro pro Person) bereitstellen. Ein Schwerpunkt liegt dabei weiterhin sowohl auf der Türkei als auch auf Jordanien und dem Libanon. Daneben sollen aber auch Nordafrika und das Horn von Afrika stärker in den Fokus rücken, vor allem Libyen, Ägypten, Niger, Sudan, Tschad und Äthiopien.

Damit soll u.a. der UNHCR unterstützt werden, einen Mechanismus für die Notevakuierung aus Libyen einzuführen und dessen Forderung nach der Neuansiedlung von 40.000 Flüchtlingen aus Libyen und den umliegenden Staaten nachgekommen werden.

Die Kommission hatte bereits im Juli 2017 die Mitgliedstaaten aufgerufen, Zusagen für Neuansiedlungsplätze zu geben. Bisher haben die Mitgliedsländer fast 40.000 Zusagen erteilt, darunter u.a. Belgien, Bulgarien, Frankreich, Litauen und Finnland. Deutschland hat bisher keine konkreten Zusagen gemacht.

Bis Februar 2018 sollen bereits 1.000 Personen aus Libyen in der EU neuangesiedelt werden. Im gleichen Zeitraum sollen zudem 15.000 Personen bei der freiwilligen Rückkehr aus Libyen in ihre Heimatländer unterstützt werden. Mit Hilfe der Ende November 2017 eingerichteten gemeinsamen Task Force der Europäischen Union, der Afrikanischen Union und der Vereinigten Nationen konnten zudem laut EU-Kommission bereits erste Erfolge bei der Rückkehr von Migranten aus Libyen erzielt werden. Seit Ende November konnten 3.100 Migranten bei der freiwilligen Rückkehr aus Libyen in ihre Heimatländer geholfen werden.

Eine erweiterte und maßgeschneiderte Kooperation mit Drittstaaten könnte die in die EU kommenden Migrationsströme durch die Eröffnung sicherer und legaler Alternativen verringern, so die Kommission. So könnten einerseits Bedürfnisse des EU-Arbeitsmarktes in bestimmten Sektoren befriedigt und andererseits die Zusammenarbeit bei Themen wie Rückkehr und Rückübernahme von irregulären Migranten erleichtert werden. Die Kommission schlägt daher vor, 2018 Pilotprojekte für legale Migration mit Drittstaaten zu koordinieren und finanziell zu unterstützen, in deren Rahmen die Mitgliedstaaten eine bestimmte Anzahl der Drittstaatsangehörigen aufnehmen würden.

Anfänglich könnten dabei Länder aufgrund der bestehenden Partnerschaft beim Migrationsmanagement und der konkreten Zusammenarbeit bei der Bekämpfung irregulärer Ströme und Rückübernahme von irregulären Migranten, ausgewählt werden. 

Die Kommission wird auch die gemeinsame EU-Visapolitik überprüfen und Ideen zur Modernisierung 2018 vorstellen. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Visa-Politik mit den neuen Grenzschutzsystemen kohärent auszugestalten (z.B. Ethias – Europäischen Reiseinformation und –authorisierungssystem) und diese besser bei der Kooperation mit Drittstaaten nutzen zu können.

Nach wie vor bemängelt die Kommission die geringen Rückkehrquoten (rund 36 % im Zeitraum 2014-2015) und fordert die Mitgliedstaaten auf, bis Juni 2018 die Zahl der Migranten, deren Rückkehr/Rückführung sie in Zusammenarbeit mit der Europäischen Grenz- und Küstenwache (Frontex) organisieren, um mindestens 50 % gegenüber dem Vorjahr zu erhöhen.

Frontex müsse einen proaktiveren Ansatz verfolgen. Dafür soll die dortige Rückführungseinheit in eine gut ausgestattete Rückkehrabteilung umgewandelt werden. Frontex solle ferner bis Mitte 2018 Operationspläne mit konkreten Rückführungszielen für jeden Mitgliedstaat abhängig von dessen Bedürfnissen und Prioritäten erstellen.

Obwohl zwischenzeitlich Fortschritte bei der Umsetzung von existierenden Rücknahmeabkommen gemacht worden seien, gebe es bei anderen Verhandlungen keine Fortschritte. Die Kommission möchte sich daher auf die praktische Kooperation mit Drittstaaten konzentrieren. Um bessere Ergebnisse bei der Rückführung und Rückübernahme zu erzielen, müsse die fehlende Kooperation von Schlüsseldrittstaaten systematischer und effektiver angegangen werden. Hierfür sollten alle Anreize und Einflussmöglichkeiten von Mitgliedstaaten und EU genutzt werden, neben legalen Wegen durch EU-Pilotprojekte rechnet die Kommission auch die verstärkte Unterstützung für die Reintegration hierzu.

Bei dauerhafter Nichtzusammenarbeit könnte eine koordinierte Reaktion der Mitgliedstaaten mit Visa-Maßnahmen zusätzliche Einflussmöglichkeiten gewährleisten.

Zuletzt möchte die Kommission auch die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern verbessern. Hierfür seien u.a. zusätzliche Beiträge von den Mitgliedstaaten für den EU-Treuhandfonds für Afrika, insbesondere für die Nordafrika-Komponente, notwendig.

Insgesamt mangelt es in der EU nach wie vor an konkreten Schritten, um die Aufnahmebedingungen und Asylverfahren in den Mitgliedstaaten zu verbessern, auch wenn die EU-Kommission nunmehr Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Ungarn und die Tschechische Republik eingeleitet hat, da die Ländern sich weiterhin weigern, den Umsiedlungsbeschluss (siehe vorangegangen Artikel) umzusetzen und Flüchtlinge aufzunehmen. Darauf dass bei der Umsetzung des Asyl-Acquis dringender Handlungsbedarf besteht, hatte das Brüsseler Büro bereits in der Konsultationsphase während der Erstellung der Halbzeitbewertung mehrfach hingewiesen. Während andere langfristige Maßnahmen wie der Europäische Grenz- und Küstenschutz in Rekordzeit vom ersten Vorschlag zur Realität wurden, fehlt von anderen Vorschlägen wie der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen bisher jede Spur.

Sowohl das Neuansiedlungsprogramms als auch die Pilotprojekte im Bereich legale Migration sind sehr zu begrüßen. In beiden Bereichen wird es aber parallel zur europäischen Ebene noch zusätzliche rAnstrengungen der Mitgliedstaaten bedürfen. So geht der UNHCR derzeit von 1,2 Millionen Neuansiedlungsbedürftigen im Jahr 2018 aus. Die EKD-Synode hatte auf ihrer Tagung vom 12.-15. November 2017 in Bonn die Eröffnung legaler und sicherer Wege sowohl für Migranten als auch für Flüchtlinge gefordert.

Wenig überraschend setzt sich aber auch in dieser Mitteilung die Fokussierung auf steigende Rückführungszahlen fort. Es zeigt sich deutlich, dass die Kommission bereit ist, die gesamte Palette an politischen Möglichkeiten zu nutzen, um Rückführungen zu ermöglichen und den Wünschen der Mitgliedstaaten nachzukommen.  Auch die Konditionalität zwischen Migrationsmanagement und Unterstützung für Drittstaaten wird ausgebaut. Ob diese Maßnahmen geeignet sind, ein tragfähiges und menschenwürdiges europäisches Asyl- und Migrationssystem aufzubauen, darf stark bezweifelt werden.

Die Mitteilung zur Halbzeitbewertung finden Sie in Englisch hier: http://www.ekd.eu/156-AuM-HZ-Link1

Die Mitteilung zum Fahrplan finden Sie in Englisch hier: http://www.ekd.eu/156-AuM-HZ-Link2

Den Synodenbeschluss finden Sie hier: http://www.ekd.eu/156-AuM-HZ-Link3

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