Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa -Informationen Nr. 156

Soziales und Beschäftigung: Kirchliches Arbeitsrecht auf dem europäischen Prüfstand

Julia Maria Eichler

Die Kirche könne nicht verbindlich selbst bestimmen, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts ihres Ethos darstellt. So votierte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ivan Tanchev in seinen Schlussanträgen vom 9. November 2017 in der Rechtssache „Egenberger/Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V“ (C-414/16) und sorgte bei den Kirchen für Widerspruch

Worum geht es? Frau Egenberger hatte das Diakonische Werk verklagt, weil sie als Atheisten nicht zum Vorstellungsgespräch für eine Referentenstelle zur Umsetzung der UN-Anti-Rassismuskonvention bei der Diakonie eingeladen wurden war. Für die Aufnahme der Tätigkeit war die Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche oder einer in einer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche in der Stellenanzeige vorausgesetzt worden Die Schadensersatzklage in Höhe von 10.000 € lag zuletzt dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor, das den EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der sog. Beschäftigungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) vorlegte. Diese regelt in Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 1, dass „die Mitgliedstaaten (…) in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen“ beibehalten oder vorsehen können, „wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“. Deutschland hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Beschäftigungsrahmenrichtlinie (im Folgenden Richtlinie) umsetzt, eine Sonderregelung für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften geschaffen.

Das BAG hatte den EuGH gefragt, ob die Kirche bzw. mit ihr verbundene Einrichtungen verbindlich selbst bestimmen könnten, wann die Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen angesichts des Ethos darstellt. Sollte dies nicht der Fall sein, fragt das BAG unter anderem, welche Anforderungen hieran zu stellen sind.

Im Mittelpunkt der Schlussanträge des Generalanwalts stand die Frage, inwieweit berufliche Anforderungen, die von religiösen Organisationen unter Berufung auf das Recht der kirchlichen Selbstbestimmung gestellt werden, der Überprüfung durch die nationalen Gerichte unterliege. Das BAG hatte in seinem Vorlagebeschluss ausgeführt, dass in Deutschland bei von den Gerichten lediglich eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt werde, bei der der von den Kirchen selbst vorgegebene Maßstab nicht überprüft werde, sondern kontrolliert werde, ob „der kirchliche Arbeitgeber plausibel vorgetragen habe, dass die Einstellungsvoraussetzungen einer bestimmten Religion Ausdruck des glaubensdefinierten kirchlichen Selbstverständnisses sei“.. Für eine solche Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung gebe es aber keine rechtlichen Anhaltspunkte, so der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen.

Einerseits habe der Europäische Gerichthof für Menschenrechte in Straßburg in seiner Rechtsprechung  hinsichtlich des Rechts auf  Autonomie von Kirchen und Religionsgemeinschaften bestätigt, dass „die staatlichen Vorgaben für die gerichtliche Überprüfung gleichwohl ausreichen müssen, um zu klären“, ob andere durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützte Rechte gewahrt werden. Die nationalen Gerichte müssten dabei eine eingehende Prüfung der Umstände des Falles und eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen  vornehmen.

Zudem biete auch die Richtlinie keine rechtliche Grundlage für eine derartige Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle. Die Sonderregelung in Art. 4 Abs. 2 der Beschäftigungsrahmenrichtlinie  ermögliche es auf die einzelstaatlichen Gepflogenheiten zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie in den Mitgliedstaaten ebenso Rücksicht zu nehmen, wie auf die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten. Aber auch hieraus könne keine Einschränkung der Rolle der Gerichte bei der Überprüfung der Berufung einer Religionsgemeinschaft auf diese Bestimmung gezogen werden.

Zuletzt könne dies auch nicht auf primärrechtliche Erwägungen gestützt werden. Der sog. Kirchenartikel in Art. 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union (AEUV) schreibe zwar in seinem ersten Absatz fest, dass die Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achte und ihn nicht beeinträchtige. Jedoch sei eine Auslegung ausgeschlossen, wonach dieser Staus geachtet und nicht beeinträchtigt werde, wenn „der Status, den solche Organisationen nach dem Recht der Mitgliedstaaten genießen, ihre Grundrechte nicht gewährleistet.“.

Art. 17 AEUV führe nicht dazu, dass „bestimmte Sachgebiete oder Tätigkeitsbereiche gänzlich dem Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 entzogen wären.“. Vielmehr dürfe die Anwendung dieser Richtlinie die Identität der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Demnach schränke die nationale Identität „nicht den Geltungsbereich der Richtlinie als solchen ein, sondern sei bei der Auslegung des dort enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie der Rechtfertigungsgründe für etwaige Ungleichbehandlung gebührend zu berücksichtigen“.

Dementsprechend müssten bei der Prüfung der wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen, die angesichts des Ethos der Organisationgestellt werden dürften, nach Ansicht des Generalanwalts. folgende Faktoren beachtet werden:

Das Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung sei im Unionsrecht anerkannt und geschützt. Dies müsse bei der Auslegung von Art. 4 Abs. 2, insbesondere beim Begriff „Ethos“, berücksichtigt werden. Bei dieser Auslegung stehe den Mitgliedstaaten ein weiter aber nicht unbegrenzter Spielraum zu, welche beruflichen Tätigkeiten als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen anzusehen seien. Das von den Mitgliedstaaten gewählte Staats-Kirchen-Modell müsse geachtet und nicht beeinträchtigt werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seien etwa staatliche Eingriffe in die interne Organisation von Kirchen ausgeschlossen. Auch die Festlegung der religiösen Zugehörigkeit einer Religionsgemeinschaft stehe allein den geistlichen Oberhäuptern zu. Dies gelte über die Grundrechte-Charta auch als Mindestschutz im Unionsrecht (vgl. Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechte-Charta).

Der Generalanwalt zieht dabei die Grenze zwischen dem Ethos der Religion, dessen Bestimmung allein der religiösen Organisation obliege und der „mit seiner Bewahrung verbundenen Tätigkeit“, die davon getrennt objektiv von der Gerichten zu überprüfen sei. Bei der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung bei der fraglichen Tätigkeit wegen der Religion wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist, müssten drei weitere Faktoren beachtet werden. Erstens müsse die beruflichen Anforderungen in „angemessener Weise an den Schutz des Rechts des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung angepasst sein, so dass sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind. Zweitens sei eine Analyse der Nähe der fraglichen Tätigkeit zum Verkündungsauftrag des Beklagten erforderlich. Drittens müsse eine Abwägung der Auswirkungen auf „das rechtmäßige Ziel, die praktische Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung sicherzustellen, gegen das Recht der Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung abgewogen werden“.

Die EKD zeigte sich in einer ersten Reaktion auf die Schlussanträge von den rechtlichen Schlussfolgerungen  nicht überzeugt. Die Gerichte eines religiös neutralen Staates hätten keine Maßstäbe, mit denen sie nach der „Verkündigungsnähe“ die Rechtfertigung religionsbezogener Anforderungen unterscheiden könnten, hieß es in einer kurze Stellungnahme.

Die Schlussanträge des Generalanwaltes sind für die Richter des EuGH nicht bindend. Es bleibt also abzuwarten, ob sie diesen in dem für das Frühjahr 2018 erwarteten Urteil, folgen.

Die Schlussanträge finden Sie hier: http://www.ekd.eu/156-SuB-KA-Urteil-Link 

 

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