Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa -Informationen Nr. 156

Plädoyer für eine umfassende gemeinsame europäische Migrationspolitik

Katrin Hatzinger / Julia Maria Eichler

Die Europäische Kommission führt seit September 2016 einen sog. Fitness Check der Richtlinien zur legalen Migration durch (z.B. Blaue Karte-Richtlinie, Familienzusammenführungsrichtlinie). Die bestehende EU-Gesetzgebung soll dabei bis Januar 2018 evaluiert und auf Relevanz, Kohärenz, Wirksamkeit und Mehrwert überprüft werden. Das Brüsseler EKD-Büro hat gemeinsam mit anderen christlichen Organisationen, u.a. CCME, dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst und Caritas Europa, im September 2017 an der öffentlichen Konsultation teilgenommen und sich auch an dem direkten Austausch mit der Kommission im November 2017 beteiligt.

In Anknüpfung an vorherige Stellungnahmen sprachen sich die christlichen Organisationen in ihrem Beitrag für eine kohärente gemeinsame EU-Migrationspolitik aus, die Menschenrechte gewährleistet, einen sicheren Rechtsstatus gewährt und ein hohes Maß an Arbeits- und Sozialrechten garantiert. Aktuell regelten verschiedene Richtlinien den Zugang zu den verschiedenen Arbeitsmarktsektoren. Dabei seien nicht alle Bereiche abgedeckt. Dieser unübersichtliche und intransparente Flickenteppich an Regelungen sei mittlerweile so komplex, dass er von außen kaum mehr zu durchschauen sei. Er führe zudem zu einer Fragmentierung der Rechte der Migranten. So fehle es nach wie vor an Zugangswegen für Personen zum Niedriglohnsektor, obwohl hier z. T. großer Bedarf in der EU herrsche und die Gefahr der Ausbeutung besonders hoch sei (z.B. bei Erntehelfern oder in Schlachtbetrieben). Am Beispiel der „Blue Card“-Richtlinie für hochqualifizierte Migranten zeige sich zudem, dass der hohe bürokratische Aufwand und die fehlende Möglichkeit, durch die Karte innerhalb der gesamten EU Freizügigkeit zu genießen, dazu führe, dass die Nachfrage nach dieser Einwanderungsmöglichkeit weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben und wenig bekannt sei. Handlungsbedarf bestehe zudem noch hinsichtlich der Erreichbarkeit von Integrationsmaßnahmen, die auch nach Ankunft im Arbeitsstaat fortgesetzt und ggf. intensiviert werden sollten, und grundsätzlich bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen und Qualifikationen.

Die legale Migration biete grundsätzlich beiden Seiten diverse Vorteile. Für Migranten erhöhe sich die Chance, Arbeit entsprechend ihren Qualifikationen zu finden und den Lebensstandard zu verbessern. Reguläre Migranten seien zudem nicht gezwungen, sich in der Schattenwirtschaft zu verdingen, Ausbeutung und Missbrauch würden zurückgedrängt. Für die EU biete die Arbeitsmigration neben dem wirtschaftlichen auch einen sozialen und kulturellen Gewinn. Besondere Bedeutung komme einer engen Kooperation mit den Herkunftsstaaten zu, denn legale Migration müsse einerseits von Programmen zur Schaffung guter Arbeitsplätze in den Herkunftsstaaten begleitet werden. Andererseits könnte durch einen umfassenden Politikansatz übermäßige Abwanderung von Fachkräften aus bestimmten Sektoren („brain drain“) verhindert werden. Legale Migrationskanäle als Gegenleistung für die Kooperation von Drittstaaten, etwa bei Rückübernahmeabkommen, lehnen die Organisationen ab.

Die christlichen Verbände und Organisationen sprechen sich zudem für eine erleichterte, erweiterte und beschleunigte Familienzusammenführung aus. Das Recht auf Familienzusammenführung dürfe nicht einzelnen Gruppen Drittstaatsangehöriger, z.B. subsidiär Geschützter, verwehrt werden. Integrationsmaßnahmen müssten zugänglich und bezahlbar sein sowie die individuelle Situation von Familienangehörigen berücksichtigen. Zudem müssten Verwaltungshindernisse für das Zusammenleben von Familien abgebaut werden. 

Auf ihrer Tagung vom 12.-15. November 2017 in Bonn sprach sich die EKD-Synode in einem Beschluss für die Eröffnung legaler Wege für Flüchtlinge und Migranten in die Europäische Union aus. In dem Beschluss fordern die Synodalen, dass „für Migranten nachhaltige und transparente Zugangswege und -verfahren zur Ausbildungs-, Studiums- und Arbeitsaufnahme in der EU im Rahmen eines umfassenden Europäischen Migrationssystems geschaffen werden, die einen rechtlich abgesicherten Aufenthaltsstatus sowie ein hohes Maß an sozialen Rechten garantieren. Über die Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme in der EU sollten präzise Informationen und Informationsangebote in Drittstaaten zur Verfügung gestellt“ werden. Außerdem solle die „Eröffnung legaler Wege in die EU nicht (...) von Grenzschutz und Migrationskontrolle durch Drittstaaten abhängig gemacht“ werden.

In der Halbzeitbewertung zur Europäischen Migrationsagenda und im entsprechenden Fahrplan vom Dezember 2017 (siehe nachfolgender Artikel) greift die EU-Kommission das Thema legale Migration in Form von Pilotprojekten auf, allerdings sehr zaghaft. Ebenso wie in Deutschland ein Einwanderungsgesetz überfällig ist, bräuchte die EU endlich eine abgestimmte, rechtebasierte und umfassende Migrationspolitik. Auch wenn die Projektidee in der Halbzeitbewertung der Migrationsagenda immerhin ein kleiner Anfang ist, langfristig und nachhaltig lässt sich das Thema Migration auf Projektbasis nicht angehen. Auch bei den Herkunfts- und Transitländern sorgt dieses Zaudern nicht für mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die EU, zumal gerade in Afrika und im Nahen Osten Player wie China, aber auch Russland verstärkt auf dem Vormarsch sind, die u.a. auch durch Entwicklungshilfe ihren Einfluss in der Region ausbauen. Längst ist allen Beteiligten klar, dass Migrationsbewegungen zu einem politischen Druckmittel werden können. Die Staaten Afrikas und des Nahen Ostens mit ihrem rasanten Bevölkerungswachstum und den meist instabilen politischen Rahmenbedingungen sind daher bei Weitem nicht länger Bittsteller um Hilfsgelder, sondern nutzen den Wettbewerb der Europäer, Chinesen, Russen und Amerikaner um die Vormacht in den Regionen durchaus geschickt. Mit Migrationskontrolle allein wird die EU in dieser Gemengelage auf Dauer nicht bestehen können. Nötig wäre daher eine gemeinsame europäische Politik, die Migration gestalten und als Chance wahrnehmen will.

Die Stellungnahme der christlichen Organisationen finden Sie unter: http://www.ekd.eu/156-AuM-PEUMig-Link1

Den vollständigen Synodenbeschluss finden Sie hier: http://www.ekd.eu/56-AuM-PEUMig-Link2

 

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