Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa -Informationen Nr. 156

Die Kohäsionspolitik post-2020 nimmt Konturen an

Ulrike Truderung

Mit Spannung wird in Brüssel der für Mai 2018 angekündigte Vorschlag der Europäischen Kommission für einen europäischen Haushalt nach 2020 erwartet. Dieser hätte planmäßig eigentlich bereits Ende 2017 vorgelegt werden sollen, wurde dann aber aufgrund des Brexit-Votums Großbritanniens und der daraus resultierenden Unklarheiten über die Höhe des zukünftigen EU-Haushalts und die Art und Nähe der zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs mit der Europäischen Union auf Mai 2018 verschoben (siehe Europa-Informationen 154). Dennoch treten bereits jetzt einige Entwicklungen immer klarer hervor, die Hinweise darauf geben, welche Richtung der EU-Haushalt im Allgemeinen und die Kohäsi-onspolitik im Speziellen ab dem Jahr 2021 einschlagen werden.

Finanzierung des zukünftigen Haushalts

Zwar sind die Brexit-Verhandlungen – und damit die Frage, inwiefern sich das Vereinigte Königreich zukünftig an einzelnen EU-Förderprogrammen und -Initiativen beteiligen wird – derzeit noch immer nicht geklärt, jedoch zeichnet sich ab, dass in jedem Fall mit massiven Kürzungen im EU-Haushalt zu rechnen ist. Denn mit dem Austritt Großbritanniens wird weiterhin mit jährlich rund 10 Milliarden Euro weniger im EU-Haushalt gerechnet, während auf politischer Ebene neue Initiativen wie die Idee einer europäischen Verteidigungsunion, Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung zur Bekämpfung des Klimawandels vorangetrieben werden (siehe Europa-Informationen 154, 155). Die Streckung eines bereits gekürzten EU-Haushalts auf neue Handlungsfelder würde unweigerlich Kürzungen nach sich ziehen müssen. 

Medienberichten zufolge zirkulieren daher innerhalb der Europäischen Kommission Berechnungen, wonach innerhalb der europäischen Kohäsionspolitik der Rotstift bei 15% oder gar 30% der bisherigen Ausgaben angesetzt werden könnte. Unter diesen Umständen, so die Argumentation, könnten Gelder aus der Europäischen Kohäsionspolitik nur noch an die am wenigsten entwickelten Regionen fließen, Länder wie Deutschland oder Frankreich würden dann vollständig aus der Forderung herausfallen. Diese Gedankenspiele sind vor allem als ein Weckruf an eben diese (größten Nettozahler-) Länder zu verstehen, dass zum Erhalt der europäischen Kohäsionspolitik und zur Erreichung der ambitionierten politischen Zielsetzungen innerhalb der EU eine Erhöhung des Budgets unabdingbar sein wird. Bislang waren gerade aus Deutschland – wie auch aus anderen Mitgliedstaaten wie beispielsweise Dänemark – eher negative Signale bezüglich einer Budgeterhöhung zu vernehmen. Nicht von Vorteil ist in dieser Situation natürlich die geschwächte Position der derzeitigen geschäftsführenden deutschen Bundesregierung, denn auf „Weckrufe“ kann nur eine handlungsfähige Regierung angemessen reagieren.

Als Alternative zu derartigen massiven Kürzungen würde sich freilich eine Erhöhung des EU-Haushalts anbieten. Die Kommissarin für Regionalpolitik Corina Cretu erklärte am 15. November 2017 vor dem Europäischen Rat, dass eine Erhöhung des Haushalts von derzeit 1% auf 1,2% des BIP der Mitgliedstaaten ausreichen würde, um die derzeitige Politik weiterzuführen und gleichzeitig auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Nach Vorstellungen des Kommissars für den EU-Haushalt, Günther Oettinger, sollten dabei zur Deckung des finanziellen Bedarfs einerseits die Beiträge der Mitgliedstaaten erhöht als auch neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. Idealerweise sollten 50% des Fehlbedarfs aus neuen Finanzierungsquellen gedeckt werden, die restlichen 50% aus Beitragserhöhungen, so Oettinger auf der Konferenz zur Zukunft der EU-Finanzen am 25. September 2017 in Brüssel. Zu denkbaren neuen Finanzierungsquellen gehören unter anderem eine europäische Finanztransaktionssteuer, Abgaben für Elektrizität und Kraftstoffe, körperschaftssteu-erbasierte Einnahmequellen oder Einnahmen aus dem angedachten Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystem (ETIAS) (siehe Europa-Informationen 155).

Konditionalitäten

Während seiner Sitzung am 15. November 2017 hat der Europäische Rat auch über die Einführung von Ex-ante-Konditionalitäten, also von Bedingungen, die vor der Zuteilung von Geldern aus der EU-Kohäsionspolitik von den Mitgliedstaaten erfüllt sein müssen, diskutiert. Diskutiert wurde dabei die Möglichkeit zur Einführung makroökonomischer Konditionalitäten – also eine Kopplung der europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) in einem Mitgliedstaat an die Einhaltung der Vorschriften im Bereich der wirtschaftspolitischen Steuerung. Eine abschließende Einigung wurde dabei nicht erzielt. Darüber hinaus wurde über die Möglichkeit debattiert, die Zuweisung von Mitteln der Kohäsionspolitik an die einzelnen Mitgliedstaaten an politische Voraussetzung wie die Einhaltung rechtstaatlicher Grundsätze zu binden. Letzterer Vorschlag war in der Vergangenheit seitens der Mitgliedstaaten des Öfteren in Verbindung mit politischen Entwicklungen in Polen und Ungarn geäußert worden, entbehrte jedoch in der laufenden Haushaltsperiode der rechtlichen Grundlage. Wenig überraschend war daher auch, dass die Vertreter Polens und Ungarns die Einführung rechtstaatlicher Konditionalitäten zurückwiesen und anregten, die Kohäsionspolitik nicht auf Strafmaßnahmen aufzubauen, sondern vielmehr Anreize zur Reform zu bieten. Befürworter rechtstaatlicher Konditionalitäten fanden sich hingegen in Deutschland, Italien, Schweden, Frankreich und Belgien.

Vereinfachung der Kohäsionspolitik

Währenddessen wurde am 12. Dezember 2017 eine Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union in Bezug auf die Vereinfachung der Kohäsionspolitik im Rahmen der geplanten Omnibus-Verordnung (siehe Europa-Informationen 154) erzielt. Demnach sollen Verwaltungskosten in Projekten pauschal abgerechnet werden können und innerhalb von Projekten mit einem Volumen von unter 400.000 Euro getätigten Ausgaben nur noch einmal kontrolliert werden müssen (bislang waren mehrere Prüfungen innerhalb eines Projekts üblich). Darüber hinaus soll die Sichtbarkeit der europäischen Kohäsionspolitik erhöht werden – Bürgerinnen und Bürger sollen also stärker darüber informiert werden, wie und wo die Europäische Union in die Regionen investiert und welchen Nutzen die Bürgerinnen und Bürger daraus ziehen. Zukünftig sollen daher rund 15 % der Mittel, die für die technische Hilfe zur Verfügung stehen – also für die Verwaltung von Fördermitteln aus ESIF – für Maßnahmen zur Information über Erfolge der Kohäsionspolitik eingesetzt werden.

ESF oder Humankapitalfonds?

Für Aufsehen sorgten auch Über-legungen innerhalb der Europäi-schen Kommission, den Europäi-schen Sozialfonds (ESF) zusammen mit dem Programm für Beschäftigung und Soziale Innovation (EaSI), der Jugendbeschäftigungsinitiative (YEI) und dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen (EHAP) zu einem gemeinsamen Dachfonds („Humankapitalfonds“ / „ESF+“) zusammenzulegen. Dieser soll nach Vorstellungen der Kommission aus drei Säulen bestehen:
1. Investitionen in Personen (dies sollte vor allem den Bereich des ESF, der YEI und des EHAP abde-cken); 2. Anreize zur politischen Reform (hier würden vor allem Maßnahmen verankert, die die Umsetzung von Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters vorsehen); 3. Die Unterstützung von priorisierten Maßnahmen der EU, die nicht anderweitig finanziert werden können sowie sozialpolitische Experimente. Diese Säule dürfte vor allem Elemente des derzeitigen Programms für Be-schäftigung und Soziale Innovation (EaSI) aufgreifen.

Zu beachten ist, dass es sich hierbei noch um vorläufige Überlegungen der Kommission handelt, eine entsprechende Zusammenlegung der vier Fonds und Programme unter einem „ESF+“-Dachfonds ist noch nicht beschlossen und dürfte auch von Parlament und Rat kontrovers diskutiert werden. In diesen Überlegungen spiegelt sich allerdings ein Trend zur Bündelung bestehender Förderprogramme wider, wie sie in der laufenden Haushaltsperiode bereits im Fall von EaSI selbst (ähnlich auch im Bildungsprogramm Erasmus+) stattgefunden hat.

Zum zukünftigen mehrjährigen Finanzrahmen soll bereits im Januar von der Kommission erneut eine hochrangige Konferenz („Designing the Next Multiannual Financial Framework“) stattfinden, auf der neue Erkenntnisse zum zukünftigen EU-Haushalt zu erwarten sind. Wie gewohnt werden Sie in den Europa-Informationen über neue Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.

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