Europa - Informationen Nr. 159
Leitartikel: Junge Menschen und die Europawahlen
Dorothee Ammermann (Referentin für Bildung und Jungend)
Vom 23.-26. Mai 2019 jähren sich die Direktwahlen zum Europäischen Parlament zum neunten Mal. In Deutschland wird die Wahl am 26. Mai 2019 stattfinden. Erstmals werden dabei nur noch Bürgerinnen und Bürger aus 27, statt bislang 28 Mitgliedstaaten abstimmen dürfen.
Die vergangenen Wahlen zum Europäischen Parlament und die Abstimmung über den Brexit am 26. Juni 2016 hatten dabei eines gemeinsam: Es zeigte sich, dass junge Menschen kaum an Abstimmungen teilnehmen. Waren es beim Brexit immerhin noch 36% der 18 bis 24-Jährigen, die sich an der Abstimmung beteiligten, gingen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 gerade einmal 27% der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren an die Urne. In Deutschland waren es immerhin 29% der gleichen Altersgruppe, so ein Bericht in der Progressive Post vom 5. November 2018. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gingen junge Menschen in Deutschland um knapp 19 Prozentpunkte, in Europa um knapp 15 Prozentpunkte seltener zur Wahl als die Gesamtbevölkerung. Dies ist insbesondere dramatisch, da die Gruppe der bis 25- Jährigen in Deutschland wie in der gesamten EU etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellt.
Die Tatsache, dass Europas Jugend kaum zur Wahl geht, ist jedoch auf den ersten Blick sehr verwunderlich, denn die jungen Europäerinnen und Europäer sind deutlich EU-freundlicher eingestellt als die europäische Gesamtbevölkerung. Dies lässt sich exemplarisch mit einigen Umfragedaten belegen:
52% der 15 bis 24-Jährigen gaben in einer Umfrage des Eurobarometers an, ein (eher) positives Bild von der EU zu haben, während dies in der europäischen Gesamtbevölkerung nur 40% der Menschen genauso sahen. Innerhalb Deutschlands gaben sogar 66% der 15 bis 24-Jährigen an, ein (eher) positives Bild von der EU zu haben. In der gesamten deutschen Bevölkerung teilten diese Ansicht wiederum nur 49% der Menschen. Ein ähnliches Bild zeigte sich in der Eurobarometerumfrage auch bei der Frage danach, ob mehr oder weniger Entscheidungen auf der europäischen Ebene getroffen werden sollten. Hier gaben 63% der 15 bis 24-Jährigen an, sich mehr Entscheidungen auf der europäischen Ebene zu wünschen, während dies auf der gesamteuropäischen Ebene nur bei 55% der Fall war. Ähnlich fällt das Bild auch aus, betrachtet man nur die deutsche Bevölkerung. Hier sprachen sich 71% der 15 bis 24- Jährigen und 59% der Gesamtbevölkerung für mehr Entscheidungen auf der europäischen Ebene aus.
77% der 15 bis 24-jährigen Deutschen bzw. 67% der 15 bis 24-jährigen Europäer sind zudem der Meinung, dass das Projekt Europa jungen Menschen eine Zukunftsperspektive bietet.
Eine stark pro-europäische Einstellung findet sich innerhalb Deutschlands dabei nicht nur bei westdeutschen Jugendlichen. In einer Studie des Landes Brandenburgs vom Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e.V. aus dem Jahr 2017, in der Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 22 Jahren befragt wurden, gaben 77,8% an, stolz darauf zu sein, Europäer zu sein. 93,6% sprachen sich außerdem dafür aus, dass Deutschland Mitglied in der Europäischen Union bleiben solle.
Trotz dieser grundsätzlich europafreundlichen Einstellung der Jugendlichen in Europa lassen sich jedoch auch Gründe erkennen, warum die Jugend Europas nicht zur Wahl geht oder in Teilen EU-ablehnende Positionen einnimmt. Zwar ist diese Erklärung mit Sicherheit nicht abschließend und doch wird deutlich, dass junge Menschen sich in Europa oft nicht (genug) wahrgenommen, berücksichtigt oder gar beteiligt sehen.
So gaben in der Eurobarometerumfrage aus dem Frühjahr 2018 beispielshalber nur 57% der 15 bis 24-jährigen Deutschen an, das Gefühl zu haben, dass ihre Stimme in der EU etwas zähle. In der deutschen Gesamtbevölkerung hatten hingegen immerhin 65% der Personen denselben Eindruck. Auf gesamteuropäischer Ebene hingegen hatten insgesamt nur 45% der jungen Menschen sowie der Gesamtbevölkerung, die Ansicht, dass ihre Stimme in der EU zähle.
In einer Studie der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) vom November 2018 unter dem Titel „Think young: Millenial Dialogue on Europe- Shaping the new EU Agenda“ gaben darüber hinaus 55,5% der Befragten 18 bis 35-Jährigen an, den Eindruck zu haben, dass sich Politikerinnen und Politiker und politische Parteien nicht für die Bedürfnisse und Meinungen junger Menschen interessierten. 31% der jungen Menschen in dieser Studie von der den europäischen Sozialdemokraten nahestehen politischen Stiftung, glaubten sogar, dass die Positionen älterer Generationen durch die Politik der Meinung der jungen Generation vorgezogen würden.
Vermutlich nicht zuletzt deswegen gaben wiederum 85% der, in der Studie Befragten an, sich eine bessere Einbindung junger Menschen in die politischen Entscheidungen der Europäischen Union zu wünschen. 89% der Jungen wünschten sich in der Studie zudem eine bessere Kommunikation der Politik darüber, was die EU tut und wie ihre Entscheidungen das tägliche Leben beeinflussen.
Zugleich ist in diesem Kontext auch erwähnenswert, dass in Deutschland leicht weniger Jugendliche mit ihrem Leben in der EU zufrieden sind, als dies bei der deutschen Gesamtbevölkerung der Fall ist (86% gegenüber 89%). Dies sind zwar grundsätzlich recht hohe Zustimmungswerte, zugleich bedeuten sie jedoch auch, dass jeder siebte deutsche Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren mit seinem Leben in der EU unzufrieden ist.
Wie können nun also Lösungen gefunden werden diesen Teufelskreis aus niedriger Wahlbeteiligung junger Menschen und der mindestens subjektiv niedrigen Wertschätzung der jungen Generation zu durchbrechen und so zu verhindern, dass eine geringe Wahlteilnahme der jungen Generation auch zu einer geringen Repräsentanz junger Menschen innerhalb der EU führt?
Einige Antworten liefern dafür die bereits oben beschriebenen Antworten junger Menschen selbst. Sie wollen echte Beteiligung an den politischen Prozessen innerhalb der EU und eine bessere Kommunikation von europapolitischen Entscheidungen und deren Auswirkungen durch die Politik. Dabei könnte die Umsetzung mindestens der letzten Forderung auch in der Gesamtbevölkerung allgemein zu Akzeptanzsteigerung im Hinblick auf die Europäische Union führen. Auch mehr Transparenz der europäischen Willensbildung- und Entscheidungsfindung würde mit Sicherheit ihr übriges tun.
Im Kontext der Forderung nach mehr Wertschätzung und Teilhabemöglichkeiten junger Menschen innerhalb der Europäischen Union könnte zudem über die Absenkung des Wahlalters nachgedacht werden, für die sich z.B. die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend (aej) und der Deutsche Bundesjugendring als Dachverband der deutschen Jugendverbände einsetzen.
Weiterhin sollten auch die inhaltlichen Forderungen junger Menschen in Europa wahr- und ernst genommen werden, denn junge Menschen haben oft strukturell andere Bedürfnisse als die Gesamtbevölkerung. Ausdruck dessen sind beispielsweise die Wahlergebnisse der vergangenen Europawahl im Jahr 2014. Hier zeigte sich, dass die jungen Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 29 Jahren deutlich weniger stark CDU/CSU (28% gegenüber 35,3%) und SPD (20% gegenüber 27,3%) gewählt haben. Auch das Wahlergebnis der FDP fiel in der jungen Gruppe leicht schwächer aus (2% gegenüber 3,4%). Dem gegenüber fiel das Wahlergebnis der Grünen bei der jungen Zielgruppe deutlich stärker aus, als in der Gesamtbevölkerung (17% gegenüber 10,7%). Auch die Linke (8% gegenüber 7,4%) und die kleineren Parteien (18% gegenüber 8,8%) konnten in dieser Zielgruppe stärkere Ergebnisse einfahren. Das Wahlergebnis der AfD war mit 7,1% bei den Jugendlichen genauso hoch, wie innerhalb der Gesamtbevölkerung.
Noch drastischer fällt die positionelle Veränderung gegenüber der Gesamtbevölkerung aus, betrachtet man die Daten der vergangenen deutschlandweiten U18-Wahl, einer vom Deutschen Bundesjugendring (DBJR) veranstalteten simulierten Wahl für junge Menschen unter 18. Hierbei zeigte sich bei den vergangenen Europawahlen 2014, dass hier die Parteien CDU/CSU (24,31% gegenüber 35,3%), SPD (18,89% gegenüber 27,3%) und AfD (2,60% gegenüber 7,1%) drastische Verluste gegenüber dem Ergebnis der Gesamtbevölkerung erlitten haben. Auch die FDP musste leichte Verluste hinnehmen (2,6% gegenüber 3,4%). Deutliche Gewinner waren in der Gruppe der unter 18- Jährigen hingegen die Grünen (18,77% gegenüber 10,7%) und sonstige Parteien (25,4% gegenüber 8,8%). Auch die Linke (7,79% gegenüber 7,4%) konnte leichte Gewinne verzeichnen.
Diese Wahlergebnisse könnten dabei Ausdruck dafür sein, dass einige Parteien es sehr viel besser als andere schaffen zielgruppenadäquate Angebote für junge Menschen zu formulieren und/oder diese anzusprechen und/oder zu mobilisieren.
Ansprache und Mobilisierung ist darüber hinaus auch ein weiterer wichtiger Punkt der dazu beitragen könnte, die Wahlbeteiligung junger Menschen zu erhöhen. Dies hat sich auch die EKD-Synode mit ihrem Beschluss zu den Europawahlen vom 14. November 2018 auf die Agenda geschrieben. Hier heißt es, die EKD und ihre Gliedkirchen seien dazu aufgerufen, sich aktiv an der Debatte um die Zukunft der EU zu beteiligen und innerhalb der Kirchen Foren für Diskussionen über die Frage zu schaffen, welches Europa wir vor dem Hintergrund christlicher Grundüberzeugungen wollen. Außerdem sollen insbesondere junge Wählerinnen und Wähler zur Teilnahme an der Europawahl motiviert werden. Hierzu bereitet das EKD-Büro in Brüssel genauso wie die aej gerade einige Materialien vor. So wird es von Seiten der EKD-Vertretung z.B. wieder eine Handreichung zu den Wahlen geben. Zahlreiche Gliedkirchen und evangelische Einrichtungen haben zudem öffentliche Diskussionsrunden zur Zukunft der EU geplant.
Die aej wird unter anderem mit einer Social Media Kampagne auf die Europawahlen aufmerksam machen. Doch auch von europäischer Seite stehen mit den Web-Angeboten „What Europe does for me“ (siehe Rubrik „Kurze Meldungen“) und „Diesmal wähle ich“ Materialien zur Verfügung mit denen (unter anderem) junge Menschen für die Wahl sensibilisiert werden können.
Zudem verspricht ein Ausblick auf die kommenden Europawahlen im Mai 2019 mit Bezug auf die Wahlbeteiligung junger Menschen Besserung. Dies lassen zumindest die Ergebnisse der FEPS-Studie vermuten. Hierbei zeigte sich, dass zum Befragungszeitraum 27. August bis 12. September 2018 bereits 68,5% der Befragten jungen Menschen wussten, dass es im kommenden Jahr die Europawahl geben würde. Des Weiteren gaben 76,4% der Befragten an zur Wahl gehen zu wollen. Weitere 14,9% der Befragten waren noch nicht sicher, ob sie teilnehmen würden. Allerdings gaben auch 6,6% der Befragten an nicht zur Wahl gehen zu wollen.
Die Links zu den zitierten Eurobarometerumfragen finden Sie hier:
„Spezial Eurobarometer 467 – Die Zukunft Europas“, November 2017, http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/ResultDoc/download/DocumentKy/83297.
„Standard-Eurobarometer 89 – Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union“, März 2018, http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/ResultDoc/download/DocumentKy/83547
Näheres zur U18-Wahl hier:
https://www.u18.org/fileadmin/user_upload/U18-Europawahl_2014/Broschuere_DBJR_u18_LowRes.pdf
Den Beschluss der EKD-Synode finden Sie unter:
https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/02_II_2_Europawahl.pdf
Mehr zu „Diesmal wähle ich“ unter: www.diesmalwaehleich.eu