Europa - Informationen Nr. 159
Das Geld und die Regionen – quo vadis Kohäsionspolitik
Ulrike Truderung
Die Europäische Kohäsionspolitik gehört wohl zu den Politikbereichen, die am stärksten von den Verzögerungen in der Verabschie-dung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2021-2027 betroffen sein werden. Unstrittig ist zwar, dass die Kohäsionspolitik an sich weitergeführt werden wird – aber der Umfang der Mittelausstattung und damit auch die Zuteilung von Geldern aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) oder dem Kohäsionsfonds an die einzelnen Regionen Europas ist maßgeblich abhängig von dem Gesamtbudget, auf welches sich der Europäische Rat und das Europäische Parla-ment (EP) einigen werden.
Dabei ist kaum noch etwas übrig vom ambitionierten Zeitplan des Parlaments und der Europäischen Kommission, die Verhandlungen zum zukünftigen MFR noch vor der Wahl zum EP im Mai 2019 und den damit verbundenen, aufgrund der Neukonstituierung des EP sowie der Formierung des neuen Kommissionskollegiums erwartbaren zeitlichen Verzögerungen abschließen zu können. Die österreichische Ratspräsidentschaft legte die Schwerpunkte ihrer Arbeit klar auf andere Themen, so dass die Verhandlungspositionen im Rat bislang noch nicht weit gediehen sind – noch immer sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten, welche das EU-Budget insgesamt erhöhen oder auf dem von der Kommission vorgeschlagenen Niveau halten möchten, und jenen Mitgliedstaaten, die das Budget weiter gekürzt sehen möchten, ungeklärt. In Bezug auf die Kohäsionspolitik besteht zusätzlich nicht nur Uneinigkeit über das Gesamtvolumen der einzelnen Struktur- und Investitionsfonds, sondern auch darüber, wie hoch die konkrete Mittelzuweisung an die einzelnen Mitglied-staaten sein soll.
Auch auf Seiten des EP verzögert sich der Prozess, trotz oder gerade wegen des hohen Engagements der Abgeordneten in dieser Frage: So erhielt die Berichterstatterin zur sogenannten Dachverordnung, Constanze Krehl (S&D/Deutschland) von ihren Kolleginnen und Kollegen im EP über 2.000 Änderungsanträge zu der Verordnung, die gemeinsame Bestimmungen für eine Reihe von Fonds erlassen soll (EKD-Europa-Informationen Nr. 158). Die Abstimmung auf Ausschussebene wurde ob dieser schieren Menge an Anträgen auf die zweite Januarhälfte 2019 verschoben.
Dachverordnung
Der Kommissionsvorschlag für die sogenannte „Dachverordnung“ wurde von der Berichterstatterin gehörig zurechtgestutzt. Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), der nach Vorstellungen der Kommission aus der Reihe der EU-Strukturfonds wieder in die erste Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik verschoben werden sollte, wird von ihr unter die gemeinsamen Bestimmungen der Dachverordnung gestellt. So sollen die Synergien insbesondere zwischen ELER, EFRE und ESF+ in der kommenden Förderperiode beibehalten werden. Auch das Programm LEADER, welches im Rahmen des ELER zur lokalen Entwicklung im ländlichen Raum eingesetzt wird, wird von ihr im Rahmen der Dachverordnung ausdrücklich gestärkt. Die Berichterstatterin schlägt weiterhin vor, die Kofinanzierungssätze in den Strukturfonds – die im Kommissionsvorschlag im Vergleich zur laufenden Haushaltsperiode gesenkt werden sollten – auf dem derzeitigen Niveau beizubehalten. Das Partnerschaftsprinzip, welches besagt, dass die Mitgliedstaaten unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure in die Gestaltung und Umsetzung der Operationellen Programme einbeziehen müssen, wird in ihrem Bericht weiter gestärkt. Die Abstimmung über den Bericht soll im Ausschuss für regionale Entwicklung (REGI) voraussichtlich am 21. Januar 2019 stattfinden.
Bei den spezifischen Verordnungsentwürfen zu den einzelnen Fonds lassen sich Fortschritte erkennen. Ungeachtet der Tatsache, dass wohl nicht mehr damit zu rechnen ist, dass die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen noch vor den Europawahlen im Mai 2019 zum Abschluss kommen werden, will das Parlament alle Berichte zu den einzelnen Förderprogrammen pünktlich vor der Wahl abgeschlossen haben. So sollen die jeweiligen Positionen des EP noch vor der Wahl festgeklopft werden, so dass die Trilogverhandlungen im Prinzip nach der Konstituierung des neuen Parlaments starten könnten. Am 27. November 2018 stimmte der Ausschuss für Beschäftigung (EMPL) des EP über den Bericht zum ESF+ ab, der REGI-Ausschuss am 3.Dezember 2018 über den Bericht zu Interreg. Mit der Annahme des Berichts zum EFRE im REGI-Ausschuss wird im Januar 2019 gerechnet. Alle Berichte müssen danach noch im Plenum verabschiedet werden.
In dem am 27. November 2018 angenommenen Bericht zum ESF+ unter der Federführung der Berichterstatterin Verónica Lope Fontagne (EVP/Spanien) fordern die Abgeordneten im EMPL-Ausschuss unter anderem, dass die Mitgliedstaaten 27% ihrer ESF+-Mittel für Maßnahmen zur Sozialen Inklusion zur Verfügung stellen müssen (der Entwurf der Kommission hatte 25% vorgesehen). Zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten mindestens 3% (statt, wie von der Kommission vorgeschlagen, 2%) ihrer ESF+-Gelder für die soziale Inklusion der am stärksten von Armut betroffenen Personen vorsehen – dies entspricht der Thematik des Europäischen Hilfsfonds für die am meisten von Armut betroffenen Personen (EHAP), der zukünftig im ESF+ aufgehen soll. Vertreter der deutschen Wohl-fahrtsverbände hatten ursprünglich gefordert, 4% der ESF+-Gelder für diesen Zweck einzusetzen, was einer Beibehaltung des Fördervolumens für den EHAP gleichgekommen wäre. Ebenfalls soll für die soziale Inklusion der am meisten von Armut betroffenen Personen eine erhöhte Kofinanzierungsrate von 85% gelten, um die geltende Kofinanzierungsrate im EHAP beizubehalten und diese nicht an die deutlich niedrigeren, anderweitig im ESF+ geltenden Raten anpassen zu müssen. Personenbezogene Angaben der Teilnehmenden in ESF+-geförderten Projekten, deren Erhebung in der laufenden Förderperiode die Projektträger teilweise vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt hatte, sollen künftig auch anonym und auf freiwilliger Basis von den Teilnehmenden erhoben werden können. Zum Teil soll alternativ zur Datenabfrage eine Schätzung durch die Projektmitarbeitenden stattfinden können. Ferner sollen im ESF+ als neue Zielsetzungen der Förderung auch der Zugang zu Wohnraum sowie die Bekämpfung von Energiearmut eingeführt werden.
EFRE
Die Verhandlungen innerhalb des REGI-Ausschusses des EP zum EFRE sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Vorgeschlagen werden in der Dachverordnung fünf „Spezifische Ziele“, zu denen alle betroffenen Fonds, also auch der EFRE, beitragen sollen. Diese Spezifischen Ziele werden in der EFRE-Verordnung näher erläutert:
Ein „smarteres“ Europa: Dies beinhaltet insbesondere die Bereiche Forschung & Entwicklung, Digitalisierung, die Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen und des Unternehmertums;
Ein grüneres Europa: Anvisiert werden hier insbesondere Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes, der Energieeffizienz und zur Anpassung an den Klimawandel;
Ein besser vernetztes Europa: In diesem Bereich sollen insbesondere Maßnahmen unterstützt werden, die die Verbesserung der digitalen Vernetzung sowie der Infrastruktur im Verkehrsbereich zum Ziel haben;
Ein sozialeres Europa: Dieses Ziel beinhaltet Maßnahmen zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, unter anderem durch eine verstärkte Effizienz des Arbeitsmarktes und Zugang zu hochqualitativer Beschäftigung durch soziale Innovation und soziale Infrastrukturen, dem verbes-serten Zugang zu inklusiven und hochqualitativen sozialen Dienstleistungen, die Verbesserung der sozioökonomischen Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen sowie durch einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem;
Ein bürgernäheres Europa: Hier sollen insbesondere Maßnahmen der Stadt- und Raumentwicklung mit besonderem Augenmerk auf sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Raumentwicklung im städtischen und ländlichen Bereich umgesetzt werden.
Laut dem EFRE-Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission sollen Mitgliedstaaten, die ein Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf von 100% des EU-Durchschnitts oder mehr aufweisen – hierzu zählt auch Deutsch-land – mindestens 85% ihrer insgesamt zugewiesenen EFRE-Mittel auf die Spezifischen Ziele 1 (Innovation) und 2 (Umwelt- und Klimaschutz) verwenden, dabei sollen mindestens 60% ihrer EFRE-Mittel in Spezifisches Ziel (1) fließen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Deutschland für die Spezifischen Ziele 3 (Verkehr und digitale Infrastruktur), 4 (Soziales) und 5 (integrierte Stadt- und Raumentwicklung) also insgesamt maximal 15% seiner gesamten EFRE-Mittel verwenden könnte. Auch für weniger wohlhabende Mitgliedstaaten ist eine verstärkte Fokussierung auf die Ziele 1 und 2 vorgesehen, wenn auch zu geringeren prozentualen Anteilen der EFRE-Gesamtmittel.
Diese „thematische Fokussierung“ ist im Parlament nicht unumstritten. Der Berichterstatter, Andrea Cozzolino (S&D/Italien), schlug in seinem Bericht daher vor, dass Mitgliedstaaten in begründeten Fällen bis zu 10% ihrer Mittel aus der thematischen Fokussierung herausnehmen und für eins oder mehrere der verbleibenden Ziele einsetzen können. Gleichzeitig schlug er allerdings auch vor, dass wohlhabendere EU-Mitgliedstaaten sogar mindestens 30% ihrer EFRE-Mittel auf das Ziel 2 verwenden sollten, so dass insgesamt 90% der Mittel für Ziel 1 und 2 gebunden wären. Andere Abgeordnete plädierten in ihren eingereichten Änderungsanträgen wiederum dafür, die Gesamtmenge der durch die thematische Fokussierung auf Ziel 1 und 2 gebundenen Ziele zu senken. Schlussendlich wird es in diesem Kontext auch entscheidend sein, wie die Operationellen Programme, sprich die EFRE-Programme auf nationaler und regionaler Ebene, von den Mitgliedstaaten selbst ausgestaltet werden, insbesondere im Hinblick darauf, welche Rolle Investitionen in soziale Infrastruktur im Rahmen des EFRE haben soll. Aus Sicht des EKD-Büros Brüssel sollte in jedem Fall darauf hingewirkt werden, dass auch in den auf Bundeslandebene verwalteten zukünftigen EFRE-Programmen eine soziale Komponente verankert wird und ESF+-Maßnahmen so durch In-vestitionen im Rahmen des EFRE flankiert werden.
Interreg
Auch die zukünftigen Interreg-Programme sollen sich laut dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur Europäischen Territorialen Zusammenarbeit, kurz Interreg, thematisch an den fünf spezifischen Zielen der EFRE-Verordnung ausrichten, genießen dabei allerdings eine höhere Flexibilität. So sollen die Programme maximal drei der fünf Ziele beinhalten und auf diese mindestens 60% ihrer Fördergelder verwenden, die jeweiligen Ziele können allerdings frei gewählt werden. Zusätzlich sollen die Programme verpflichtet sein, mindestens 15% ihrer Fördermittel auf eines von zwei vorgegebenen „Interreg-spezifischen Zielen“, nämlich „Verbesserte Verwaltung“ oder „Ein si-chereres Europa“, zu verwenden.
Die Europäische Kommission hatte in ihrem Verordnungsvorschlag zu Interreg zum Teil erhebliche Umstrukturierungen vorgesehen. So sollten grenzüberschreitende Programme entlang von Seegrenzen – in Deutschland beträfe dies unter anderem das Programm Südliche Ostsee – unter die Überschrift „transnationale Zusammenarbeit“ untergeordnet wer-den, was Auswirkungen auf die Art der geförderten Projekte gehabt hätte und die Antragstellung insbesondere für kleinere Projekte erschweren würde. Das Parlament lehnte in seinem Bericht nun im REGI-Ausschuss eine solche Um-strukturierung ab.
Weiterhin schlug die Europäische Kommission vor, „Interregionale Innovationsinvestitionen“ als Bestandteil des Interreg-Programms einzuführen. Diese Investitionen sollen laut dem Verordnungsentwurf unter direkter Mittelverwaltung der Kommission stehen, bleiben in dem Entwurf aber in ihrer Definition undeutlich. Sowohl innerhalb des Parlaments als auch bei den Mitgliedstaaten stieß dieser Vorstoß auf die Kritik, dass solche Innovationsinvestitionen nicht dem Grundgedanken von Interreg entsprächen. So sprach sich der Deutsche Bundesrat in einer Stellungnahme dafür aus, dieses Modell insgesamt aus der Verordnung zu entfernen und die dafür vorgesehenen Gelder in die bestehenden Interreg-Programme zurückzuführen.
Es geht also voran in der Debatte um das zukünftige EU-Budget, aber eine Einigung vor der Europawahl erschien schon immer hochambitioniert und ist derzeit nicht mehr realistisch. Dies bedeutet aber auch, dass eine mindestens einjährige Förderlücke nach 2020, wie sie bereits zu Beginn der laufenden Förderperiode im Jahr 2014 zu beobachten war, immer wahrscheinlicher wird. Erneut scheint sich die alte EU-Weisheit zu bewahrhei-ten, dass maßgebliche Entscheidungen auf europäischer Ebene, und insbesondere die Verhandlung eines neuen Budgets, ohne Zeitdruck nicht gelingen.
Den Bericht des EP zum ESF+ finden Sie unter: http://bit.ly/ekd-NL-159_EU-Fp-4
Die Berichte des EP zu Interreg, EFRE und zur Dachverordnung waren zu Redaktionsschluss noch nicht online bzw. noch nicht abgeschlossen