Europa - Informationen Nr. 159
Vom Löwen zum Bettvorleger? Die ehrgeizige Frontex-Reform gerät ins Stocken
Damian Patting
„Außengrenzen müssen effizienter geschützt werden. Deshalb schlagen wir vor, die Zahl europäischer Grenzschutzbeamter, die vom europäischen Haushalt finanziert werden, bis zum Jahre 2020 auf 10.000 Grenzschützer zu erhöhen.“ Mit diesem Statement, das dem derzeitigen politischen Trend entsprechend auf mehr Rückführung und Abschottung abzielt, hatte Kommissionspräsident Juncker am 12. September 2018 eine Änderung des Mandats für die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) angekündigt.
Ganz im allgemeinen Tenor aus den europäischen Hauptstädten, die nach mehr Sicherungsmaßnahmen für die EU-Außengrenzen verlangen, sieht der Änderungsvorschlag der EU-Kommission eine Erweiterung der sog. ständigen Reserve – einer europäischen Einsatztruppe von Grenzschutzkräften – auf 10. 000 vor. Während die Entsendung nationaler Einsatzkräfte nach bislang geltendem Recht freiwillig erfolgte, soll die Entsendung sich nach dem Willen der EU-Kommission nach einem verpflichtenden Verteilungsschlüssel richten. Die Einsatzkräfte sollen zudem mehr Befugnisse erhalten. Diese sollen etwa Personenkontrollen oder die Verweigerung der Ein- oder Ausreise umfassen, aber auch den Waffengebrauch durch Agenturpersonal im Notfall einschließen. Zwar soll dies nicht bedeuten, dass künftig die Grenzen unter aktivem Einsatz von Waffengewalt bewacht werden. Die Zielrichtung des Kommissionsvorschlags ist aber klar: Die ständige Reserve soll nach dem Wunsch der EU-Kommission über Exekutiv
Einen befugnisse verfügen, wie sie üblicherweise bislang allein nationalen Grenzschutzbeamten zukommen. Damit die europäischen Einsatzkräfte unabhängig agieren können, soll die ständige Reserve mit eigener Ausrüstung ausgestattet werden, die etwa Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge umfassen soll. Dafür soll im kommenden EU-Haushalt 2021-2027 die ambitionierte Summe von rund 2,2 Mrd. Euro vorgesehen werden.
Dass diese Vorschläge der Kommission von den Mitgliedsstaaten angenommen werden, wird jedoch immer unwahrscheinlicher. Das liegt weniger daran, dass man sich nicht auf die Prioritäten der verstärkten Grenzsicherung und mehr Rückführungen einigen könnte. Hier entsprechen die Kommissionsvorschläge den Rufen der Mehrheit der Teilnehmer des Juni-Gipfels im vergangenen Jahr nach mehr Abschottung und Erhöhung der Rückführungszahlen. Zahlreiche Mitgliedstaaten stehen den Vorschlägen aber aus anderen Gründen kritisch gegenüber. Länder wie Polen oder Ungarn befürchten durch den Einsatz europäischer Grenzschutzbeamter auf nationalem Territorium eine Untergrabung nationaler Souveränität. Kritisch werden von Ländern wie Italien auch die hohen Kosten für die Implementierung der Vorschläge gesehen. Die Mitgliedstaaten äußerten ihre bestehenden Vorbehalte bereits in den Schlussfolgerungen des Rates vom 18. Oktober 2018: „Der Vorschlag [für eine Änderung der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache] sei vorrangig zu prüfen, und dabei sei auf
einen möglichst effizienten Ressourceneinsatz zu achten“. Damit brachten die Mitgliedstaaten ihre Zweifel darüber zum Ausdruck, ob Frontex die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Vergrößerung auf 10.000 Mann tatsächlich benötigt. Es ist tatsächlich zweifelhaft, ob Kosten und Nutzen der Aufstockung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Nebenbei sei bemerkt, dass nach geltendem Sekundärrecht die bereits vorhandene Personalreserve von 1.500 Grenzschutzbeamten für Notsituationen bislang noch nie aktiviert worden ist.
Am 26. November 2018 wurde von der Berichterstatterin MdEP Roberta Metsola (EVP/Malta) im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres ein Berichtsentwurf über den Vorschlag der EU-Kommission zur Europäischen Grenz- und Küstenwache vorgestellt, der Ende Januar 2019 zur Abstimmung gestellt werden soll. Die Berichterstatterin fordert eine umfassende Verbesserung des bestehenden Entwurfes. Abgesehen von technischen Änderungsvorschlägen, wie etwa der Erweiterung der Einsatzkräfte um eine vierte Kategorie, nämlich eine schnelle Eingreiftruppe in einer Stärke von 3.000 Kräften, sieht der Berichtsentwurf auch vor, dass insbesondere dem Grundsatz der Subsidiarität mit Blick auf die Befugnisse der Einsatzkräfte hinreichend Rechnung getragen werden müsse. Besonders kritisch wurde in der Ausschuss-Sitzung ebenso wie von Kirchen- und NGO-Vertretern die im Kommissionsvorschlag vorgesehene Möglichkeit von Rückführungen aus Drittstaaten in andere Drittstaaten gesehen. Dies missachte zu wahrende Grundrechtsstandards und den Grundsatz der Nichtzurückweisung.
Am 6. Dezember 2018 hat der EU-Ministerrat in Brüssel eine Übereinkunft über Teile des Vorschlags erzielt. Hier geht es um die Vorschriften zu technischer und operativer Unterstützung der Mitgliedstaaten im Rahmen der Rückführung Drittstaatsangehöriger, sowie um die angestrebte Kooperation mit Drittstaaten. Einen Beginn für die Verhandlungen im Parlament eröffnet dieser Teilkonsens aber noch nicht. Die massiven Vorbehalte gegenüber der Aufstockung der ständigen Reserve schon zum Jahr 2020 bestehen weiterhin. Dies liegt zum einen daran, dass der Zeitplan bereits an sich ambitioniert erscheint und zum anderen daran, dass die Ressourcenaufstockung nur in Abstimmung mit dem mehrjährigen finanziellen Finanzrahmen erfolgen kann. Daher gilt eine Aufstockung vor 2027 als „unrealistisch“, wie es aus diplomatischen Kreisen heißt. Obwohl sich der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 14. Dezember 2018 darauf verständigte, die beiden Gesetzgeber dazu aufzurufen, die Verhandlungen über die Europäische Grenz- und Küstenwache rasch abzuschließen, ist die Frontex-Reform offensichtlich ins Stocken geraten. Damit könnte der als Löwe gestartete Verordnungs-Entwurf zum Bettvorleger geworden sein.
Den Kommissionsvorschlag finden Sie hier: http://bit.ly/ekd-NL-159_AuM-3