Europa - Informationen Nr. 159
Rumänische EU-Ratspräsidentschaft unter schlechten Vorzeichen
Eike Wiesner (Praktikant)
Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Rumänien ab dem 1. Januar 2019 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für ein halbes Jahr übernommen. Rumänien wird damit in den kommenden sechs Monaten vermehrt in das Zentrum der europäischen Öffentlichkeit rücken. Zuvor hatte das Land jedoch bereits für Aufsehen gesorgt. Gründe dafür waren Turbulenzen innerhalb der sozialliberalen Regierung und der Konflikt um die Unabhängigkeit der Justiz.
Wenige Wochen vor Beginn der Ratspräsidentschaft war der zuständige Europaminister Victor Negrescu nach Streitigkeiten mit anderen Kabinettsmitgliedern entlassen worden. Im Anschluss daran übte Staatspräsident Klaus Iohannis scharfe Kritik an der Regierung und beschied ihr, inkompetent und unvorbereitet zu sein. Er verknüpfte seine Aussagen mit Rücktrittsforderungen der aktuellen Regierung sowie öffentlichen Zweifeln an einem reibungslosen Ablauf der Ratspräsidentschaft.
Darüber hinaus gerät Rumänien durch die von der Regierung beförderte Schwächung der Korruptionsbekämpfung und den Abbau des Rechtsstaats zunehmend unter Druck. Das Europäische Parlament verabschiedete mit großer Mehrheit am 13. November 2018 eine Resolution, in der die rechtsstaatliche Entwicklung im Land kritisiert und mehr Pressefreiheit gefordert wird. Die Europäische Kommission veröffentlichte nahezu zeitgleich ihren alljährlichen Prüfbericht über die rechtsstaatliche Lage in Rumänien, in dem ebenfalls Kritik geäußert wird. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans bedauerte, „dass Rumänien nicht nur seine Reformbe-mühungen zum Stillstand gebracht, sondern auch Rückschritte bei den Problemen gemacht hat, in denen es in den letzten zehn Jahren bereits Fortschritte gab“. Bereits im Sommer 2018 rügte der Europarat die geplante Justizreform.
Die vom Vorsitzenden der sozialdemokratischen Regierungspartei, Liviu Dragnea, vorangetriebene Justizreform soll dafür sorgen, dass der Kampf gegen Korruption unter anderem durch die Frühpensionierung von Richtern und Staatsanwälten eingeschränkt wird. Dragnea selbst würde von solch einer Aufweichung profitieren. So wurde er bereits wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und sieht sich mit einem weiteren Verfahren wegen Veruntreuung von EU-Geldern konfrontiert. Die Justizreform löste zahlreiche Proteste in Rumänien aus und überschattete damit auch die Vorbereitungen für die Übernahme des Ratsvorsitzes.
Angesichts dieser Entwicklungen geraten die Schwerpunkte der Präsidentschaft fast ins Hintertreffen. Die Ratspräsidentschaft baut auf folgenden vier Themen auf: Wachstum, Wettbewerb, Konnektivität und Kohäsion (1), Europas Sicherheit (2), Europa als starker Akteur auf internationaler Bühne (3) und Europa der gemeinsamen Werte (4).
Die EU-Ratspräsidentschaft von Rumänien steht auch mit Blick auf die kommenden Ereignisse in der ersten Jahreshälfte unter ganz besonderen Vorzeichen. In ihre Amtszeit fallen der Brexit am 29. März, der EU-Gipfel in Sibiu am 9. Mai, die Europawahlen vom 23. bis 26. Mai 2019, der Budgetstreit mit Italien sowie die letzten Monate des Kommissionspräsidenten Juncker und der damit einhergehende Abschluss von zahlreichen unvollendeten Gesetzes-Dossiers.
Die ständige Vertreterin Rumäniens bei der Europäischen Union führte dazu auf einer Veranstaltung in Brüssel am 30. November 2018 aus, dass die rumänische Ratspräsidentschaft keine gewöhnliche, sondern zukunftsorientierte Präsidentschaft sein werde. Man wolle die Bürgerinnen und Bürger der EU wieder in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungsfindung stellen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die EU die noch ausstehenden Gesetzesvorhaben der Juncker-Kommission abschließe und ihre konkreten positiven Auswirkungen mit Blick auf die EU-Wahlen an die europäische Bevölkerung kommuniziere. Die Präsidentschaft wolle realistisch und ambitioniert sein.
Im Detail setzt die rumänische Regierung auf ein Europa der Konvergenz (1): Kohäsion, Wachstum, Konnektivität und Wettbewerb sollen stärker gefördert werden. In diesem Zusammenhang sollen die Verhandlungen um den Mehr-jährigen Finanzrahmen, also den künftigen EU-Haushalt (2021-2027), vorangebracht werden. In Bezug auf die Sicherheit Europas (2) sollen zum einen die Themen Radikalisierung, Cybersicherheit und Terrorismus angegangen, zum anderen in einem umfassenden Ansatz die Vorschläge über das Gemeinsame Europäische Asylsystem, den Außengrenzschutz und Kooperation mit Drittstaaten im Migrationsmanagement zum Abschluss gebracht werden. Unter der Überschrift „Europas Rolle in der Welt“ (3) soll die EU nach Ansicht Rumäniens als starker und globaler Akteur auf internationaler Bühne agieren. Man zielt darauf ab, die europäische Nachbarschaftspolitik insbesondere auf dem Westbalkan zu intensivieren und in Handelsfragen den Multilateralismus zu stärken. Im Bereich der europäischen Werte (4) möchte die rumänische Ratspräsidentschaft nach den Worten der Ständigen Vertreterin eine „demokratische, gerechte und tolerante Union“ in den Mittelpunkt stellen und sich gegen Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Anti-Semitismus einsetzen. Das Vertrauen der Bürger in die EU müsse gestärkt werden. Insbesondere müsse die junge Generation von den Werten Europas überzeugt werden und als Signal entsprechende Vorschläge, zum Beispiel zum neuen Erasmus-Programm oder zum Europäischen Solidaritätskorps, vor den Europa-wahlen verabschiedet werden.
Insgesamt kann man festhalten, dass Rumänien ein äußerst ambitioniertes Programm entwickelt hat, das nahezu alle Politikbereiche auf europäischer Ebene tangiert.
Die umstrittene Justizreform, das scheinbare Chaos innerhalb der Regierung und die damit einhergehende Kritik auf allen Ebenen überschatten allerdings die Vorbereitungen auf die Präsidentschaft, die an sich wichtige Weichen für die Zukunft der EU stellen müsste. Ob Rumänien in diesen politischen Turbulenzen in der Lage sein wird, glaubwürdig die Rolle des aufrichtigen Vermittlers nach innen und nach außen wahrzunehmen, ist deshalb fragwürdig.