Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

"Erasmus+" als Chance für die Stärkung des Europagedankens

Damian Patting / Doris Klingenhagen

Unter dem Titel "Europäischen Gemeinschaftssinn beleben, Bildung stärken, Erasmus+ vereinfachen" fand am 6. Dezember 2016 ein jugendpolitisches Fachgespräch im Haus der EKD in Brüssel statt. Wie das EU-Programm "Erasmus+" dazu beiträgt den Europagedanken zu stärken  und welche Rahmenbedingungen dazu nötig sind, war Thema des Austauschs. Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej), das EKD- Büro Brüssel sowie die fünf Träger des katholischen Europabüros für Jugend- und Erwachsenenbildung (BDKJ, afi, KEB, askb, FEECA) hatten zu dieser ökumenischen Fachveranstaltung eingeladen.


Bezugnehmend auf die EU-Initiative des "Europäischen Solidaritätskorps" und die Idee des "Free-Interrail-Tickets" für junge Menschen merkte die Leiterin des EKD-Büros Katrin Hatzinger in ihrer Begrüßung an, das "Das Programm "Erasmus+" ein ausgezeichnetes Instrument ist, um Vernetzungsmöglichkeiten anzubieten, um Engamement zu fördern und die europäische Idee zu verwirklichen. Wir sehen jedoch mit Sorge, dass dieses Programm mit Ablehnungsquoten europaweit von über 70 Prozent im Jugendprogrammteil nun noch für andere Initiativen herangezogen werden soll ohne klare finanzielle Aufstockung".  Angesichts des seit mehr als zwanzig Jahren bestehenden Europäischen Freiwilligendienstes warnte sie zudem davor überflüssige Doppelstrukturen zu schaffen, die nur verwirren, aber keinen Mehrwert bieten. Katharina Norpoth, Bundesvorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ) berichtete davon, wie ihre eigene Erfahrung eines Erasmus-Semesters in Italien sie zur Europäerin gemacht habe und appellierte an die Verantwortlichen, das Potenzial des Programms für die aktuellen Herausforderungen der EU besser zu nutzen. Dr. Barbara Tham vom Zentrum für angewandte Politikforschung an der LMU München stellte anschließend die Ergebnisse aus dem deutschen bzw. europäischen Forschungsverbund "Unter der Lupe"/ RAY dar, die die Wirkungen von JUGEND IN AKTION bzw. "Erasmus+ JUGEND IN AKTION" seit 2009 untersuchen. Mit beeindruckenden Werten von über 85 Prozent stellen Teilnehmende für sich fest, dass die Projekte zu ihrer persönlichen Entwicklung beigetragen haben. Dies wirkte sich besonders in den Feldern Umgang mit kultureller Vielfalt, Toleranz, Solidarität und soziale Inklusion aus. Gerade mit Blick auf den Europäischen Freiwilligendienst, welcher die freiwillige Arbeit junger Menschen in gemeinnützigen Einrichtungen in Europa finanziell unterstützt, gaben nach der Programmerfahrung mehr als zwei Drittel der Teilnehmer an, dass ihnen die Werte "Toleranz und Solidarität" wichtiger geworden seien. Dass "Erasmus+"-Projekte zudem wesentlich die aktive Bürgerschaft fördern, belegte Dr. Barbara Tham mit ähnlich hohen Werten. Raffaela Kihrer, Referentin beim europäischen Verband für Erwachsenenbildung (EAEA) bestätigte eindrücklich diese Wirkungen anhand eines Projektes aus der Erwachsenenbildung.


Anschließend wurden in einer Diskussionsrunde unter Leitung von Franziska Broich, Korrespondentin der Katholischen Nachrichtenagentur in Brüssel, die Chancen und Probleme in Bezug auf die Halbzeitevaluierung des Programms "Erasmus+" weiter erörtert.


Helga Trüpel, Mitglied des Europaparlaments und Vizepräsidentin im Ausschuss für Kultur, Bildung, Jugend und Sport ("Bündnis 90 DIE GRÜNEN"), betonte die besondere Bedeutung von Auslandsaufenthalten für die Persönlichkeitsentwicklung. Ein Auslandsaufenthalt setze emotionale, aber auch kognitive Prozesse in Gang, die das Selbstwertgefühl verbessern könnten. Durch die Erweiterung des Programms bestünde nun die Möglichkeit auf vielfältigen Ebenen zu erleben, wie "Familie, Schule, Uni oder Arbeit in anderen Ländern anders tickt". Sie sei überzeugt, dass die Zusammenführung zu dem integrierten Bildungs- und Jugendprogramm "Erasmus+" der richtige Weg gewesen sei und viele Nutzer inzwischen vertrauter mit der neuen Struktur arbeiten. Die noch zu lösenden Schwierigkeiten seien aber bekannt: Der Leitfaden müsse vereinfacht werden und das Missverhältnis zwischen Antragsaufwand und Erfolgsquote müsse verbessert werden. Dies insbesondere im Hinblick auf kleine Träger und Organisationen. Eine  Erhöhung des Gesamtbudgets sei mit Blick auf  die politische Durchsetzbarkeit die größte Herausforderung, da die Finanzminister der Mitgliedstaaten einen rigiden Blick auf den EU-Haushalt hätten. Sibille Drews, stellvertretende Leiterin der Nationalen Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NABIBB), erklärte in Bezug auf die Umstellung des Programms auf "Erasmus+": "Wichtig ist der Inhalt, nicht das Label". Es müsse daher noch besser kommuniziert werden, dass auch außerhalb der Hochschulen Programme gefördert werden. Mit der Umstellung habe es zunächst viele Startschwierigkeiten gegeben. Erste Erhebungen würden aber inzwischen bestätigen, dass Akzeptanz und Zufriedenheit wachsen. Verbesserungen seien nötig in einer stärkeren Differenzierung zwischen großen und kleinen Projekten. Sie wünscht sich für die Zukunft des Programms mehr finanziellen Spielraum sowie Kontinuität in der nächsten Programmgeneration und keine erneuten größeren Umstrukturierungen.


Andrea Hoffmeier, Geschäftsführerin der Europäischen Föderation für Erwachsenenbildung (FEECA) betrachtete das "Erasmus+"-Programm als notwendiges Element für eine Stärkung des europäischen Gemeinschaftssinnes und eines europäischen Demokratiebewusstseins in Zeiten der Rückkehr nationalistischer Denkweisen: "Nicht nur Jugendlichen, sondern gerade auch Älteren müsste die "europäische Idee" besser vermittelt werden, wie sich gerade am Wahlverhalten bei dem Brexit-Referendum gezeigt habe. Sie wünscht sich eine Vereinfachung der Antragstellung. Sie wünsche sich eine stärkere Berücksichtigung der sektorspezifischen Bedürfnisse, den  Erhalt der Sektoren mit zugewiesenem Budget und wirklichen Bürokratieabbau bei der Programmorganisation.
Katja Pichugova, Leiterin europäischer Projekte in der Evangelischen Schüler- und Schülerinnenarbeit von Westfalen, berichtete von ihren praktischen Erfahrungen. Die Projekte würden ganz viel bei jungen Menschen bewegen. Der Leitspruch der Europäischen Union " in Vielfalt vereint", werde hier Wirklichkeit. Die Jugendlichen entwickeln Interesse an anderen Ländern und Lebenssituationen und würden die Kommunikation und den interkulturellen Dialog genießen. Aus diesen Erfahrungen entwickelten sich dann wie von selbst neue Themen und Projekte, die die Jugendlichen selber initiierten und in weitere Jugendbegegnungen umsetzten. In ihrer Sprache hieße es dann ganz aktuell etwa: "Brexit -What the fuck?".


Hinsichtlich der Projektorganisation gebe es aus ihrer Sicht aber noch Verbesserungsbedarf: Die Antragstellung sei oft schwierig. Auch seien die Unterbringungspauschalen mit Blick auf die Länder, in denen die Maßnahmen durchgeführt werden, wenig  praxistauglich.  Für die Zukunft des Programms wünsche sie sich auch eine  bessere Gesamtfinanzierung sowie neue Träger, damit das Programm dynamisch und interessant bleibt.  Am allerwichtigsten sei ihr aber, dass das Programm von der Politik deutlich ernster genommen werden müsse.


Den Vortrag von Fr. Kihrer können Sie hier abrufen: http://ekd.be/Erasmus_Chance_Europagedanke

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