Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

Wo ist der Mehrwert? Neuer europäischer Freiwilligendienst geplant

Doris Klingenhagen

Am 14. September 2016 hat das neue Vorhaben eines Europäischen Solidaritätskorps (ESC) in Form eines neuen Freiwilligendienstes durch einen Vorschlag der EU-Kommission erste Konturen bekommen. In seiner Rede zur Lage der Union hat EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im September in Straßburg den Europäischen Solidaritätskorps prominent als eine neue Form der Investition in junge Menschen, neben der EU-Jugendgarantie und dem "Erasmus+"-Programm, vorgestellt. Seitdem wird in mehreren Generaldirektionen mit Hochdruck an seiner Umsetzung gearbeitet. Denn so Juncker: "Ich möchte, dass dieses Europäische Solidaritätskorps bis spätestens Ende des Jahres steht. Und bis 2020 sollen die ersten 100.000 jungen Europäerinnen und Europäer daran teilnehmen." Hinter dem neuen Solidaritätskorps steht die Aussage Junckers: "Die Solidarität ist der Kitt, der unsere Union zusammen hält" und die Feststellung, dass es in Europa viele sozial denkende junge Menschen gibt, die sich in der Gesellschaft einbringen und Solidarität zeigen wollen.

Ganz in diesem Geist soll der Europäische Solidaritätskorps entstehen. Juncker ist überzeugt: "Durch ihr freiwilliges Engagement im Europäischen Solidaritätskorps werden diese jungen Menschen neue Kompetenzen erwerben und nicht nur Arbeitserfahrung, sondern auch wertvolle Lebenserfahrung sammeln." Konkret soll der Europäische Solidaritätskorps jungen Menschen unter 30 Jahren die Gelegenheit geben, eine Nichtregierungsorganisation (NGO), eine lokale Behörde oder ein privates Unternehmen aktiv dabei zu unterstützten, herausfordernde Situationen in der EU zu bewältigen. Das heißt beispielsweise:  Wiederaufbau von Gemeinden nach Umweltkatastrophen, Bewältigung von sozialen Herausforderungen im Gesundheitsbereich, demographischer Wandel, soziale Exklusion und Armut oder Unterstützung bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen.

Dabei sind zwei Stränge vorgesehen: Ein Strang soll unter der Überschrift "Volunteering" laufen und Einsatzmöglichkeiten von zwei bis12 Monaten bieten. Der andere Strang steht unter der Überschrift  "Occupational" (berufsbezogen) und umfasst einen Arbeitsvertrag, einen Trainee-Einsatz oder ein Ausbildungspraktikum, ebenfalls mit einer Dauer von zwei  bis 12 Monaten. Zunächst soll die Finanzierung des ESC aus bestehenden EU-Programmen und Budgetlinien finanziert werden. Genannt werden "Erasmus+", "Your first EURES Job", "LIFE", "Europa für Bürgerinnen" sowie Programme für Beschäftigung und soziale Innovation und der Fonds für Asyl, Migration und Integration (AMIF). Das Programm "Erasmus+" erhält in 2017 50 Millionen Euro zusätzlich. In einer späteren Phase sollen finanzielle Mittel aus der EU-Jugendgarantie und der Jugendbeschäftigungsinitiative (YEI) hinzukommen. Nach seiner Etablierung soll ggf. eine eigene Budgetlinie eingeführt werden. Um diesen ambitionierten Plan umzusetzen, verspricht die EU-Kommission mit den erfahrenen Trägern und Organisationen u. a. der Freiwilligendienstarbeit eng zusammen zu arbeiten, um eine Doppelung und Konkurrenzen zu vermeiden.

Ein erster Schritt dazu war eine Befragung der im Feld tätigen Akteure. Ähnlich wie bei dem Interrail-Ticket für alle 18-Jährigen, ist der Ansatz junge Menschen mehr in den politischen Fokus zu nehmen, durchaus zu begrüßen. Doch Akteure wie die Evangelischen Freiwilligendienste sehen gleichzeitig den politischen Aktionismus kritisch und befürchten, dass unnötige Parallelstrukturen entstehen und eine Vermischung zwischen Freiwilligendiensten als Bildungs- und Orientierungszeit, allgemeinem freiwilligen Engagement und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten entstehen könnte. In der Stellungnahme von Trägern von Freiwilligendiensten aus Deutschland vom 7. November 2016 heißt es, dass Freiwilligendienste nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden dürfen und die klare Trennung von Beschäftigungsmaßnahmen und Freiwilligendiensten erhalten bleiben muss. Der ESC dürfe auf keinen Fall Mittel aus "Erasmus+", die für den Europäischen Freiwilligendienst eingestellt sind, verdrängen und sollte der ESC Teil von "Erasmus+" werden, dürften die bisher europaweit entwickelten und in großem Konsens umgesetzten Qualitätsstandards nicht abgesenkt werden. Insgesamt stößt der Vorstoß des ESC eher auf Skepsis, da im Strang "Volunteering" viele Parallelen zum Europäischen Freiwilligendienst erkennbar werden und im Grunde die Frage im Raum unbeantwortet bleibt, was der ESC jungen Menschen als wirkliches Plus bieten kann. In allen Formen von Projekten im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes drücken junge Menschen bereits heute ihre Solidarität mit anderen Europäern und Europa aus - sehr konkret ausgerichtet an den sozialen und gesellschaftlichen Bedarfen von ländlichen Regionen oder großen Städten oder den speziellen Bedürfnisse von einzelnen Bürgern Europas. Sie unterstützen vielfach Nichtregierungsorganisationen, nationale oder regionale Körperschaften.  Am Europäischen Freiwilligendienst, der in diesem Jahr sein 20 Jähriges Jubiläum feiert, nahmen bisher ca. 100.000 junge Menschen teil.


Am 8. Dezember wurde in Brüssel unter Beteiligung von vier Kommissaren, Kristalina Georgieva (Haushalt und Personal), Christos Stylianides (Humanitäre Hilfe und Krisenschutz), Marianne Thyssen (Beschäftigung und Soziales) und Tibor Navracsics (Kultur, Bildung, Jugend, Sport), in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten der Startschuss gegeben. Junge Menschen zwischen 17 und 30 Jahren können sich auf der ESC-Webseite anmelden und sich um eine Teilnahme am Programm bewerben. Auf den persönlichen Hintergrund und die Wünsche der Interessierten soll eingegangen werden. Vom frischen Schulabgänger bis hin zum Hochschulabsolventen mit Berufserfahrung sollen verschiedenste Profile berücksichtigt und die Möglichkeiten geschaffen werden, sich im Rahmen von Freiwilligenarbeit, Ausbildung oder eines Angestelltenverhältnisses einzubringen. NGOs, Kommunen und private Unternehmen, die die Ziele des Solidaritätskorps verfolgen, können das Portal nutzen, um junge Menschen zu werben und mit ihnen in Kontakt zu treten. Im Wesentlichen sind dies Organisationen aus den Bereichen der vier Generaldirektionen Bildung, Jugend, Kultur, Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, Migration und Inneres sowie Beschäftigung und Soziales.

Alle Organisationen, die an dem Programm teilnehmen wollen, sollen die Qualitätsstandards, die in der Charta für den Europäischen Freiwilligendienst festgehalten sind, erfüllen. Den EU-Mitgliedsländern soll es anders als an den gemeinsamen Förderprogrammen freigestellt sein, ebenfalls am ESC teilzunehmen. Viele Unwägbarkeiten begleiten diesen Prozess. Ausgereift scheint er bislang nicht zu sein, was angesichts des kurzen Implementierungszeitraums nicht verwunderlich ist. Für das zweite Quartal 2017 hat die EU-Kommission die gesetzliche Grundlage für den ESC angekündigt. Es bleibt die Hoffnung, dass die EU-Kommission im Sinne der jungen Menschen ihre Ankündigung wahrmacht und weiter mit den erfahrenen Trägern der Freiwilligenarbeit zusammenarbeitet und zusätzliche Gelder für den ESC einstellt. Der Solidaritäts- und Einsatzwille unter jungen Menschen wird sicher nicht verloren gehen.  

Informationen der EU-Kommission zum ESC finden Sie hier: http://ekd.be/Freiwilligendienst_0

Die Registrierungs-Webseite finden Sie hier: http://ekd.be/Freiwilligendienst_2

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