Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016
Gefahr oder Chance? - Der Kampf um den Präsidentenposten des Europäischen Parlaments
Damian Patting
Am 17. Januar 2017 wird in Straßburg das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments neu vergeben. Zwar hatten sich im Anschluss an die Europawahl 2014 die zwei größten Fraktionen - die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D) - wie in der Vergangenheit Usus informell darauf geeinigt, dass das Präsidentenamt zunächst zweieinhalb Jahre von dem Sozialdemokraten Martin Schulz und danach von einem Vertreter der EVP-Fraktion übernommen werden soll, doch Martin Schulz brach mit der guten Tradition und kündigte an, das Amt über die volle Amtszeit ausüben zu wollen. Die Krisenzeiten erforderten diesen Schritt. Unterstützung erhielt er von EU-Kommissionspräsident Juncker. Ein weiteres Schulz-Argument lautete, dass mit der Übernahme des Amtes des Parlamentspräsidenten durch die EVP nach Kommission und Europäischen Rat alle drei EU-Institutionen in den Händen der Konservativen wären Nachdem Schulz zunächst unter Berufung auf die politische Ausgewogenheit sein Amt einfach behalten wollte, hat er nun unvermittelt seinen Rückzug aus dem politischen Brüssel sowie die Rückkehr in die Bundespolitik angekündigt und damit die S&D-Fraktion unter Zugzwang gesetzt. Ein Monopol der Konservativen will die S&D-Fraktion nun nicht mehr kampflos hinnehmen und hat, entgegen der informellen Vereinbarung, im Ausblick auf den angekündigten Rücktritt des noch amtierenden Präsidenten, einen Kandidaten zur Wahl aufgestellt: Der Vorsitzende der sozialdemokratischen S&D Fraktion, Gianni Pittella, äußerte sich mit Blick auf das Machtgefüge in der Europäischen Union: "Die progressive Familie kann kein Monopol des rechten Flügels über die EU-Institutionen akzeptieren". Er hat seine Kandidatur bereits angekündigt. Dieser Schritt wurde von einem Sprecher der EVP als "Kampfansage" bezeichnet und durch die Fraktion mit der Aufstellung eines eigenen Kandidaten am 13. Dezember 2016 beantwortet: Der derzeitige Vize-Präsident des Parlaments und Berlusconi-Vertraute Antonio Tajani geht für die Christdemokraten ins Rennen. Die anderen Kandidaten - die Irin Mairead McGuinness und der Franzose Alain Lamassoure - zogen ihre Kandidatur nach der ersten Abstimmungsrunde zurück. Wie die anderen beiden EVP-Anwärter gilt Tatjani jedoch nicht als mehrheitsfähig. Einem anderen EVP-Mann wurde schon immer deutlich mehr Rückhalt in der eigenen Fraktion sowie im Parlament nachgesagt: Fraktionschef Manfred Weber. Der befürchtete jedoch, bei möglicherweise erfolgreicher Kandidatur in eine "Karrieresackgasse" zu geraten. Mit Erfolg bemühte er sich daher im November erneut um den Vorsitz in der EVP-Fraktion.
Angesichts der Eigendynamik, die der Kampf um den Präsidentenposten nun gewonnen hat, wittert nun auch die Alde-Fraktion ihre Chance auf den Spitzenposten: Franktionschef Guy Verhofstadt hat bereits seine Kandidatur erklärt.
Unabhängig davon, welcher politischen Couleur der neue Präsident des Hohen Hauses sein wird, bedeutet die Aufkündigung der formellen Zusammenarbeit der EVP und der S&D-Fraktion eine Zäsur für die politische Architektur der Union, da interne Abstimmungen zwischen Parlament und Kommission, die einst das politische Arbeiten in Brüssel wesentlich erleichterten, wohl der Vergangenheit angehören. Ob dies eher einem "Mehr" an Demokratie dienlich ist oder aber einem - nicht wünschenswerten - weiteren Aufstieg der Populisten und Extremisten Vorschub leistet, bleibt abzuwarten.