Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

Friedensgutachten 2016 - Frieden ohne Waffen?

Alessandra Haucke (Assistentin EU-Förderpolitik/-projekte) / Julia Maria Eichler

Am 11. Oktober 2016 wurde - wie in den vergangenen fünf Jahren - das diesjährige Friedensgutachten unter der Überschrift "Kann Europa Frieden ohne Waffen schaffen?"   im Brüsseler Büro der EKD in zwei Podiumsrunden vorgestellt. Die Veranstaltung wurde erstmals als Kooperationsprojekt gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Brüssel durchgeführt.


Das Friedensgutachten als gemeinsames Jahrbuch von fünf deutschen Instituten für Friedens- und Konfliktforschung erscheint seit 1987 jährlich und richtet sich als "Denkhilfe" an die politische Öffentlichkeit.
In ihrer Begrüßung verwies die Leiterin der EKD-Vertretung, Katrin Hatzinger, auf ein Paradox. Die EU, als Friedensprojekt gestartet, könne sich heute in Zeiten vielfältiger Krisen nur noch in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Außengrenzschutz und Verteidigung auf Gemeinsamkeiten verständigen. Gleichzeitig stehe sie vor der großen Herausforderung, wie sie ihre vielfältigen Instrumente und ihre Erfahrungen als "Soft Power" in diesen turbulenten Zeiten einbringen wolle.


Die Herausgeberin des diesjährigen Friedensgutachtens, Frau Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg betonte in ihrer Einführung die Herausforderungen, die mit dem gemeinschaftlichen Erstellen von Empfehlungen an die Politik einhergehen. Denn die Antwort auf die grundlegende Frage wie und in welchem Verhältnis militärische Mittel und Soft-Power-Ansätze zur Lösung der aktuellen Konflikte beitragen können, sei auch unter den Autoren des Friedensgutachtens umstritten.


Im Fokus der ersten Podiumsdiskussion, die von Katrin Hatzinger moderiert wurde,  stand die Frage, ob der Dschihadismus militärisch besiegt werden kann oder ob militärische Gewalt den Hass nicht nur weiter schürt.
Stephan Hensell vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg wies gleich zu Beginn auf eine wichtige Unterscheidung hin. Die Ideologie des Dschihadismus könne man militärisch nicht besiegen. Ein Vorgehen gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), als eine Art Hybrid, benötige sicherlich militärische Mittel. Hier stelle sich jedoch  die Frage nach der Effektivität.


Angesprochen darauf, ob es aus seiner Sicht militärischer Bodentruppen in Syrien bedürfe, sagte Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD und Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, dass der Primat der zivilen Konfliktlösung gelte. Einem militärischen Einsatz müsse ein  UN-Mandat zugrunde liegen.
Die Co-Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, wies auf die Problematik der Anzahl der Akteure in Syrien hin. Zudem müsse man auch die verschiedenen Konflikte in Syrien auseinander halten. So habe der sogenannte IS beim Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien keine Rolle gespielt. Ein Erfolg sei es aus ihrer Sicht bereits, wenn man das Töten in Syrien beenden würde. Frieden sei hiervon eine zu unterscheidende Frage. Die EU müsse ihre wirtschaftliche Macht nutzen, um eine Lösung herbeizuführen. Eine militärische Lösung gebe es nicht. Man werde wohl aber das Militär benötigen, um die Grausamkeit zu stoppen. Die Lösungen liegen dabei für die Grünen-Politikerin in der Region und in inklusiven Friedensgesprächen. Sie kritisierte außerdem die wiederholte Verletzung internationalen Rechts durch Russland.  


Christiane Höhn, Hauptberaterin des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung  wurde auf die Effektivität der Terrorismusbekämpfung innerhalb der EU angesprochen und gefragt, warum es noch kein europäisches FBI gebe. Sie erläuterte, dass allein aus Europa  5000 Menschen nach Syrien gereist seien, um sich dem sogenannten IS anzuschließen. Gleichzeitig sei die Strategie der Errichtung eines Kalifats weiterentwickelt worden, hin zu Anschlägen in Europa. Nach jedem Anschlag innerhalb der EU würden die Mitgliedsstaaten nach Brüssel schauen. Jedoch sei die nationale Sicherheit Aufgabe der Mitgliedstaaten. Die EU könne hier nicht tätig werden, weil ihr die Europäischen Verträge keine Kompetenz hierfür einräumten. Damit fehle die Handlungsbasis für hilfreiche Reaktionen und Instrumente, wie zum Beispiel Informationsaustausch durch eine Organisation wie das FBI. Die nationalen Geheimdienste seien gezwungen, außerhalb der EU-Strukturen zu kooperieren.  Für die EU sei es aber möglich, Europol, das Europäische Polizeiamt, zu stärken, das bereits jetzt viel proaktiver handele, aber immer noch von Anfragen der Mitgliedstaaten abhängig sei.
Desweiteren wurde die Rolle von Sprache in der Diskussion thematisiert. Renke Brahms machte deutlich, dass die Rede vom "Krieg gegen den Terror" eine Atmosphäre von Angst und Gewalt schaffe. Der Krieg gegen den Terror diene dabei zur Rechtfertigung von Ausnahmezuständen.


Stephan Hensell griff diesen Gedanken auf und betonte, dass wissenschaftlich nicht klar definiert, sondern umstritten sei, was unter Terror zu verstehen sei. Aber die Sprache habe unglaublichen Einfluss auf Politik, vor allem die Bezeichnung  einer Tat  als Terror oder  einer Person als Terrorist. Mit Terroristen könne man nicht diskutieren. Mit Terroristen führe man keine Friedensgespräche. Auch Assad habe bewaffnete Gruppen als Terroristen bezeichnet, weil dies einen delegitimierenden Effekt habe.


Im Hinblick auf die Rolle der sozialen Medien bei der Prävention von Radikalisierung, betonte Christiane Höhn, dass die EU die europäische Zivilgesellschaft dabei unterstütze, eine Gegenstimme gegen die Social Media-Tätigkeit des sogenannten IS zu entwickeln. Es gebe Initiativen im Bereich von Bildungsprogrammen etwa zur Förderung von Toleranz, virtuelle Austauschprogramme und Programme zur Inklusion.
Dieser Aspekt der zivilen Prävention mit Bezug auf die aktuelle globale Außen- und Sicherheitsstrategie der EU (Siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 152) stand auf dem zweiten Podium unter dem Titel "Operation Frieden" im Mittelpunkt, das der Leiter der Brüsseler Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Uwe Optenhögel, moderierte.  


Corinna Hauswedell, von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) und Mitherausgeberin des diesjährigen Friedensgutachtens, teilte zwar die der globalen Strategie für EU-Außen- und Sicherheitspolitik zugrunde liegende Analyse, dass das Sicherheitsumfeld im Vergleich zur letzten Strategie von 2003 sich erheblich verkompliziert habe. Sie machte aber einige Widersprüchlichkeiten in der aktuellen Strategie aus. So stelle sich für sie die Frage, wie die Sicherheitsstrategie zu mehr Frieden führen könne. Was trage die Strategie zur friedlichen Konfliktbewältigung, zu Präventiv-Frieden und zur politischen Ökonomie des Friedens bei? Warum bleibe man nicht konsequent bei einem Europa der "Soft Power"? Die globale Strategie wolle einen umfassenden Ansatz liefern, doch wie wolle man die unterschiedlichen Ansätze von zivilen und militärischen Fähigkeiten zusammenbringen? Zudem sei die EU niemals so entfernt von der politischen Einheit gewesen, die zur Umsetzung der Strategie notwendig wäre, wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Rene Van Nes vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) betone den Mehrwert der Strategie. Die EU - die selbst in Frage gestellt werde - sei zwar weniger ambitioniert bei der Verbreitung ihrer Werte als noch 2003. Mit der Strategie würden aber die unterschiedlichen Ansätze der Mitgliedstaaten angenähert. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssten endlich mit den gleichen Analysen arbeiten. Dies sei Grundvoraussetzung, um ein gemeinsames Vorgehen entwickeln zu können.


Im Vertrag von Lissabon sei die zivile Konfliktprävention in räumlicher Nähe zur Außenpolitik  geregelt. Daraus erwachsen auch Verpflichtungen der Union, so Steve Blockmanns vom Centre for European Policy Studies. Dabei sei die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwangsweise immer staatsorientiert. An erster Stelle stehe die Widerstandsfähigkeit von Staaten, dann die von Gesellschaften. Die Strategie bringe dabei mehr Realpolitik in die Außenpolitik. Sie sei auch realistischer bezüglich der Limitierungen der eigenen Mittel.
Ana Gomez, sozialdemokratische Abgeordnete des Europäischen Parlaments, beantwortete zum Abschluss die Titelfrage der Veranstaltung. Die EU brauche Waffen, um Frieden zu schaffen, es brauche eine Verteidigungsunion. Sie bekräftige die These von Frau Hauswedell, dass die EU-Politik enorm widersprüchlich sei. Eines der Probleme sei, dass Mitgliedstaaten das Gegenteil von dem tun würden, was auf europäischer Ebene vereinbart werde. Die Abgeordnete wies dabei vor allem auf den europäischen Einsatz für den Schutz von Menschenrechten hin und den gleichzeitigen Verkauf von Waffen durch die Mitgliedstaaten u.a. an Saudi-Arabien. Insgesamt sei die globale Strategie wenig ambitioniert. Aber ihr seien weniger Ambitionen lieber, mit dafür erreichbaren Zielen.

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