Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016
Schluss mit Reformen - Wir brauchen Reformation!
Julia Maria Eichler (Juristische Referentin)
Am 07. September 2016 hat in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt die gemeinsame Veranstaltung mit dem EKD-Büro Brüssel "500 Jahre Reformation- Blick zurück nach vorn" stattgefunden. Über 100 Zuschauer waren zu einer Diskussion zwischen der EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum Dr. Margot Käßmann mit Dr. Petra Bahr, Leiterin der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung, gekommen..
Eingerahmt von Auszügen aus dem Luther-Pop-Oratorium lud die Veranstaltung dazu ein, Vergleiche zwischen der Zeit der Reformation und der heutigen Situation in Europa zu ziehen.
Aus der Reformation könne man lernen, dass man irgendwann den "Erneuerungsdruck" nicht mehr im Kessel halten könne, stellte Margot Käßmann dann auch gleich zu Beginn fest. Dafür bedürfe es aber nicht nur eines Martin Luthers, denn auch der Reformator wäre nichts ohne die Bewegung insgesamt gewesen. Denn es bräuchte Reformen, die Menschen mitnehmen und begeistern würden. Man sei doch heute schon des Wortes "Reform" überdrüssig, das quasi Unternehmensberatersound habe, erklärte die Kulturbeauftragte des Rates der EKD Petra Bahr.
Zusätzlich zu dem Veränderungsdruck während der Reformation sei auch diese "schlichte Idee" Luthers vorhanden gewesen, wieder zurück zu den Quellen zu gehen. Die Frage danach was die Quellen sind, stelle sich auch heute in Bezug auf Europa.
Auch bedürfte es wieder Menschen, die sich für etwas einsetzen, das größer sei als sie selbst, ohne dass es nur um Machterhalt gehe, so die Theologin. Luther könne da Vorbild sein - obwohl auch er schwierig, keinesfalls unkompliziert gewesen sei. Er sei häufig eher ein Poltergeist als Feingeist gewesen.
Auf die Auseinandersetzung des "polternden Provinzlers" Luther mit dem "elitären" Erasmus angesprochen, erklärte Margot Käßmann, dass man wieder eine Streitkultur brauche. Die Reformation sei vor allem partizipativ gewesen. Nur Feingeister im Feuilleton genügten nicht. In der DDR sei die Kirche der einzige Raum für Streitkultur gewesen. Diese Streitkultur habe auch die friedliche Revolution ermöglicht. Luther sei politisch inkorrekt und seine Sprache derb gewesen, aber er habe Lust am Streit gehabt. Diese Lust am Streit bräuchten wir wieder, anstatt dass alle nur ihren Frieden haben wollten.
Petra Bahr wies darauf hin, dass es bei den Streitereien zwischen den Reformatoren untereinander um etwas ging - mitunter um Leben und Tod. Heute höre man immer wieder, dass man endlich mal etwas sagen dürfen wolle. Aber der Populismus - diese seltsame Art der Streitkultur - diene nicht Europa. Es sei essentiell zu wissen, worum man streite.
Nur eine Position zu haben, genüge nicht, warf die Reformationsbotschafterin ein. Sie würde auch den ,Pegida'-Demonstrationen absprechen, dass sie für das christliche Abendland sprechen. "Die Menschen, die Fremde aufnehmen, die stehen für das christliche Abendland, wenn wir davon überhaupt reden wollen", so Käßmann.
Petra Bahr erinnerte daran, dass die Reformation in Zeiten bedeutender Umbrüche und sozialer und politischer Unruhen stattgefunden habe. Heute stelle sich die Frage, wie wir mit Populismus, mit Nationalismus und fundamentalen religiösen Strömungen umgehen. Wie sollen wir mit der Angst in der Bevölkerung umgehen? Wie könne man der Bevölkerung wieder ihre "innerste Sicherheit" geben? Hierauf müsse man Antworten finden.
Die Bevölkerung habe aus vielen unterschiedlichen Gründen Angst, etwa davor, dass die Welt heute ein Dorf sei, in der uns Dinge von weit weg betreffen. Die Reformation habe gezeigt, dass man den Mut haben müsse, Fragen zu stellen.
Dr. Käßmann hakte hier nach. Von welchen Ängsten rede man denn, wenn die Antwort ein Burka-Verbot etwa in Mecklenburg-Vorpommern sei. Luther habe eine geistliche Frage gestellt. Die Menschen heute würden nicht den gnädigen Gott suchen. Vielmehr müsste man sich fragen, ob wir denn nicht leichtfertig unsere Wurzeln verlassen hätten. Es gebe kaum noch gemeinsame Geschichte, Wurzeln und Rituale, die Menschen Halt gäben. Die Kirchen aber seien eine Wurzel Europas. Die europäische Architektur und Geschichte sei nicht ohne die Kirchen und das Christentum verständlich. Auch Bildung sei ein reformatorisches Thema gewesen, damals wie heute.
Doch auch Bildung sei kein Schutz allein, widersprach Bahr. Die Frage danach, was mir Halt geben könne bei so viel Angst, sei eine geistliche Frage - wenn auch nicht zwangsläufig eine theologische. Man sehe heute, dass das Wohlstandsversprechen den Menschen nicht die notwendige "innerste" Sicherheit gebe. Die Ängste entstünden durch Kommunikation, nicht durch Erfahrung. Dass sei schon während der Reformation so gewesen. Auch Luther sei von Ängsten geplagt gewesen und Gott sei in der damaligen Zeit Teil dieser Angst gewesen. Die "Medien" dieser Zeit hätten ebenfalls eine sehr ambivalente Rolle gespielt. Einerseits hätten Sie dazu beigetragen, dass sich die Reformation ausbreitete. Aber Sie hätten auch den Streit befeuert, vereinfacht und brutaler gemacht. Schon damals habe man durch Bilder emotionalisiert, so dass Argumente nicht überzeugen konnten. Konflikte seien schon damals medial ausgetragen worden. Das gehe noch heute an die Schmerzgrenze.
Angesprochen von Moderator Michael Kuhn von der COMECE auf die Übergabe eines Kelches durch den Papst an die evangelische Gemeinde in Rom, sprach Käßmann die große Sehnsucht nach einem gemeinsamen Abendmahl an, die bei vielen Christen bestehe. Versöhnte Verschiedenheit bedeute, dass man verschieden bleiben könne, aber trotzdem versöhnt sei. Dabei sei Verschiedenheit auch kreativ. Das Schöne an Europa sei gerade seine Verschiedenheit. Trotzdem müsse das Gemeinsame stark sein.
So habe sie eine Enttäuschung in Deutschland erlebt, als die große Geste Merkels, die ja eine europäische gewesen sei, von den anderen nicht aufgenommen worden sei. Das sei auch für Sie persönlich enttäuschend gewesen. Europa sei heute der Kontinent der Sehnsucht. Darauf könne man stolz sein.
Petra Bahr sah das anders. Verschiedenheit - auch versöhnte- erzeuge immer wieder Reibung. In dem Bewusstsein, dass uns die Wahrheit im letzten entzogen sei, liege die Möglichkeit verschieden sein zu können und Fragen offen lassen zu dürfen. Ein Problem sei, dass man den Grad der Verschiedenheit in Deutschland überhaupt nicht wahrgenommen habe. Dabei ginge ja den Polen oder anderen Osteuropäern nicht die Ideen von Würde und Barmherzigkeit ab. Aber andere Länder hätten andere Geschichten, Einschätzungen und Migrationserfahrungen. Es sei unerlässlich, die Narrative des anderen auch wirklich zu hören und nicht sein Wissen aus Medienschnipseln zu haben. Diese Verschiedenheit müsse man auch ertragen können.
Diese Haltung sei viel zu unpragmatisch, befand ihr theologisches Gegenüber, wenn man sehe, dass allein dieses Jahr 3000 Menschen bei dem Versuch nach Europa zu gelangen, im Mittelmehr gestorben sein und Boote zurück nach Libyen geschleppt würden. Europa verrate hier seine Werte.
Doch Petra Bahr verteidigte ihren Standpunkt. Man dürfe nicht vergessen, dass auch die Perspektive der anderen Relevanz habe, auch wenn man sich diese nicht zu eigen mache. Auch die Meinung des anderen könne moralischen stark sein. Etwa in Polen, wo die Sorge groß ist, dass der Ukraine-Konflikt weitere und größere Gruppen von Flüchtlingen nach Polen treibe. Es könne nicht nur einer entscheiden, was versöhnt werden muss. Und es gebe Konflikte, da treffe man sich nicht einfach in der Mitte.
Käßmann ließ sich jedoch nicht überzeugen. Es werde von Europa erwartet, dass wir helfen. Es sei europäische Solidarität gefragt. Es sei traurig, dass heute nicht mehr Europa, sondern nationalistische Bewegungen Begeisterung auslösen. Man wisse sehr genau, dass, wenn die Sprache verrohe auch der Mensch verrohe.
Auch die Reformationsgeschichte sei keine Heiligenlegende. Hieraus müsse man lernen. Luther sei Antijudaist gewesen und habe über Türken gewettert, obwohl er nie einen getroffen habe.
Zum Abschluss stand dann auch nochmal das Reformationsjubiläum im Mittelpunkt. 2017 solle weltoffen, international und ökumenisch werden. Die "unterschiedlichen Reformationen" würden die Nationalstaaten sehr unterschiedlich jedoch bis heute prägen. Deshalb sollte man das Reformationsjubiläum für Ideen nutzen, damit uns wieder klar wird, warum wir Europäer sind.
Einigkeit zeigten beide Frauen angesprochen auf die Unkenrufe bezüglich des bevorstehenden Reformationsjubiläums. Sei Playmobil mit seinem Luther kreativer als die evangelische Kirche hakte Michael Kuhn nach.
Man solle doch nicht über eine Party lästern, die noch gar nicht stattgefunden habe, fand Petra Bahr. Es müsse auch Raum für Überraschungen geben. Margot Käßmann schloss sich dem an. Meckerer gebe es immer. Aber das Reformationsjubiläum sei ein Aufbruch nach Vorn. "Das wird schon werden. Wir sind gut in Form."
Arne Lietz, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, rundete die Veranstaltung mit seinem Schlusswort ab und stelle fest, mit der Lutherdekate und den Themenjahren rund um die Reformation habe die Party doch längst begonnen.